Die frühere Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer, ist tot. Sie sei am Mittwoch im Kreise der Familie nach langer schwerer Krankheit friedlich gestorben, sagte ihr Sohn Johann Vollmer am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die frühere Grünen-Politikerin wurde 79 Jahre alt. Zwischen 1994 und 2005 war die promovierte Theologin Vizepräsidentin des Bundestags, im Bundestag saß sie von 1983 bis 1985, von 1987 bis 1990 und schließlich von 1994 bis 2005.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) erinnerte an die Errungenschaften ihrer verstorbenen Parteikollegin. Diese sei die erste Vizepräsidentin der Grünen im Bundestag gewesen, „sie war von Beginn an dabei und hat Vieles von dem durchgekämpft, wovon wir heute profitieren“, schrieb Göring-Eckardt auf Twitter. „Und sie hat ihren eigenen Kopf behalten, unbeugsam! Danke Antje.“
Die politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, erinnerte an Vollmer. „Meine Gedanken sind bei ihren Hinterbliebenen. Mein herzliches Beileid“, schrieb Büning.
Auch der Deutsche Bundestag gedachte seiner ehemaligen Vizepräsidentin am Donnerstag in einer Schweigeminute. Die amtierende Präsidentin Yvonne Magwas (CDU) sprach Vollmers Familie das Mitgefühl des Parlaments aus und bat die Abgeordneten um ein kurzes Innehalten in Gedenken an Vollmer.
Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schrieb: „Antje Vollmer war eine unbequeme Mahnerin, eine unbeirrbare Humanistin und eine bedeutende politische Persönlichkeit.“ Ihr Tod sei ein großer Verlust.
Karriere als Parteilose begonnen
Antje Vollmer begann ihre Karriere im Bundestag als Parteilose. Nach außen wahrgenommen wurde die promovierte Theologin in erster Linie als Mahnerin und Tugendwächterin. Ihren beruflichen Werdegang begann die alleinerziehende Mutter Anfang der 70er-Jahre als Pastorin in Berlin-Wedding. Nach ihrem Pädagogik-Examen lehrte sie an der Evangelischen Heimvolkshochschule in Bethel. Über ihr Engagement bei der Landjugend in ihrer Heimat Westfalen und ihre Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft „Bauernblatt“ gelangte Vollmer zu den Grünen.
Noch parteilos, ließ sie sich 1983 auf Platz zwei der dortigen Landesliste setzen. Bereits 1984 wurde sie mit Waltraud Schoppe und Annemarie Borgmann von der Fraktion zur Sprecherin gewählt. Die Partei hatte das „Feminat“ ausgerufen, die drei Frauen bildeten eine gleichberechtigte Dreierspitze als Sprecherinnen. „Die weibliche 3er-Spitze war legendär“, schrieb Göring-Eckardt auf Twitter. Erst 1985 trat sie den Grünen bei.
Ab 1985 hatte sie sich zunehmend für den Dialog mit inhaftierten RAF-Häftlingen engagiert. Bei den Grünen gehörte Antje Vollmer zunächst eher zum linken Flügel und bemühte sich später mit dem von ihr 1988 initiierten „Grünen Aufbruch“, die Gräben zwischen „Realos“ und „Fundis“ zu überwinden. Unumstritten blieb Vollmer aber auch in der eigenen Partei nie. So wandte sie sich etwa gegen den deutsch-deutschen Einheitsvertrag, der ihrer Meinung nach die Einheit auf die „teuerste nur mögliche Weise“ herstellte. Zuletzt hatte sie sich öffentlich kritisch zum Kurs der Bundesregierung im Ukraine-Krieg geäußert.
Nach der Wahl 1990, als die Grünen aus dem Bundestag flogen, hatte Vollmer vier Jahre Pause, in der sie für die „taz“, den „Spiegel“ und die Frauenzeitschrift „Emma“ schrieb. Engagement für Frauen gehörte für sie ohnehin zu den wichtigsten Politikfeldern. Sie habe Frauen zeigen wollen, „dass man auch Politik machen kann, wenn man eine zitterige Stimme hat“, sagte die Politikerin einmal. Mit dem Aufstieg der Grünen zur drittstärksten Kraft im Bundestag 1994 erhielt die in Hessen kandidierende Vollmer wieder ein Mandat. Mithilfe der Union, in einer „symbolischen Grenzüberschreitung“, wurde sie zur Vizepräsidentin des Bundestags gewählt.
Als Parlamentsvizepräsidentin engagierte sie sich besonders für die deutsch-tschechische Aussöhnung. Dafür wurde sie 1997 mit der Gedenkmedaille der Prager Karls-Universität geehrt.