Alles über Elly | Kritik | Film | critic.de

Alles über Elly – Kritik

Schon vor seinem Meisterwerk Nader und Simin – Eine Trennung schwankte Asghar Farhadi zwischen Erzählgenie und One-Trick-Pony.

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„Ja oder Nein?“, fragt jemand kurz vor Schluss in Alles über Elly (Darbareye Elly, 2009). Eine klare Frage, die eine eindeutige Antwort fordert. Doch so einfach ist es nicht. Ist es nie in den Filmen von Asghar Farhadi. Ketzerisch könnte man auch sagen: Es ist immer auf eine ziemlich ähnliche Weise nicht so einfach beim iranischen Regisseur, der vor knapp drei Jahren mit Nader und Simin – Eine Trennung (Jodaeiye Nader az Simin, 2011) den Berlinale-Wettbewerb gewann.

Ob in Alles über Elly, Nader und Simin oder Le passé – Das Vergangene (Le passé, 2013): Die Erzählung wird stets von einigen Elementen zusammengehalten, die in allen drei Filmen recht deutlich übereinstimmen. Immer löst eine bedrohliche Situation eine Kettenreaktion aus – Menschen streiten um die Schuldfrage, Paare entzweien sich, Kinder werden zu Opfern der elterlichen Fehler. Doch was hier nach Versatzstücken klingt, erfüllt Farhadi mit Leben – mit intensiven Dialogen, ständigen Verschiebungen auf der Suche nach Wahrheit und einer damit verbundenen enormen narrativen und moralischen Komplexität. Die zahllosen Schichten dieser  Komplexität zu entblättern, darin besteht die Raffinesse der Filme Farhadis. Doch kaum scheint das darunter versteckte Puzzle freizuliegen, verändert eine Information, ein bislang fehlender Baustein, ein Perspektivwechsel das Bild. Immer und immer wieder, bis der Kopf schwirrt.

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Wohl kaum ein anderer Filmemacher entwirft derzeit so meisterhaft konstruierte erzählerische Gebäude wie Farhadi. Doch beim wiederholten Gang durch diese Gebäude werden die vielen clever platzierten Hebelchen und Stricke sichtbar, mit denen er hantiert. Was beim ersten Sehen genial erscheint, kann beim dritten Mal formelhaft wirken. Dass man keiner dieser beiden Varianten restlos zustimmen mag, sondern in der Ambiguität zwischen Ja und Nein verharrt, zeugt vom immensen Talent eines Regisseurs, der zwar immer wieder dieselben Mittel nutzt, aber damit doch stets zu faszinieren versteht.

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In Alles über Elly fährt eine Gruppe von Freunden in den Strandurlaub. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich – es wird viel gelacht, geflachst und gealbert. Frauen und Männer vermischen sich ganz unbefangen, die Kopftücher der Frauen sind weit zurückgeschoben. Und es ist eine Frau, die die Gruppe anführt: Sepideh (Golshifteh Farahani aus Stein der Geduld (Syngué sabour), 2012). Sepideh hat jemanden von außerhalb des engen Freundeskreises mitgenommen – eine Bekannte, Elly (Taraneh Alidoosti aus dem starken Drama Modest Reception – Die Macht des Geldes (Paziraie sadeh), 2012). Elly soll den geschiedenen Ahmad (Shahab Hosseini) kennenlernen. Und der Plan der Kupplerin scheint aufzugehen ...

Doch plötzlich dreht der Film, die Idylle zerbricht. Elly ist weg. Panisch beginnen die anderen, nach ihr zu suchen. Ist sie einfach wortlos abgehauen? Ist sie verunglückt? Hat sie sich gar etwas angetan? Was mit ihr geschehen ist, weiß auch der Zuschauer nicht. Und aus dieser Ellipse, diesem blinden Fleck der Kamera erwächst die Spannung des Films. Schon an diesem Punkt verändert sich der Blick auf die Handlung erstmals. Wirkte es eben noch, als herrsche rundum unbeschwerte Urlaubsstimmung, so fällt den Freunden plötzlich auf, dass Elly etwas zu bedrücken schien.

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Woran das lag und was mit ihr passiert ist, das mag sich nach und nach enträtseln lassen. Doch die bloße Auflösung des Plots ist nicht das Hauptanliegen des Films. Vielmehr schält sich auch hier wieder die zentrale Frage des filmischen Schaffens von Asghar Farhadi als eigentliches (und weitaus komplexeres) Thema von Alles über Elly heraus: die Frage nach der Schuld.

Freunde beginnen, einander schwere Vorwürfe zu machen, Ehepartner schlagen sich gegenseitig. Jeder wird retrospektiv zum Inkriminierten, zum unwissentlichen Komplizen. Und eben weil alle ihre moralische Unschuld verlieren, gibt es keine eindeutige Antwort auf die Schuldfrage und somit auch keine Katharsis. Stattdessen existieren immer nur Facetten der Wahrheit – viele, aber nie vollständig komplementäre Perspektiven. Nichts in diesem Film ist sicher. Alles, was die Figuren sagen, ist fragwürdig, steht unter Verdacht, von Unwissen, Halbwahrheiten, Auslassungen und Lügen geprägt zu sein.

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Dass diese Situation zumindest teilweise den gesellschaftlichen Umständen geschuldet ist, hebt das private Drama des Plots auf eine politische Ebene. Denn die spezifisch iranischen Gegebenheiten verursachen das Unheil erst, das halb über die Figuren hereinbricht, halb von ihnen ausgelöst wird. Die Stichwörter sind Islam, Geschlecht, Zwangsehe und Entehrung. Ohne die Mentalität, die die iranischen Ajatollahs einem Großteil ihres Volkes aufgezwungen haben, wären die Probleme von Elly und ihren Gastgebern keine Probleme. Erst der Geist der Theokratie macht sie dazu. Diese mutige, wenn auch implizite Kritik ist sicher einer der Gründe, weshalb Alles über Elly bei der – gerade in Bezug auf den Iran – stets politisch engagierten Berlinale den Silbernen Bären gewann.

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