Sein letzter Aufzug spiegelte, was von ihm übrig war. Auf der Ladefläche eines deutschen Lastwagens, gehüllt in einen Offiziersmantel der Luftwaffe, kauerte der Mann, der seit seiner Machtergreifung 1922 Hitler und allen anderen selbsternannten „Führern“ antidemokratisch-nationalistischer Bewegungen in Europa als großes Vorbild gedient hatte. 23 Jahre später versuchte Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini, der längst eine Marionette seines nationalsozialistischen Verbündeten geworden war, nur noch sein Leben zu retten.
Am 25. April 1945 reichten alle Egozentrik und Weltvergessenheit nicht mehr aus, um Mussolini das fatale Ende seiner irrealen Hoffnungen verkennen zu lassen. Mal hatte er auf einen Sonderfrieden mit den Westalliierten gesetzt, mal mit dem Rückzug in eine Alpenfestung im Veltlin gespielt, schließlich sogar mit der politischen Führung der italienischen Widerstandsbewegung Kontakt aufgenommen. Doch die Resistenza erklärte ihm unumwunden, dass für sie nur seine Hinrichtung infrage käme.
21 Monate zuvor, am 25. Juli 1943, hatte ihm sein faschistischer Großrat den Oberbefehl entzogen und König Viktor Emanuel III. ihn abgesetzt. Den Versuch seiner Parteigenossen, nach der Landung der Westmächte auf Sizilien mit ihnen zu einem gütlichen Ausgleich zu gelangen, hatte Hitler mit dem „Fall Achse“ im September 1943 durchkreuzt. Die Wehrmacht entwaffnete das Gros der italienischen Streitkräfte und schickte die Soldaten als „Militärinternierte“ in Arbeitslager nach Deutschland. Der Krieg in Italien tobte weiter.
Nachdem Mussolini von einem deutschen Kommandounternehmen aus seinem Gefängnis auf Gran Sasso in den Abruzzen befreit worden war, hatte Hitler seinem Verbündeten Piemont und die Poebene als Herrschaftsgebiet zugewiesen. Diese Repubblica Sociale Italiana (RSI) von Salò (am Südende des Gardasees) verfügte über Regierung, Verwaltung und eine kleine Armee, die jedoch vollständig vom „Bevollmächtigten des Deutschen Reiches“ und der Wehrmacht kontrolliert wurde.
Als Staatschef dieses Kollaborationsregimes mochte sich Mussolini noch als enger Verbündeter und gar Freund Hitlers in Sicherheit wiegen. Doch als er erkannte, dass die Wehrmachtsführung in Italien auf eine Teilkapitulation hinarbeitete, blieb ihm nur noch die Flucht.
Mit einigen faschistischen Funktionären, Sekretärinnen, wenigen deutschen Begleitmannschaften und seiner Geliebten Claretta Petacci sowie Geheimpapieren und dem Staatsschatz der RSI versuchte Mussolini, sich nach Norden durchzuschlagen. Auf ihrer planlosen Flucht traf die Kolonne auf eine deutsche Flak-Einheit, die in die Schweiz zu entkommen suchte. Doch in Dongo am Comer See endete die Odyssee an einer Barrikade der kommunistischen 52. Garibaldi-Brigade der Resistenza. Mussolini und Petacci wurden erkannt und gefangen genommen.
Was folgte, ist bis heute nicht abschließend geklärt, vor allem weil politische Karrieren und Mythen mit den unterschiedlichen Versionen verbunden sind. Die gängige stammt von dem Partisanenoberst „Valerio“. Dieser Kommandant, der mit bürgerlichem Namen Walter Audisio hieß, erhielt vom Komitee für die Nationale Befreiung (CLN), der politischen Dachorganisation der Resistenza, den Auftrag, den Garibaldi-Leuten in Dongo die ultimative Forderung der Alliierten zu überbringen, ihnen Mussolini umgehend zu überstellen.
Doch der linke Flügel im CLN hatte seine eigenen Pläne, denen auch Audisio anhing, der als Inspekteur der Garibaldi-Brigaden zu den führenden kommunistischen Partisanenkommandeuren gehörte. Sie wollten den Repräsentanten des verhassten faschistischen Regimes nicht der Justiz der Amerikaner und Engländer überlassen, sondern selbst das Todesurteil vollstrecken.
Das soll Audisio zugekommen sein, der am Nachmittag des 26. April in Giulino di Mezzegra eintraf, wohin man Mussolini und Petacci inzwischen gebracht hatte. „Aus einer Entfernung von drei Schritten schoss ich fünf Kugeln auf Mussolini, der auf die Knie fiel, während sein Kopf auf die Brust sank“, erklärte er der Parteizeitung „l’Unità“. „Dann war die Petacci dran. Gerechtigkeit war getan.“ Zumindest die Linke feierte ihn dafür als Helden.
Doch fanden sich auch Argumente für einen anderen Ablauf. Danach wurde Audisio von den Leuten in Dongo zunächst hingehalten. Als er endlich in Mezzagra eintraf, hatten die Garibaldi-Partisanen die Sache schon erledigt, wobei Claretta Petacci zuvor wiederholt vergewaltigt worden war. Um ihr eigenmächtiges Handeln zu legitimieren, hätten sie am Nachmittag ihren Oberst „Valerio“ einige förmliche Schüsse auf die Toten abfeuern lassen, so eine Lesart.
Politisch brisant ist auch das Gerücht, unter dem Decknamen „Valerio“ hätte gar nicht Audisio, sondern sein Parteifreund Luigi Longo die Hauptrolle in Mezzegra gespielt. Denn der bekleidete als Generalsekretär der italienischen KP in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren eine wichtige Rolle in der italienischen Innenpolitik. Manche mochten dabei Mussolinis Blut an seinen Händen sehen.
„Die näheren Umstände dieser spontanen Hinrichtung sind bis heute ungeklärt“, resümierte denn auch Wolfgang Schieder, einer der besten Kenner des italienischen Faschismus. Sicher ist nur, was anschließend geschah.
Die Leichen von Mussolini, Petacci und den übrigen ermordeten Faschisten wurden noch in der Nacht nach Mailand geschafft. Dort wurden sie auf dem Piazzale Loreto wie Trophäen ausgestellt, misshandelt und anschließend am Gitterdach einer Tankstelle mit dem Kopf nach unten aufgehängt – als symbolische Antwort auf die Hinrichtung von 15 Widerstandskämpfern durch RSI-Einheiten, die im August 1944 ihre Opfer auf die gleiche Weise zur Schau gestellt hatten.
In seinem Buch „Il Duce: Das Leben nach dem Tod“ hat der italienische Historiker Sergio Luzzatto die enthemmte Gewaltorgie als atavistisches Ritual gedeutet: Die Kadaver des Tyrannen und seiner Entourage wurden wie Vieh entsorgt, um der gewonnenen Freiheit die Zukunft zu gewinnen.
Wie die sterblichen Überreste von Hitler und Eva Braun nach ihrem Selbstmord im Berliner Führerbunker erlebte auch Mussolinis Leiche eine Odyssee, die Jahre dauerte. Zunächst anonym auf einem Mailänder Friedhof begraben, wurde der Leichnam von Anhängern entwendet und an verschiedenen Orten versteckt, zuletzt in einer Mönchszelle unweit von Pavia. 1957 wurde Mussolini schließlich im Familiengrab in seiner Heimatstadt Dovia di Predappio in der Emilia-Romagna bestattet, bis heute eine Wallfahrtsstätte für Neofaschisten und andere.
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Dieser Artikel wurde erstmals im April 2020 veröffentlicht.