Sylvia hat ihren bei einer Vergewaltigung gezeugten Sohn Ben liebevoll aufgezogen. Dass sie ihm die wahre Herkunft verschwiegen hat, findet Ben kurz nach dem Abitur heraus. Der verunsicherte junge Mann nimmt das seiner Mutter �bel und begibt sich auf die Suche nach dem Vater. „Am Ende des Sommers“ erz�hlt unspektakul�r und vielschichtig von den Folgen eines Verbrechens & vom Erwachsenwerden. Gute Besetzung (Thomas Schubert, Koschitz) in einer stimmigen Mischung aus Ernsthaftigkeit, emotionalen und leichten Momenten.
Foto: MDR / ORF / Hubert MicanEine ungew�hnlich enge Beziehung zwischen Mutter (Koschitz) & Sohn (Schubert)
Ben feiert seinen Matura-Abschluss, es herrscht fr�hliche Aufbruchstimmung. Bei der Party spielt er am Keyboard mit seiner Band brave Rockmusik, die M�dels schauen ihm nach, doch wild wird hier gar nichts. Der attraktive Ben (eine Entdeckung: Thomas Schubert) ist ein ruhiger Typ mit einer engen Beziehung zu seiner alleinstehenden Mutter Sylvia (Julia Koschitz), die ihn sanft f�r das „Streberzeugnis“ tadelt und ihm eine Kopfschmerztablette bereitlegt. Darunter steht auf einem Zettel „Ich bin so stolz auf dich“. Und als die Party vorbei ist und Ben seinen Ferienjob beginnt, funkt es gleich zwischen ihm und der h�bschen, lebhaften Hanna (Alina Fritsch). Auch in deren Familie ist er sofort beliebt und willkommen.
Nikolaus Leytner inszeniert dieses Mittelschichts-Kleinfamilien-Gl�ck, den sympathischen jungen Mann und seine aufgeschlossene Mutter, sowie die ersten Schritte ins „richtige Leben“, von dem Ben und seine Freunde tr�umen, so ungebrochen herzensgut und unbeschwert, dass man auch ohne die allererste Szene misstrauisch w�re. Die deutsch-�sterreichische Produktion „Am Ende des Sommers“ beginnt mit einer Vergewaltigung, man kann allerdings weder den T�ter noch das Opfer erkennen. Lag die Vergewaltigung in der Vergangenheit? Liegt sie in der Zukunft? Des R�tsels L�sung deutet sich wenig sp�ter an: Als Ben mit seiner „Mama“ im Spa� rangelt, reagiert Sylvia auf die Umklammerung panisch. Eine Narbe auf ihrer Hand verweist auf eine l�nger zur�ckliegende Verletzung.
Foto: MDR / ORF / Hubert MicanBehutsame Ann�herung an ihren neuen Verehrer. Julia Koschitz & Johannes Zeiler
Die kluge Dramaturgie baut anfangs eine etwas zwiesp�ltige Spannung auf, bei der man als Zuschauer geradezu auf die ersten Anzeichen wartet, die auf die gezeigte Tat hindeuten und das sonnige Familiengl�ck zerst�ren. Relativ schnell – nicht f�r Ben, aber f�rs Publikum – wird dann das Geheimnis gel�ftet. Und damit beginnt ein tiefgr�ndiges Coming-of-Age- und Familiendrama. Als Ben die von Sylvia eilig entsorgte Todesanzeige ihres Vaters im M�ll findet, stellt er sie zur Rede. Der Film nimmt noch einige Umwege, ehe Ben die ganze Wahrheit herausfindet: die Vergewaltigung, die Verurteilung des Vaters, Sylvias Entscheidung, das Kind zu behalten, und ihre Flucht aus dem Heimatort nach Wien. Wie heftig Ben reagiert, mag nachvollziehbar sein, da er sich um die wahre Geschichte seiner Herkunft betrogen und auch in seinem Rollenverst�ndnis als Mann verunsichert f�hlt. Bisher war er recht zufrieden mit der Version, dass sein Vater, angeblich eine spontane Interrail-Aff�re, ein cooler Typ gewesen sei. Dass dieser bis dahin so r�cksichts- und liebevolle Mustersohn nicht eine Spur Mitgef�hl f�r seine Mutter aufbringt, erscheint dennoch nicht ganz einleuchtend.
Foto: MDR / ORF / Hubert MicanAuch zwischen Ben (Thomas Schubert) und Hanna (Hanna (Alina Fritsch) funkt es.
Glaubw�rdiger dagegen: Parallel zur Suche Bens nach seinem wahren Vater wird die behutsame Ann�herung Sylvias an ihren neuen Verehrer Wolfgang (Johannes Zeiler) erz�hlt. Sylvia steht wegen des absehbaren Auszugs von Ben selbst vor einer neuen Lebenssituation. „Die Geschichte neu schreiben“: Das sei das Einzige gewesen, was sie nach der Vergewaltigung habe tun k�nnen, sagt sie einmal zu Ben. Julia Koschitz spielt Bens Mutter als selbstbewusste und warmherzige Frau, bei der zwar keine traumatischen Verletzungen offen zu tage liegen, die sich aber nur langsam voran tasten kann in der Beziehung zu einem Mann.
„Am Ende des Sommers“ ist weniger ein tragisches „Vergewaltigungs-Drama“ als eine leise und nicht ohne Optimismus erz�hlte Geschichte dar�ber, wie ein schreckliches Ereignis das weitere Leben bestimmt. Nicht zuletzt geht es um das Verh�ltnis der Generationen, um die Emanzipation des Sohnes und die Abnabelung der Mutter – oder umgekehrt. Auch um jugendlichen Aufbruch und die zuweilen bittere Erfahrung der Erwachsenen mit dem „richtigen Leben“. Sieht man davon ab, dass Ben schlie�lich seinem ebenfalls musikalischen Vater gegen�ber stehen wird, fehlt das ganz gro�e, mit Trommelwirbel inszenierte Drama. Aber das ist nur wohltuend. Denn auch wenn diese erneute Zusammenarbeit von Grimme-Preistr�ger Leytner mit der Autorin Agnes Pluch nicht die Qualit�t des Alzheimer- und Liebesdramas „Die Ausl�schung“ erreichen mag, erscheint der unspektakul�re Film wohl durchdacht und gut ausbalanciert mit seiner Mischung aus leichten Momenten, ernsthaften Dialogen, klug eingesetzter Musik und emotionalen Szenen.� (Text-Stand: 13.2.2015)
Foto: MDR / ORF / Hubert MicanDas Trauma sitzt tief. Die N�he zu M�nnern bleibt schwierig. Julia Koschitz
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.