Gestern starb die Schauspielerin Jenny Gröllmann: Langer Abschied

Gestern starb die Schauspielerin Jenny Gröllmann: Langer Abschied

Als Jenny Gröllmann Mitte Juli aus dem Krankenhaus in ihre Wohnung zurückkehrte, blickte sie in den Spiegel und sagte, dass sie nun dem Tod ins Gesicht sehen könnte. Die Schauspielerin starb gestern mit 59 Jahren in Berlin.1947 wurde sie in Hamburg geboren, 1949 zog die Familie nach Schwerin, 1955 nach Dresden. Der Vater ist Bühnenbildner, die Mutter Theaterfotografin, später Bildchefin beim "Magazin". Ihre Tochter steht mit vierzehn Jahren in Dresden auf der Bühne, in Brechts "Gesichte der Simone Machard". Mit sechzehn beginnt sie ein Studium an der Berliner Schauspielschule. 1966 wird Jenny Gröllmann für 26 Jahre ein Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters.Der Einstand da ist nicht leicht. Ihre erste Hauptrolle wird lange geprobt, aber die Premiere findet nicht statt - das Stück, Milan Kunderas "Schlüsselbesitzer", ist politisch umstritten. Am Theater gibt es andere, sehr gute junge Schauspielerinnen, die Regisseure haben die Wahl. Manchmal bekommt sie eine Rolle durch Umbesetzungen. "Ich bin, glaube ich, eine ganz gute Übernehmerin", sagt sie 1980.Das Gorki-Theater ist ihre feste Beziehung, zu Film und Fernsehen macht sie Ausflüge. "Sie hatte dieses merkwürdig helle Gesicht, das sie durch den Beruf begleitete", sagt Wolfgang Kohlhaase, der Autor von Konrad Wolfs Film "Ich war neunzehn". Da ist sie zwanzig und spielt ein junges verstörtes Ding, das bei Kriegsende als Flüchtling in Bernau stecken geblieben ist. Danach dreht sie immer weiter, oft mehrere Filme in einem Jahr. Verträumte Mädchen, schnippisch Aufbegehrende, Kapriziöse, Zerrissene, Melancholikerinnen, Selbstbewusste. Sie ist sehr gut zu fotografieren. Ihr Typ passt in die Zeit, so sehen damals auch die schönen Mädchen in Polen oder Frankreich aus.Jenny Gröllmann verliebt sich und bekommt 1969 ihre Tochter Jeanne. Sie verliebt sich 1973 in einen anderen Mann und heiratet. Neun Jahre später lernt sie bei Dreharbeiten zu dem Fernsehfilm "Die Poggenpuhls" den Schauspieler Ulrich Mühe kennen. Sie heiraten, 1985 wird ihre Tochter Anna Maria geboren. 1985 hat auch der Defa-Film "Hälfte des Lebens" Premiere. Mühe spielt Friedrich Hölderlin, Jenny Gröllmann spielt Susette Gontard. Von diesem Paar geht auf der Leinwand ein Leuchten aus.Ulrich Mühe ist sechs Jahre jünger als seine Frau und auf dem Weg, einer der Großen in seinem Beruf zu werden. Der schmale Mann besitzt als Schauspieler eine brennende Präsenz. Vielleicht geht dem Paar die Balance verloren, weil einer erfolgreicher wird als der andere. Mühe bekommt viele anspruchsvolle Angebote, er arbeitet zu Ostzeiten auch im Westen und verliebt sich bei Theaterarbeiten in Salzburg in eine andere Frau.1990 folgt die Scheidung und Deutschland ist wiedervereinigt. Jenny Gröllmann muss sich auch als Schauspielerin neu verankern. Die dünne Angebotslage nach der Wende beendet der Autor Ulrich Plenzdorf. Er übernimmt nach Jurek Becker eine Staffel der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" und schlägt dem Regisseur vor, Jenny Gröllmann zu besetzen. Die Rolle als Partnerin von Manfred Krug wird ein Erfolg, danach geht es ihr viel besser im Beruf. Privat lebt sie inzwischen glücklich mit einem Filmarchitekten zusammen, einem zurückhaltenden und fürsorglichen Mann. 2004 heiraten sie.Beide wissen, dass Jenny Gröllmann seit fünf Jahren, seit 1999, Krebs hat. Sie bringt mehrere Chemotherapien hinter sich und dreht weiter, zunächst mit Perücken.2001 recherchiert ein Journalist der "Bild am Sonntag" bei der Birthler-Behörde und schreibt dann, dass Jenny Gröllmann als IM für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Die Super-Illu zieht nach. Die Schauspielerin bestreitet die Vorwürfe sofort. Die Geschichte bleibt zunächst ohne Resonanz. Jenny Gröllmann trifft sich danach mit dem Mann, der die Treffberichte geschrieben hat und erfährt, dass er sie ohne ihr Wissen als IM geführt hat. Der ehemalige Major entschuldigt sich bei ihr, auch für erfundene Berichte.Anfang 2002 wird wieder Krebs gefunden. Wieder Chemo. Drei Jahre später kommt die Krankheit zurück. Im September 2005 steht die Schauspielerin zuletzt in einem "Tatort" vor der Kamera. Sie ist nun unheilbar krank und bekommt Morphium gegen die Schmerzen.Im Oktober 2005 gibt Ulrich Mühe in Vorbereitung des Film "Das Leben der Anderen" ein Interview, das im Frühjahr 2006 im Buch zum Film erscheint. Darin wirft Mühe seiner früheren Frau vor, als IM für die Staatssicherheit gearbeitet zu haben. Seine Äußerungen dazu nehmen knapp vier Druckseiten ein. Ihn selbst, sagt Mühe, habe sie nicht observiert. Aber jetzt ist der Fall in der Welt.Sie gibt eine eidesstattliche Erklärung ab und erwirkt eine einstweilige Verfügung: Die betreffenden Passagen müssen geschwärzt werde, Ulrich Mühe darf seine Behauptung nicht wiederholen. Auch andere Verlage dürfen es nicht. Mühe, Springer und Ullstein klagen dagegen. Im Juli entscheidet das Landgericht Berlin zu Gunsten von Jenny Gröllmann: Die Verdachtsmomente würden keine Grundlage für Tatsachenbehauptungen ergeben. Zudem haben Freunde der Schauspielerin recherchiert und auch die Treffberichte geprüft. Die Inspizientenbücher des Gorki-Theaters erweisen, dass sie zumindest zum Zeitpunkt von fünf dieser Treffen auf der Bühne gestanden hat.Im größeren, öffentlich nicht bekannten Teil der Akte liegen neben persönlichen Unterlagen Berichte von IMs und Dossiers, die die Staatssicherheit angelegt hat. Die Schauspielerin ist viele Jahre ausgeforscht und denunziert worden. Die Akte und das Leben passen als Wahrheitsbeweis nicht zusammen. Nicht in diesem Fall.Der Ausgang des Prozesses erreicht Jenny Gröllmann noch bei Bewusstsein. An einem ihrer besseren Tage gibt sie dem Magazin Stern das einzige Interview zu dem Thema. Sie erklärt ihre Position und sagt: "Ich habe bisher durchgehalten, weil ich das zu Ende bringen muss - meinetwegen bis zum Tod." Ein Artikel stützt ihre Aussagen mit Beweisen. Freunde und Fremde schicken ihr Glückwünsche. Dann stirbt Jenny Gröllmann. Diese Geschichte kennt keine Gewinner.------------------------------Foto: Jenny Gröllmann 1974 auf einem Foto von Sibylle Bergemann. In dieser Zeit spielte sie im Gorki-Theater, in dem sie 1966 als Hausmädchen in Ibsens "Nora" debütiert hatte. Einem größeren Publikum wurde sie danach durch ihre Arbeit im Film und Fernsehen bekannt - es begann 1968 mit Konrad Wolfs "Ich war neunzehn".Als dieses Foto entstand, hatte Jenny Gröllmann mehrere Hauptrollen im Fernsehen gespielt, zum Beispiel in "Eva und Adam" oder "Broddi". Zu ihren wichtigsten Kino-Filmen in der DDR gehörten "Die Flucht" von Roland Gräf, "Hälfte des Lebens" von Herrmann Zschoche und "Dein unbekannter Bruder" von Ulrich Weiß.