Gefällt wie eine Eiche - So trauerte Bayern um Strauß | Abendzeitung München

Gefällt wie eine Eiche - So trauerte Bayern um Strauß

Nach einem Wiesn-Besuch lässt sich Strauß per Hubschrauber in die Oberpfalz zur Jagd fliegen. Dort bricht er zusammen und kommt nicht wieder zu Bewusstsein. Der Freistaat trauert.
| Karl Stankiewitz
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Der Trauerzug: Am 7. Oktober 1988 ziehen sechs Pferde die Lafette mit dem von einer Fahne bedeckten Sarg mit Franz Josef Strauß von der Residenz über den Odeonsplatz und die Ludwigstraße bis zum Siegestor. Über 100  000 Menschen verfolgen das Geschehen.
AZ-Archiv Der Trauerzug: Am 7. Oktober 1988 ziehen sechs Pferde die Lafette mit dem von einer Fahne bedeckten Sarg mit Franz Josef Strauß von der Residenz über den Odeonsplatz und die Ludwigstraße bis zum Siegestor. Über 100 000 Menschen verfolgen das Geschehen.

Sein letzter Besuch gilt der Wiesn. In der Käfer-Schänke sitzt Franz Josef Strauß am 1. Oktober 1988 zur Mittagszeit mit Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz und dessen Staatssekretär Holger Pfahls. Beim Verlassen des Promi-Zelts fragt Strauß seinen Pressechef Godel Rosenberg noch fröhlich, ob er genug zu trinken habe. In seinem eigenen Krug befand sich nur Mineralwasser. Nie trank er Alkoholisches vor einer Jagd – die für ihn ebenso Sport und Status-Symbol war wie das Fliegen.

Noch am 26. September hatte er selbst, aus Bulgarien heimkehrend, ein Kleinflugzeug gesteuert. Dabei kam es zu einem Druckabfall und zum gefährlichen Sinkflug; in letzter Sekunde konnte Pilot Strauß die Sauerstoffmaske aufsetzen und das Flugzeug unter Kontrolle bringen.

Die letzten Stunden von Franz Josef Strauß

An jenem Samstagnachmittag, bei Regen und Kälte, lässt sich der 73-jährige Politiker mit dem Polizeihubschrauber unmittelbar von der Wiesn in die Oberpfalz fliegen. Sein Freund Johannes von Thurn und Taxis hat ihn zur Hirschjagd eingeladen. Gleich nach der Landung beim Schlösschen Aschenbrenner Marter soll es hinaus ins Revier gehen.

Es ist 15.30 Uhr. Wilhelm Lechner, Haushofmeister des Regensburger Fürsten, reicht Strauß das Jagdgewehr. Beim Abfahren mit dem Auto sagt der: "Halt, warten S’noch." Der Flug sei doch etwas anstrengend gewesen. Bei diesen Worten bricht er auf dem Autositz zusammen. Er wird ohnmächtig, erbricht sich und atmet einen Teil des Mageninhalts ein. Auf der Wiesn soll er deftig gegessen haben: Hendl und Kalbshaxe. Seit langem hat er Übergewicht und Diabetes, mied aber Ärzte.

Strauß stirbt am 3. Oktober 1988

Seine Begleiter legen den schweren Mann auf den Rasen und versuchen, ihn zu reanimieren. Dabei brechen sie ihm mehrere Rippen. Ein Knochensplitter dringt in die Lunge. Ein kurz darauf eintreffender Notarzt, Dr. Rainer Tichy, findet den Bewusstlosen "halb an eigenem Erbrochenen erstickt". Notversorgung und neuerliche Beatmung bleiben erfolglos. Ebenso die Notoperation bei den Barmherzigen Brüdern in Regensburg. Strauß kommt nicht mehr zu Bewusstsein.

Er stirbt am 3. Oktober 1988 um 11.45 Uhr an Herz-Kreislauf-Versagen als Folge eines Multiorganversagens – der Tod ereilt ihn genau zwei Jahre vor Vollendung der deutschen Wiedervereinigung. Einige Tage noch wird der Tote in der Kapelle des Krankenhauses aufgebahrt, um am 5. Oktober nach München überführt zu werden.

100.000 Menschen nehmen Abschied

Es folgt die Zeit der großen Trauer um einen Mann, den so viele Menschen hoch verehrt und nicht wenige tief verabscheut haben. Vor dem Prinz-Carl-Palais nehmen über 100.000 Bürger bis Mitternacht des 6. Oktober sichtlich ergriffen Abschied.

Am nächsten Morgen zelebriert Kardinal Friedrich Wetter ein Pontifikalamt im Dom, welcher genau 500 Jahre zuvor vollendet worden ist und derzeit das Jubiläum feiert. Die Messe wird auf den Marienplatz übertragen, wo mehr als 15.000 Münchner im Regen stehen. Viele weinen.

Gäste aus aller Welt trauern um Strauß

Unter den zahlreichen Trauergästen aus aller Welt – in Riem sind 30 Sonderflugzeuge eingetroffen – begrüßt Wetter namentlich nur den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Hinter ihm sitzt der aus Australien heim geeilte Bundeskanzler Helmut Kohl. Daneben 70 Staats- und Regierungschefs. Sogar die Präsidenten von Nigeria und von Togo. Ministerpräsident Pieter Botha kommt aus Südafrika, wo Strauß öfter Großwild gejagt hat.

Eine Prozession, wie sie nur den Trauerzügen nach dem Tod von Prinzregent Luitpold und von Kurt Eisner vergleichbar ist, bewegt sich sodann durch die Ludwigstraße. Vier Pferde ziehen die Lafette mit dem Sarg, den eine weiß-blaue Rauten-Fahne und ein Strauß von weißen und blauen Blumen bedecken. 1.400 Gebirgsschützen, dazu Ordensbrüder und Trachtler stehen Spalier. Zehntausende säumen schweigend die Straßen. Trauerflor flattert auf Straßenbahnen und Autos.

Hinter dem schwarz verhängten Siegestor löst sich der Trauerzug mit einem Trommelwirbel auf. Während Polizisten und Gebirgsschützen in einem noch nicht abgebauten Wiesnzelt mit Freibier und Hendln bewirtet werden, fährt der Leichenwagen 60 Kilometer weiter, nach Rott am Inn. In dem Klosterdorf haben der damalige Bundesverteidigungsminister und die Brauerstochter Marianne Zwicknagl im Juni 1957 geheiratet.

Kurienkardinal Ratzinger: "Und wie eine Eiche ist er gefällt worden"

Jetzt wird in der berühmten Rokoko-Kirche von Rott noch einmal ein "Sterberosenkranz" gebetet. Wieder sind Tausende angereist, sogar mit Sonderbussen. Kurienkardinal Joseph Ratzinger, 17 Jahre später Papst Benedikt, rühmt den Verstorbenen: "Wie eine Eiche ist er vor uns gestanden, kraftvoll, lebendig, unverwüstlich – so schien es. Und wie eine Eiche ist er gefällt worden." Bürgermeister Josef Attinger träumt von einem Strauß-Museum. Das wird nie kommen, aber das Strauß-Mausoleum in Rott wird zu einer Art Wallfahrtsstätte.

"Der Zusammenbruch traf das Land völlig unerwartet," wird Edmund Stoiber, Chef der Staatskanzlei, später berichten. "Der Vater des modernen Bayern war nicht mehr unter uns." Die Frage der Nachfolge löst die plötzlich verwaiste CSU "schnell und schmerzlos", wie Strauß-Stellvertreter Franz Heubl am 17. Oktober nach einer Geheimsitzung des Parteivorstands mitteilt. Ohne Gegenstimmen werden Theo Waigel zum neuen Parteivorsitzenden und Finanzminister Max Streibl für das Amt des neuen Ministerpräsidenten gewählt.

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