Darf man Hitler von seiner „menschlichen Seite“ zeigen? – Die Diskussion um „Der Untergang“
„Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel (*1957) über die letzten Tage im Leben des Diktators Adolf Hitler (1889 – 1945) ist ein polarisierender Film. Viele loben die historische Detailliebe und die darstellerischen Leistungen. Der Kabarettist Serdar Somuncu (*1968) sah den Film über die letzten Stunden im Leben des „größten Arschlochs der Geschichte aus der Sicht seiner Privatsekretärin“ kritisch, weil der Film dadurch, dass er Hitlers persönliche Sekretärin Traudl Junge (1920 – 2002; im Film gespielt von Alexandra Maria Lara, *1978) und Adolf Hitler (gespielt von Bruno Ganz, 1941 – 2019) selbst zu seinen Protagonisten mache, auch zur Identifikation mit diesen einlade, und zwar das Ende Hitlers und seiner Vertrauten thematisiere, aber die Frage, wieso sie sich in diese Lage manövriert hätten, außen vor ließe.
Ähnlich wie „Hitler – Die letzten zehn Tage“ mit Alec Guinness (1914 – 2000) oder „Der Bunker“ mit Anthony Hopkins (*1937) handelt der Film vom Untergang des NS-Regimes und verlagert die Haupthandlung ins Innere des Führerbunkers, wo Hitler sich mit seiner Geliebten Eva Braun (1912 – 1945, gespielt von Juliane Köhler, *1965), Propagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945; gespielt von Ulrich Matthes, *1959), dessen Frau Magda (1901 – 1945; gespielt von Corinna Harfouch, *1954) und seinen engsten Vertrauten verschanzte, während die Rote Armee Berlin Stück für Stück einnahm. Was der Film entgegen Somuncus Kritik durchaus zeigt, ist, dass die NS-Führung das Volk nicht nur bis zum bitteren Ende weiterkämpfen und -leiden ließ, ja sogar Kinder in den Kampf schickte, sondern auch aktiv die faktische Vernichtung der eigenen Bevölkerung durch die Zerstörung der empfindlichen Infrastruktur herbeiführen wollte – ein Befehl, den Albert Speer (1905 – 1981; gespielt von Heino Ferch, *1963) im Film Hitler gegenüber zugibt, ausgesetzt zu haben.
„Der Untergang“ nimmt sich drei Werke zur Vorlage: Zum einen wäre da das titelgebende Buch „Der Untergang – Hitler und das Ende des Dritten Reiches“ des Historikers Joachim Fest (1926 – 2006). Starken Einfluss hatte aber merklich auch das von Traudl Junge selbst verfasste Buch „Bis zur letzten Stunde“ und der im Spielfilm zu Beginn und Ende in Ausschnitten aufgegriffene Dokumentarfilm „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin“, der im Wesentlichen ein Interview mit Junge darstellt. Alle drei Werke stammen aus dem Jahr 2002, Hirschbiegels Spielfilm von 2004. Junge starb 2002, konnte also zu „Der Untergang“ selbst nie Stellung beziehen. Der ehemalige SS-Oberscharführer Rochus Misch (1917 – 2013), der als Mitglied des Führerbegleitkommandos zu Hitlers unmittelbarem Umfeld zählte, kritisierte einige Details des Films sowie den Umstand, dass Produzent Bernd Eichinger (1949 – 2011) ihn erst kontaktiert und besucht habe, als der Film bereits seit vier Wochen im Kino lief.
Im Großen und Ganzen hält „Der Untergang“ sich an belegbare und dokumentierte Fakten. Die meisten Fehler betreffen Details, wie etwa die Erwähnung von Penicillin, das erst nach 1945 in Deutschland verfügbar wurde, oder fehlerhafte militärische Abzeichen und Kragenspiegel an Uniformen – etwas, was den meisten Zuschauern schon allein deshalb nicht auffallen dürfte, weil sie keine Kenntnisse der Rangabzeichen von Wehrmacht und SS besitzen dürften. Etwas schwerer wiegt da schon, dass Reichsmarschall Hermann Göring (1893 – 1946; gespielt von Mathias Gnädinger, 1941 – 2015) einen Brief an Hitler mit „Göring, Reichsfeldmarschall“ unterzeichnet. Feldmarschall war der höchste Generalsrang. Der Dienstgrad des Reichsmarschalls war extra für Göring geschaffen worden, womit er nach Hitler selbst der höchste militärische Befehlshaber war. Einen Reichsfeldmarschall gab es nicht. Die wohl einzig wirklich eklatante Abweichung im Film betrifft jedoch die Selbstmorde des Ehepaars Goebbels, des Generals der Infanterie Hans Krebs (1898 – 1945; gespielt von Rolf Kanies, +1957) und des Generals der Infanterie Wilhelm Burgdorf (1895 -1945; gespielt von Justus von Dohnányi, *1960): Magda Goebbels bringt ihre Kinder mit Gift um, danach erschießen sie und Joseph Goebbels sich. In der Realität vergifteten sich beide mit Blausäure. Ein ähnliches Schicksal ereilte die beiden Generäle, denn auch sie brachten sich laut den Obduktionsberichten der Roten Armee mit Gift um. Rochus Misch, der im Film gezeigt wird, wie er die blutüberströmten Köpfe der Toten mit Tüchern abdeckt, sagte in einem Interview im Jahre 2006: „Etwas später fand ich die Leichen von General Krebs und General Burgdorf. Sie hatten sich eindeutig zusammen vergiftet, da keine Verwundungen oder Blut zu sehen war.“
Nun sind kleine dramaturgisch bedingte Änderungen in Spielfilmen weder ungewöhnlich noch dramatisch. Allerdings rühmten sich die Macher um Eichinger (neben Produktion auch Drehbuch) und Hirschbiegel ihrer genauen Recherche und der besonderen Faktennähe des Films. Falsche Rangabzeichen sind Flüchtigkeitsfehler von Kostüm und Ausstattung, wie sie jeder großen Filmproduktion unterlaufen. Doch die Todesumstände von vier im Film prominent inszenierter Personen mit Kopfschüssen etwas reißerischer zu gestalten, dürfte eine bewusste Entscheidung gewesen sein.
Das Kernproblem von „Der Untergang“ bleibt aber der Umgang mit der NS-Führung als solcher. Die Frage ist und bleibt, ob man einen Massenmörder und Kriegsverbrecher wie Hitler so darstellen sollte, wie der Film es tut. Dabei geht es nicht um die zweifelsohne überragende und authentische Schauspielleistung von Bruno Ganz, sondern darum, ob es richtig ist, Hitler als Mensch zu porträtieren. Auf der einen Seite entmystifiziert so eine Darstellung Hitler, zeigt, dass er eben kein „Übermensch“ war, sondern eine ziemlich kümmerliche Gestalt, die trotz aller Megalomanie und alles Narzissmus von einem Selbsthass zerfressen war, den sie auf ihr ganzes Volk übertrug, den Willen zur Selbstzerstörung inbegriffen. Auf der anderen Seite birgt die Entdämonisierung Hitlers auch die Gefahr, dass der Zuschauer Empathie mit ihm zeigt. Nun ist Mitgefühl grundsätzlich eine der wohl begrüßenswertesten menschlichen Eigenschaften und eine der Hitler, wie er im Film selbst zum Besten gibt, willentlich entsagte. Aber Mitgefühl mit einem Massenmörder? Denn das ist nun einmal der Plot des Films: Wir, die Zuschauer, hocken mit keinem anderen als dem „größten Arschloch der Geschichte“, Adolf Hitler in diesem Bunker und verfolgen seinen „Leidensweg“ mit, ohne dass der Film je ein Wort darüber verliert, warum sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hat. Das mag für einen distanzierten, historisch gut informierten Betrachter völlig unproblematisch, vielleicht sogar erhellend sein. Für jemanden, der vorher nicht zumindest „Schindlers Liste“ geguckt hat, und eher unbedarft in diesen Film geht, ist es zumindest kritisch. Auf der anderen Seite ist es nicht die Aufgabe von Kunst, Verantwortung für jegliche Dummheit ihrer Betrachter zu übernehmen. Autoren und Regisseure müssen bei derart problemorientierten Filmen auf eine gewisse Mündigkeit und Reflektiertheit ihres Publikums vertrauen dürfen, weil Filme wie „Der Untergang“ möglich sein müssen, wenn Kunst die Geschichte eben nicht nur einseitig abbilden will. Und eine einseitige, eingefärbte künstlerische Rezeption historischer Ereignisse würde, egal wie wohlwollend sie auch ist, an Geschichtsklitterung grenzen, denn so eindeutig wie bei den Nazis liegt der Fall selten.