Die ARD-Ausnahmeserie „Wei�ensee“ geht weiter. Die Liebe bekommt eine neue Chance. Doch ist sie realistisch in einem menschenverachtenden politischen System? Auch andere Happy Ends kann es l�ngerfristig unter dem Dach des DDR-Regimes kaum geben. Auch Staffel 2 bleibt sehr handlungsintensiv, schicksalstr�chtig, spannend und bewegend. Zugleich wirkt die Fortsetzung noch weniger wie eine Unterhaltungsserie, die sechs neuen Folgen sind ernsthaft dramatischer & politisch glaubw�rdiger als Staffel 1. So geht deutsche Serie!
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungSeltenes Bild: Familie Kupfer vereint in ihrem Haus im Bonzenviertel Wei�ensee
DDR 1987, sieben Jahre sind nach dem gescheiterten Fluchtversuch von Julia Hausmann und Martin Kupfer vergangen. Er, der mit seiner Familie gebrochen hat, will r�ber machen, weil er die Geliebte im Westen w�hnt; dabei sitzt Julia seelisch gebrochen im Gef�ngnis Hoheneck ein. Dunjas alkoholkranke Mutter, einst systemkritische Liedermacherin, tr�llert Schlager und bespitzelt Freunde – in der Hoffnung, ihrer Tochter damit die Haft zu erleichtern. Vater Hans Kupfer ist fasziniert von Gorbatschows Glasnost, m�chte die DDR von innen heraus erneuern, und privat sucht er das vers�hnende Gespr�ch mit seinem verlorenen Sohn. Seine Frau ist leidensf�hig, schweigt, verdr�ngt und hat den Traum von einer gl�cklichen Familie nicht aufgegeben. Kupfer-Sohn und Stasi-Offizier Falk h�lt krampfhaft am Unrechtssystem der DDR fest, intrigiert, setzt Menschen unter Druck, spielt den Allm�chtigen. Er untersch�tzt die neuen Kr�fte und droht, vom MfS zum Bauernopfer gemacht zu werden. Auch seine Frau Vera h�lt er nur mit Druck. Und sie ist hin und her gerissen zwischen dem Pflichtgef�hl der Familie Kupfer gegen�ber und den Gef�hlen, die sie dem lebensbejahenden Pfarrer der Kreuzkirche, Robert Wolff, entgegenbringt. Dass sie ihn und die Aktivisten der Umwelt-Bibliothek bespitzeln muss, mag Falk politisch nutzen, f�r die Ehe der beiden ist es Gift.
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungWegen Landesverrats sitzt Julia Hausmann in Hoheneck ein. Hannah Herzsprung
Friedemann Fromm �ber den Stoff:
„Es geht in der zweiten Staffel von ‚Wei�ensee’ auf der einen Seite um Zerfall – des Regimes, der alten Werte und Sicherheiten. Und es geht um Freiheit und Neufindung. Diese Zeit vor dem gro�en Umbruch hat ja durchaus Parallelen zu unserer Zeit, die ich auch als eine ‚Zwischenzeit’ empfinde.“
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungDer Bruderstreit eskaliert. Stasi-Mann Falk zieht die F�den. Hartmann & Lukas
Die zweite Staffel der ARD-Serie „Wei�ensee“ macht dort weiter, wo die erste geendet hat: Die tragische Liebe des jungen Paars liegt �ber der ersten Folge und in der zweiten und dritten bekommen beide Liebesgeschichten der Kupfer-S�hne ihre zweite Chance. Doch es ist abzusehen, dass das nichts mehr werden wird. In einem gesellschaftlichen System, das auf Verrat, Menschenverachtung und vor allem Angst basiert, kann Liebe einfach nicht gedeihen. Und auch dramaturgisch kann es l�ngerfristig unter dem Dach des DDR-Regimes kaum ein Happy End geben. Tragische Helden sind jedenfalls sehr viel wahrscheinlicher – auch in einer Serie, die Politik und Gesellschaft auf den gelebten Alltag herunter bricht, und deutsche Zeitgeschichte im �sthetischen Gewand einer popul�ren Familienserie erz�hlt.
DVD-Trailer zur zweiten Staffel der ARD-Ausnahmeserie "Wei�ensee"
Auch in der Tonlage macht „Wei�ensee 2“ also weiter wie bisher – handlungsintensiv, schicksalstr�chtig, spannend und mit viel Mut zu existentiellen Emotionen, die allerdings noch weniger als in der ersten Staffel melodramatisch verpackt werden. Ein sorgf�ltiges Erz�hlen mit wohldosierten Spannungsmomenten und ausgekl�gelten Ellipsen beteiligen quasi den Zuschauer aktiv mit an den Geschichten. So m�ssen die Schauspieler in den relativ langen Szenen nicht „alles“ in jenen einen Moment legen, sondern m�ssen nur die Stimmung halten, die durch den Fluss der Handlung oder den Wahrnehmungsfluss des Zuschauers vorgegeben wurde. Und weil man wohl noch nie so viele charismatische Charakterk�pfe in einer neuen deutschen Fernsehserie vereint sah, gibt es viele magische Momente: die Umarmung zwischen Sa� und Herzsprung, die angstvollen Ann�herungen zwischen dem jungen Paar, Falks �berspielungen seiner Angst. �berhaupt, mehr noch als in Staffel 1 ist J�rg Hartmann das Gesicht der zweiten „Wei�ensee“-Staffel. Mephistopheles in der Stasioffiziersuniform.�
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungK�nnen Julia und Martin an das Gl�ck von 1980 ankn�pfen? Herzsprung & Lukas
Friedemann Fromm �ber die Tonlage:
„Die zweite Staffel ist rauer als die erste, die ja sehr von der Romantik des Liebespaares lebt. Sie ist f�r mein Gef�hl weniger verspielt – vielleicht erwach-sener. Die Figuren haben ihre Unschuld verloren.“
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungTrotz zerr�tteter Beziehung versuchen es Falk & Vera (Loos) mit einer Eheberatung. W�hrend Julia ihr Kind offenbar verloren hat, planen sie ein Kind zu adoptieren.
Weil sich Seriendramaturgie und Familiendrama perfekt in „Wei�ensee“ verschr�nken, machen die sechs neuen Folgen die Geschichten um die Familie Kupfer reicher, den Zuschauer wissender und das Seriengeflecht noch dichter. Insgesamt wirkt die Fortsetzung allerdings noch weniger wie eine klassische Unterhaltungsserie, sie wirkt dramatischer und politisch glaubw�rdiger. Dass „Wei�ensee“ auch in Staffel 2 den historischen Querschnitt w�hlt, alles ereignet sich 1987, ist die kl�gste dramaturgische Entscheidung von Autorin Annette Hess und Regisseur Friedemann Fromm, der diesmal an alle Drehb�cher Hand angelegt hat: mit dieser mikroskopischen Erz�hlweise verheddert man sich nicht mit den gesellschaftspolitischen und den famili�r-dramatischen Entwicklungslinien, kann sehr viel genauer im Detail sein und erliegt so beim Thema Agonie der DDR nicht der durchaus naheliegenden Gefahr einer Chronologie der Ereignisse. Eine dritte Staffel w�re m�glich, weil Kupfer senior am Ende verhindert, dass der Bruderzwist sich in ein Kain-und-Abel-Szenario ausw�chst. Familie ist alles, beschw�ren sich die Eltern gegenseitig. Interessant w�re es zu sehen, was nach der Wiedervereinigung von dieser Familie bleibt. Der Mauerfall jedenfalls passt nicht zur Tonlage dieser besten deutschen Serie seit „Im Angesicht des Verbrechens“.
Foto: Degeto / MDR / Julia TerjungZwei tieftragische Figuren: Julia Hausmann und ihre Mutter Dunja (Katrin Sa�).
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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