Sandro Botticelli (1445–1510) zählt zu den bedeutendsten Malern der Renaissance. Nicht zuletzt als Porträtist machte er sich einen Namen. Eine Person hat der Florentiner geradezu in Serie dargestellt: Giuliano di Piero de’Medici (1453–1478). Vier Fassungen seines Konterfeis haben sich erhalten. Stets hält er darauf die Augen geschlossen, und auf der Version in der National Gallery in Washington begleitet ihn eine Taube, die sich auf einem verdorrten Zweig niedergelassen hat, ein Zeichen ewiger Treue: Kunst im Dienst politischer Propaganda. Denn als die Porträts entstanden, war Giuliano bereits tot, Opfer einer Verschwörung gegen die Medici, Botticellis Auftraggeber.
Der Anschlag der sogenannten Pazzi-Verschwörung am 26. April 1478 besaß alle Ingredienzien eines internationalen Komplotts. Adlige, Bankiers, Söldner und Kirchenfürsten bis in die höchsten Etagen des Vatikan waren darin verstrickt. Sie einte das Ziel, den Medici, der mächtigsten und reichsten Familie von Florenz, Mäzene der Renaissance und globale Unternehmer, endgültig den Garaus zu machen.
Die Gelegenheit schien günstig. Nach dem Tod des großen Cosimo, der die Familie an die Spitze der Florentiner Gesellschaftshierarchie geführt hatte, und der kurzen Herrschaft seines Sohnes Piero hatte 1469 dessen gerade einmal 20jähriger Sohn Lorenzo (1449–1492) die Führung der Geschäfte übernommen. Ohne große Erfahrung für das sensible Machtspiel zwischen der Fassade einer republikanischen Verfassung, Familienrivalitäten, Patronage und protokapitalistischer Ökonomie, galt er als leichter Gegner für Konkurrenten, die nach dem Vorbild der Medici im Bankgeschäft reich geworden waren.
Vor allem der Pazzi-Clan pochte darauf, endlich einen Anteil an der politischen Macht zu erhalten, der seinen Geschäftsbilanzen entsprach. Lorenzo de’ Medici hatte ihnen daraufhin im Squittino, der Prüfung der Amtsfähigkeit, die Grenzen aufgezeigt und ihnen zudem eine lukrative Erbschaft durchkreuzt, was erhebliche Einbußen an Geld und – vor allem – Ehre zur Folge hatte.
Auf der Suche nach einem Verbündeten wurden sie bei Francesco della Rovere (1414–1488) fündig. Diesem Emporkömmling aus der wenig bedeutenden Stadt Savona war es 1471 gelungen, auf den Thron Petri gewählt zu werden. Als Sixtus IV. machte er sich umgehend daran, seiner Familie mit zahlreichen Pfründen den sozialen Aufstieg zu bereiten.
Indem er sechs Verwandten den Kardinalshut verschaffte, blockierte er zugleich die Begehrlichkeiten der Medici. Schließlich entzog Sixtus ihnen sogar die Rolle des päpstlichen Bankiers und übertrug das Amt des Generaldepositars den Pazzi. Die dankten dem Heiligen Vater, indem sie ihm den Kauf der Festung Imola finanzierten, die die Verbindungen zu den Alaunminen der Medici kontrollierte, deren Salze für die Tuchfärbung entscheidend waren.
Diesem Machtkartell trat auch der Erzbischof von Pisa, Francesco Salviati, mit seinem Bankiers-Clan bei. Als Männer fürs Grobe steuerte der Papst noch zwei Söldnerführer bei. Federico da Montefeltro ging mit 600 Mann unweit der Stadt in Stellung, um die erwartete Erhebung zu unterstützen. Den tödlichen Schlag gegen Lorenzo de’ Medici sollte Giovanni Battista da Montesecco führen. Auf ihn geht die Aussage zurück, sein päpstlicher Vorgesetzter habe unzweideutig den Sturz der Medici gewünscht, „solange niemand getötet wird“, ein der hohen Würde geschuldetes paradoxes Lippenbekenntnis, urteilt der Historiker und Renaissance-Spezialist Volker Reinhardt.
Als Tag des Anschlags wurde Ostern 1478 festgesetzt. Es war zu erwarten, dass die beiden Brüder Lorenzo und Giuliano es sich nicht nehmen lassen würden, am 26. April zum Hochamt im Dom zu erscheinen.
Nun aber begannen die Probleme. Der alte Krieger Montesecco gab vor, ein Attentat an einem hohen christlichen Fest nicht mit seiner Moral vereinbaren zu können. Gut möglich, dass dem erfahrenen Militärführer schwante, wie die Florentiner auf einen Anschlag während der Messe reagieren würden. Zwei Priester hatten weniger Skrupel und erklärten sich zum Anschlag bereit, allerdings war ihre Erfahrung im Umgang mit Mordwerkzeugen begrenzt.
Schließlich fühlte sich Giuliano am Morgen des Osterfestes unwohl, sodass Francesco de’Pazzi und sein Gefolgsmann Bernardo Bandini ihren ganzen geheuchelten Charme aufwenden mussten, um ihn zum Gang in den Dom zu bewegen. Dabei stellten sie erleichtert fest, dass der jüngere Medici keinen Panzer unter seinem Gewand trug.
Als Zeichen war der Glockenton verabredet worden, der die Wandlung von Wein und Brot in Blut und Körper Christi anzeigt. Mit 19 Messerstichen wurde Giuliano de’ Medici buchstäblich niedergemetzelt, wobei sich Pazzi selbst eine Wunde im Schenkel beibrachte. Auch die beiden Priester bewiesen, dass sie keine Profis waren. Lorenzo konnte sich verteidigen und entkam leicht verletzt in die Sakristei und von da in seinen Palast. Und er war geistesgegenwärtig genug, das Volk von Florenz an die Wohltaten seiner Familie zu erinnern und sie unter seinen Schutz zu stellen.
Die Florentiner ließen sich das nicht zweimal sagen. Statt sich gegen die Herrschaft der Medici zu erheben, machten sie Jagd auf die Verschwörer und ihre Anhänger. „Die Gliedmaßen der Ermordeten sah man sie auf den Spitzen der Waffen steckend umhertragen oder durch die Straßen schleppen; überall vernahm man Ausbrüche des Hasses, überall sah man grause Handlungen gegen die Pazzi“, schrieb der Zeitgenosse Niccolò Machiavelli in seiner „Geschichte von Florenz“.
Der Erzbischof wurde unter dem Johlen der Menge im vollen Ornat vor dem Palazzo Vecchio gehängt. Francesco de’Pazzi wurde nackt durch die Straßen getrieben, ebenfalls gehängt und in den Arno geworfen. Bandini konnte nach Konstantinopel entkommen, doch erwirkte Lorenzo beim Sultan die Auslieferung. Seine Hinrichtung war Leonardo da Vinci eine Skizze wert.
Lorenzo de’Medici nutzte die Gelegenheit, um auch mit anderen Gegnern abzurechnen. Doch es war Blutdurst mit eiskaltem Kalkül. Zwar verhängte Papst Sixtus IV. das Interdictum (Verbot christlicher Rituale) über Florenz und brachte seinen mächtigen Verbündeten, König Ferdinand von Neapel, dazu, der Stadt den Krieg zu erklären. Doch Lorenzo setzte auf Diplomatie, reiste nach Neapel und brachte einen akzeptablen Frieden nach Hause.
Dabei gab er sich als „wahrhaft patriotisch beseelter Bürger, zum Selbstopfer entschlossen, um das Gemeinwesen zu retten“ (Volker Reinhardt), was seine Stellung weiter stärkte. Nicht nur als Kunstmäzen galt er bald als „il Magnifico“ (der Prächtige).
Dafür sorgten auch Botticellis Porträts seines ermordeten Bruders, die die Erinnerung an die Verschwörung der Pazzi wachhielten. Doch es ging Lorenzo wohl nicht nur um Politik, sondern auch um Familiensinn. Nach Giulianos Ermordung erfuhr er, dass dieser mit einer Geliebten ein Kind gezeugt hatte, das einige Tage nach dem Anschlag zur Welt gekommen war. Lorenzo nahm den Jungen auf und ließ ihm eine standesgemäße Erziehung zukommen. Als Papst Clemens VII. sollte er 1523 den Stuhl Petri besteigen.
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