FormalPara Sprache

nordamerikanisch

FormalPara Übersetzung

Requiem für eine Nonne (1956)

FormalPara Übersetzer/in

R. Schnorr

FormalPara Hauptgattung

Epik / Prosa

FormalPara Untergattung

Roman

Das 1951 erschienene Werk ist gattungsmäßig schwer einzuordnen, am ehesten aber als szenischer Roman zu bezeichnen. Seine drei als „Akte“ bezeichneten szenischen Teile bilden ein analytisches Drama, das an die in Faulkners Roman Sanctuary, 1931 (Die Freistatt, 1951), geschilderten Ereignisse um Temple Drake anknüpft.

Das schwarze Kindermädchen Nancy Mannigoe ist des Mordes an der sechs Monate alten Tochter von Gowan Stevens und seiner Ehefrau Temple angeklagt. Acht Jahre sind vergangen, seit Temple Drake als Studentin von dem psychopathischen Mörder Popeye entführt und in ein Bordell in Memphis/Tennessee gebracht wurde (sie hatte sich dann mit einer falschen Aussage vor Gericht von ihm freigekauft und dadurch einen Unschuldigen der Lynchjustiz ausgeliefert) – acht Jahre, in denen Gowan Stevens verzweifelt versucht hat, in der Ehe mit Temple für seine Mitschuld an jenen Ereignissen zu büßen. Nancy, eine Gelegenheitsprostituierte und Süchtige, die von Temple „aus der Gosse aufgelesen“ wurde (scheinbar aus Großmut, tatsächlich aber, weil Temple mit einer „Schwester in der Sünde“ Erfahrungen austauschen wollte), gibt den Mord an dem Säugling zu und akzeptiert gefasst ihr Todesurteil. Damit scheint der Fall erledigt. Nur der auch aus den Romanen Intruder in the Dust, 1948 (Griff in den Staub, 1951), The Town, 1957 (Die Stadt, 1958), und The Mansion, 1959 (Das Haus, 1960), bekannte Rechtsanwalt Gavin Stevens, Gowans Onkel und Nancys Verteidiger, gibt sich mit dem ‚Tatbestand‘ nicht zufrieden, sondern beginnt, in Temples Vergangenheit nach den Motiven zu suchen. Für ihn ist – und hier wird er zum Sprachrohr Faulkners – „die Vergangenheit niemals tot, ja nicht einmal vergangen“.

Mit zäher Beharrlichkeit befragt er Temple, die anfangs alle Schuld von sich weist, und bringt allmählich ihre Verstrickung ans Licht: Während ihrer ‚Gefangenschaft‘ im Bordell, aus dem sie, wie sie zugibt, leicht hätte fliehen können, hatte der impotente Popeye sie mit seinem Kumpan Alabama Red verkuppelt, dem sie dann leidenschaftlich verfiel. Nach Reds Ermordung waren einige ihrer Briefe an Red in die Hände seines Bruders Pete geraten, und Nancy hatte miterlebt, wie Temple der sexuellen Anziehungskraft dieses Erpressers erlag. Immer wieder hatte sie versucht, Temple an ihre Verantwortung für ihre beiden Kinder zu erinnern, und dann an dem Abend, an dem Temple mit Pete fliehen wollte, zum „letzten Mittel“ gegriffen und den Säugling erstickt. Es sei besser, meinte sie, ein einzelnes Kind zu zerstören als eine ganze Familie.

Die Buße, die die erlösungsgläubige Afroamerikanerin für ihr „Verbrechen aus Verantwortlichkeit“ auf sich nimmt, ist nach Faulkners Darstellung zugleich eine Sühne für die vielen unter dem Mantel der Respektabilität von weißen Südstaatlern begangenen Verbrechen gegen die eigene Verantwortlichkeit. Nancys Schicksalsergebenheit und Gavin Stevens' unerbittliche Wahrheitssuche zwingen Temple zur Ehrlichkeit gegenüber der Vergangenheit – ein Bewusstwerdungsprozess, der für Faulkner die Voraussetzung für das Verstehen und Ertragen der Gegenwart und für die Bewältigung der Zukunft ist. Dass für diese Art Gerichtstag die staatlichen Institutionen nicht zuständig sind, zeigt am deutlichsten die zentrale Szene: Der Gouverneur des Staates Mississippi, den Gavin und Temple in der Nacht vor der Hinrichtung um Nancys Begnadigung bitten, verlässt während Temples qualvollem Bekenntnis schweigend seinen Amtssitz. Nach außergesetzlichen Kriterien ist nicht die Mörderin Nancy, sondern die Mutter des toten Kindes die eigentlich Schuldige.

Die drei langen Prosaeinschübe vor den drei „Akten“ stellen eine Chronik von Faulkners Yoknapatawpha County dar. Aus der implizierten Perspektive des ‚Großinquisitors‘ Gavin Stevens und seines konservativen Humanismus sowie am Beispiel des Gerichtsgebäudes in Jefferson, des Kapitols in der Hauptstadt Jackson und des Gefängnisses in Jefferson wird der Verfall von Werten wie Besitz und Recht durch ihre Institutionalisierung im Gesetz gezeigt, hinter dem sich selbstgerechte Menschen wie Temple bequem verstecken können. Sowohl die stark verschlungene Prosa dieser Kapitel als auch ihre im Mittelpunkt der Szenenfolge stehenden Reflexionen (auch ihre Dialoge mit Gavin laufen meist in Monologe aus) entsprechen der Zentralidee des Buches: der Mühseligkeit des Weges, der zu Erkenntnis und Bekenntnis der eigenen Schuld im Sinne der christlichen Nächstenliebe führt.

Während Requiem for a Nun, von Faulkner selbst ursprünglich als Lesedrama konzipiert, in den USA zunächst für kaum aufführbar gehalten wurde, konnte es sich auf deutschsprachigen und vor allem auf französischen Bühnen (vgl. das Vorwort zu Albert Camus' Bearbeitung von 1956) rasch durchsetzen. Die Uraufführung der Dramenfassung fand in deutscher Sprache 1955 in Zürich statt. Faulkners eigene Bühnenfassung wurde zuerst im November 1957 in London, dann im Januar 1959 in New York aufgeführt. Die an der Erarbeitung der Bühnenfassung beteiligte Schauspielerin Ruth Ford spielte die Hauptrolle. Unter der Regie von Tony Richardson wurde das Werk 1960 verfilmt.