Septembermorgen Im Nebel ruhet noch die Welt, Noch träumen Wald und Wiesen: Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, Den blauen Himmel unverstellt, Herbstkräftig die gedämpfte Welt In warmem Golde fließen.
Eduard Mörike (1804 - 1875), deutscher Erzähler, Lyriker und Dichter
Quelle: Mörike, E., Gedichte
Herbsttag Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, Und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker; gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne
Lust'ge Vögel in dem Wald, singt, solang es grün, ach wer weiß, wie bald, wie bald alles muß verblühn! Sah ich's doch vom Berge einst glänzen überall, wußte kaum, warum du weinst, fromme Nachtigall. Und kaum ging ich über Land frisch durch Lust und Not. wandelt' alles, und ich stand müd im Abendrot.
Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, deutscher Dichter, Novellist und Dramatiker
Hab Dank, du lieber Wind Ich bin in den Garten gegangen und mag nicht mehr hinaus. Die goldigen Äpfel prangen mit ihren roten Wangen und laden ein zum Schmaus. Wie ist es anzufangen? Sie hängen mir zu hoch und zu fern. Ich sehe sie hangen und prangen und kann sie nicht erlangen und hätte doch einen gern! Da kommt der Wind aus dem Westen und schüttelt den Baum geschwind und weht herab von den Ästen den allerschönsten und besten - hab Dank, du lieber Wind!
Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874), eigentlich August Heinrich Hoffmann, deutscher Schriftsteller, dichtete 1841 auf Helgoland »Das Lied der Deutschen«, dessen 3. Strophe die heutige Deutsche Nationalhymne ist.
Nun hat es sich gewendet, das grüne Buchenblatt, nun hat es sich geendet, was mich erfreuet hat. Die Rose hat verloren die roten Blüten all, was du mir hast geschworen, es war ein leerer Schall. Das Blatt am Buchenbaume gibt keinen Schatten mehr, dem allerschönsten Traume blüht keine Wiederkehr.
Hermann Löns (1866 - 1914), deutscher Naturforscher, Tierschilderer, Heide- und Liederdichter
Oktoberlied Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich! Und wimmert auch einmal das Herz – Stoß an und laß es klingen! Wir wissen's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen. Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. Die blauen Tage brechen an, Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen!
Theodor Storm (1817 - 1888), Hans Theodor Woldsen Storm, deutscher Jurist, Dichter und Novellist
Blätterfall Leise, windverwehte Lieder, mögt ihr fallen in den Sand! Blätter seid ihr eines Baumes, welcher nie in Blüte stand. Welke, windverwehte Blätter, Boten, naher Winterruh, fallet sacht!… ihr deckt die Gräber mancher toten Hoffnung zu.
Heinrich Leuthold (1827 - 1879), Schweizer Dichter und Epiker, Mitglied des Münchner Dichterkreises und Übersetzer französischer Lyrik
Verstreute Blüten Jagt vor sich her und holt ein Der jähe Sturmwind.
Fujiwara-no-Sadaie (1162 - 1242), japanischer Dichter
Musik im Mirabell Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn Im klaren Blau, die weißen, zarten. Bedächtig stille Menschen gehn Am Abend durch den alten Garten. Der Ahnen Marmor ist ergraut. Ein Vogelzug streift in die Weiten. Ein Faun mit toten Augen schaut Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten. Das Laub fällt rot vom alten Baum Und kreist herein durchs offne Fenster. Ein Feuerschein glüht auf im Raum Und malet trübe Angstgespenster. Ein weißer Fremdling tritt ins Haus. Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge. Die Magd löscht eine Lampe aus, Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.
Georg Trakl (1887 - 1914), österreichischer frühexpressionistischer Dichter und Lyriker
Quelle: Trakl, G., Gedichte
Herbst Astern blühen schon im Garten, Schwächer trifft der Sonnenpfeil. Blumen, die den Tod erwarten Durch des Frostes Henkerbeil. Brauner dunkelt längst die Heide, Blätter zittern durch die Luft. Und es liegen Wald und Weide Unbewegt in blauem Duft. Pfirsich an der Gartenmauer, Kranich auf der Winterflucht. Herbstes Freuden, Herbstes Trauer, Welke Rosen, reife Frucht.
Detlev von Liliencron (1844 - 1909), eigentlich Friedrich (Fritz) Adolf Axel Freiherr von Liliencron, deutscher Lyriker des Impressionismus und Naturalismus