Tennessee Williams (1911�1983): Sch�tzender Schein
ArchivDeutsches �rzteblatt PP5/2023Tennessee Williams (1911�1983): Sch�tzender Schein

KULTUR

Tennessee Williams (1911�1983): Sch�tzender Schein

Kr�mer, Sandra

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Der US-amerikanische Schriftsteller Tennesse Williams, hier 1952, erhielt zweimal den Pulitzerpreis; zuletzt für „Cat on a hot tin roof“ („Die Katze auf dem heißen Blechdach“) Foto: picture alliance/Everett Collection
Der US-amerikanische Schriftsteller Tennesse Williams, hier 1952, erhielt zweimal den Pulitzerpreis; zuletzt f�r �Cat on a hot tin roof� (�Die Katze auf dem hei�en Blechdach�) Foto: picture alliance/Everett Collection

Der Name einer Stra�enbahn in New Orleans gab dem Drama um eine Frau, die sich verliert zwischen Illusion und Realit�t, seinen Titel. Vor 75 Jahren wurde �A Streetcar Named Desire� mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Leise �ert�nt aus imagin�rer Ferne die Varsouviana, ein Musikst�ck im Polkarhythmus� (1), w�hrend das Licht auf der B�hne schwindet. Sie �tastet schwankend nach einem Stuhl�, als die Rhythmen in ihrem Kopf immer �st�rker, eindringlicher� werden. Verzweifelt versucht sie, die Musik �abzuwehren, sich ihr zu verschlie�en�; sie �presst die Handfl�chen gegen ihre Ohren (�), sichtlich gequ�lt von der Musik, die nur sie h�rt (�). Die Varsouviana erreicht ein Crescendo�. � Dann der �ferne Hall eines Schusses; die Varsouviana verstummt abrupt�; das �Jazzorchester wird wieder h�rbar, in voller Lautst�rke��

Immer wieder legt sich die Dunkelheit �ber das Licht, die Polkamusik �ber die Jazzrhythmen, gleichsam dem Schatten �ber Blanche Du Bois� Leben; immer wieder wird sie erklingen � die �Varsouviana�; sie verfolgen � die Schuld, die sie, �in ihrer Jugend� auf sich geladen hat. Die Melodie, welche das Orchester im Moon Lake Casino spielte; an jenem Abend, als ihr Ehemann Allan � von ihr getrieben � sich am Seeufer das Leben nahm. �Hilfe hat er bei mir gesucht�, doch �ich habe das nicht begriffen�; vielmehr reagiert sie, �all ihrer Illusionen beraubt�, mit verletztem Stolz, als sie unfreiwillig Zeugin seiner homosexuellen Neigung wird: �Du ekelst mich an!� Lyrisch-poetisch die �Intensit�t ihres inneren Lebens f�hlbar machen�; will Tennessee Williams, der zuvor mit seiner �Glasmenagerie� quasi �ber Nacht ber�hmt geworden ist. Einer wahren �D�monie des Schattenspiels und der Lautkulisse� (2) setzt er seine Protagonistin aus. Das nur subjektiv in der Vorstellung Blanches existierende, jedoch objektiv h�rbare Musikst�ck l�sst den Prozess der seelischen Krise sowie � in seiner paranoiden akustischen Verzerrung � ihre psychische Desintegration transparent werden. Das Empfinden, eine Schuld auf sich geladen zu haben, die sie nicht ertragen kann, solange sie sich selbst �berlassen ist, bildet den Anfang ihres unaufhaltsamen Abstieges.

Elysische Gefilde

�Intimer Umgang mit Fremden�, ist seit Allans Selbstmord �das einzige�, womit sie �die Leere in (ihrem) Herzen ausf�llen� kann. Sie verf�llt dem Alkohol, leugnet aus Scham dessen Konsum unter Berufung auf den s�dlichen Geschlechterkodex; sie verschafft sich das Gef�hl von Reinheit, indem sie mit einer wahren Besessenheit B�der nimmt. Eigenschaften, die sie sich nicht zu bewahren vermag, jedoch einem tiefen Bed�rfnis ihrer Natur entspringen, werden zur Vision: �ein anst�ndiges M�dchen (�), unber�hrt, streng moralisch�. In dieser Selbststilisierung lebend, begegnet sie Mitch, der ebenfalls gegen das Gef�hl der Vereinsamung ank�mpft, vor dem er sich durch eine krankhafte Bindung an seine Mutter zu sch�tzen sucht. Ihm gelingt es, die �Varsouviana� in ihr f�r kurze Zeit zum Verstummen zu bringen. Doch nach seiner verbalen Verletzung: �Sie sind nicht rein genug, um in das Haus meiner Mutter gef�hrt zu werden�, beherrscht die von drau�en hereindringende schwerm�tige Stimme einer mexikanischen Blumenverk�uferin das Interieur � �Flores para los muertos�.

Das Stück „A streetcar named desire“ (deutsch: „Endstation Sehnsucht“) als Film – Kinoplakat aus dem Jahr 1951 Foto: Tennessee Williams
Das St�ck �A streetcar named desire� (deutsch: �Endstation Sehnsucht�) als Film � Kinoplakat aus dem Jahr 1951 Foto: Tennessee Williams

�Man hat mir gesagt, ich soll eine Stra�enbahn namens Sehnsucht nehmen, dann in eine andere namens Friedhof umsteigen und nach sechs Querstra�en aussteigen�; erz�hlt Blanche bei ihrer Ankunft �in den Elysischen Gefilden�. Ein heruntergekommenes Eckhaus im Franz�sischen Viertel von New Orleans; im Parterre eine sch�bige Wohnung � zwei Zimmer, nur getrennt durch einen Vorhang, aus den umliegenden Bars dringt Jazzmusik herein. Hier sucht die ehemalige S�dstaatensch�nheit, nach dem Verlust des Familienanwesens �Belle Reve�, Zuflucht bei ihrer Schwester Stella und deren Ehemann Stanley Kowalski. Ihre Verachtung f�r ihn sowie die eigene �berlegenheit aufgrund Herkunft und Bildung l�sst sie ihn deutlich sp�ren; ebenso ihr Entsetzen �ber Stella, die ihren sozialen Status zugunsten einer Ehe mit einem vulg�ren, gewaltt�tigen Mann aufgegeben und sich dessen Umfeld angepasst hat. Ein Verh�ltnis, das bestimmt wird von Sex: �... ein brutaler Trieb; nicht Sehnsucht, sondern einfach Begierde!�

Sie selber betreibt ein wahres Versteckspiel mit ihrer Vergangenheit und gegenw�rtigen Erscheinung; stets darauf bedacht, nicht im �erbarmungslosen grellen Licht� betrachtet zu werden. � �Ich mag keinen Realismus. Ich will Magie.� In ihrer tristen Umgebung, ausstaffiert mit einem bunten Flitter an Kleidern und Schmuckst�cken, fl�chtet sie sich in Nostalgie und Illusionen; �in einer Art hysterischer Heiterkeit (�) sieht sie sich auf den H�hepunkt einer in Belle Reve stattfindenden Gesellschaft, umgeben von alten Freunden ...�.

Fragile Welt

Williams l�sst das unmittelbare B�hnengeschehen, welches von �einem fr�hen Abend im Mai bis Ende September� dauert, transparent werden f�r Geschehnisse und Erfahrungen, die weit vor dieser Zeit liegen; �(to) see the effect of her past on her present behaviour� (3). Sein St�ck taucht ein in die fragile, in Aufl�sung begriffene Welt von �Belle Reve� in Laurel, Mississippi. Dort, �wo sterbende alte Frauen an ihre toten M�nner dachten�, wo �langsames Hinwelken, Hinsiechen, (�) Verm�chtnisse, Hinterlassenschaften� das Leben bestimmen, setzt die unheilvolle Zerr�ttung von Blanches Natur ein. Mit jedem Ableben eines Familienmitglieds stirbt nicht nur der einstmals so stolze Landsitz der Du Bois�. Sein unaufhaltsamer Verfall greift auch auf sie �ber, entfacht in ihr �Sehnsucht, Lebensgier�. �Belle Reve� ist aber zugleich Symbol einer herrschaftlich gepr�gten, jedoch vom Niedergang gezeichneten Kultur des alten amerikanischen S�dens. �An ihnen m�ssen wir festhalten�, beschw�rt Blanche vergeblich ihre Schwester in dem Bewahren von dessen Werten und Traditionen. Sie selber ist noch gefangen in dieser Welt mit deren eigenen Gesetzen. �Belle Reve� ist ihre Identifikation, ihre Authentifizierung als Person und als Frau; sein Verlust zugleich der ihrer Selbst. �Flucht, Panik� treibt sie fortan �von einem zum andern (�), auf der Suche nach Schutz�.

�Magie will ich den Menschen geben. Ich sage nicht die Wahrheit, nicht was ist, sondern was sein sollte.� Gleichsam dem chinesischen Papierschirm um die nackte Gl�hbirne im Zimmer breitet Blanche einen Schleier �ber das H�ssliche und Brutale. �Es wird Ihnen nicht gelingen�, glaubt sie sich hierdurch vor Stanley gesch�tzt; sie �so zu verletzen�, wie sie selbst Allan verletzt hat. In ihrem m�nnlichen Antagonisten � ein �muskul�ser, kr�ftig gebauter Mann�, in dessen �Bewegungen und Stellungen (�) sich seine animalische Lebensfreude und im Umgang mit Frauen die �berlegende Kraft verr�t� �, zeichnet Williams das personifizierte Triebprinzip des Lebens in geradezu gewaltsamer, primitiver und erbarmungsloser Ausformung. Selber die H�rte der Realit�t erfahren, wird Stanley Blanche zwingen, diese anzuerkennen; �the ravishment of the tender (�) by the savage and brutal forces of modern society� (4).

Zerr�ttung der Z�rtlichen

Provoziert von ihrem affektierten, diffamierenden und pr�den Verhalten, zugleich sein Territorium bedroht f�hlend, rei�t er ihren Schutzschirm der Illusionen nieder. �Alles das existiert nur in Ihrer Einbildung.� R�cksichtslos und erregt � geleitet von �instinktiver Sicherheit auf dem Gebiet der sexuell classification� (2) � konfrontiert er sie mit ihrer promiskuitiven Vergangenheit und vergewaltigt sie. In die geistige Umnachtung getrieben, l�sst Blanche sich von einem Arzt, der ihr in Manier eines Gentleman Caller seinen Arm anbietet, in eine Heilanstalt geleiten: �Wer Sie auch sind, ich habe mich immer auf die G�te von Fremden verlassen.� Derweil im Hause Kowalski unbeeindruckt der rituelle Pokerabend fortgesetzt wird, begleitet von der �ratternden Stra�enbahn, die hier durch das Viertel holpert, eine alte, enge Stra�e hinauf und eine andere alte, enge Stra�e hinunter�, und deren �unentwegte Fahrt� dem amerikanischen Dramatiker �von symbolischer Bedeutung f�r das Leben� (5) erscheint. Sandra Kr�mer M.A.

sandra.kraemer@studium.uni-hamburg.de

Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/pp/lit0523

1.
(sowie auch alle folgenden Dramenzitate im Text) Williams T: Endstation Sehnsucht/A Streetcar Named Desire. Drama in drei Akten (1947). Ins Deutsche �bertragen von Bertold Viertel. In: Viertel B (ed.): Tennessee Williams. Meisterdramen. Frankfurt a. M. 1978.
2.
Oppel H: Tennessee Williams. A Streetcar Named Desire. In: Goetsch P: Das amerikanische Drama. D�sseldorf 1974.
3.
Kazan E: Notebook for A Streetcar Named Desire. In: Miller JY (ed.): Twentieth Century Interpretations of A Streetcar Named Desire. A Collection of Critical Essays. New York 1971. (Anmerkung: Elias Kazan, Regisseur der Urauff�hrung am 3. Dezember 1947, Broadway New York).
4.
Phillips GD: The films of Tennessee Williams. Philadelphia/London 1980.
5.
Williams T: Memoiren/Memoirs. With an Introduction by John Waters (1975). Aus dem Amerikanischen von Kai Molvig. Frankfurt a. M. 1977.
6.
Engler B, M�ller K: Metzler-Lexikon amerikanischer Autoren. Vielfalt und Multikulturalit�t. Stuttgart 2000/Fischer HD, Fischer EJ: Der Pulitzer-Preis. Konkurrenten, K�mpfe, Kontroversen. Berlin 2007/Jauslin C: Tennessee Williams. Hannover 1969/Kolin PG: Williams: A Streetcar Named Desire. Cambridge 2000/Link F: Tennessee Williams’ Dramen: Einsamkeit und Liebe. Darmstadt 1974/M�ller K: Das amerikanische Drama. Eine Einf�hrung. Berlin 2006/Vahland B: Der Held als Opfer. Aspekte des Melodramatischen bei Tennessee Williams. Frankfurt a. M.1976.
1. (sowie auch alle folgenden Dramenzitate im Text) Williams T: Endstation Sehnsucht/A Streetcar Named Desire. Drama in drei Akten (1947). Ins Deutsche �bertragen von Bertold Viertel. In: Viertel B (ed.): Tennessee Williams. Meisterdramen. Frankfurt a. M. 1978.
2. Oppel H: Tennessee Williams. A Streetcar Named Desire. In: Goetsch P: Das amerikanische Drama. D�sseldorf 1974.
3. Kazan E: Notebook for A Streetcar Named Desire. In: Miller JY (ed.): Twentieth Century Interpretations of A Streetcar Named Desire. A Collection of Critical Essays. New York 1971. (Anmerkung: Elias Kazan, Regisseur der Urauff�hrung am 3. Dezember 1947, Broadway New York).
4. Phillips GD: The films of Tennessee Williams. Philadelphia/London 1980.
5. Williams T: Memoiren/Memoirs. With an Introduction by John Waters (1975). Aus dem Amerikanischen von Kai Molvig. Frankfurt a. M. 1977.
6. Engler B, M�ller K: Metzler-Lexikon amerikanischer Autoren. Vielfalt und Multikulturalit�t. Stuttgart 2000/Fischer HD, Fischer EJ: Der Pulitzer-Preis. Konkurrenten, K�mpfe, Kontroversen. Berlin 2007/Jauslin C: Tennessee Williams. Hannover 1969/Kolin PG: Williams: A Streetcar Named Desire. Cambridge 2000/Link F: Tennessee Williams’ Dramen: Einsamkeit und Liebe. Darmstadt 1974/M�ller K: Das amerikanische Drama. Eine Einf�hrung. Berlin 2006/Vahland B: Der Held als Opfer. Aspekte des Melodramatischen bei Tennessee Williams. Frankfurt a. M.1976.

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