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Brecht-Enkelin

Johanna Schall über ihre berühmte Familie und Theater heute

Johanna Schall im B.Z. Interview
Johanna Schall im B.Z. Interview Foto: Sven Meissner

B.Z.-Interview mit Brecht-Enkelin Johanna Schall über ihre berühmte Familie, Theater heute und ganz eigenen Filmgeschmack

Die Begeisterung fürs Theater wurde in Johanna Schalls (55) Familie sozusagen dominant vererbt. Die Enkelin von Bertolt Brecht und Helene Weigel hatte mit Ekkehard Schall († 2005) einen der legendären Stammschauspieler des Berliner Ensembles zum Vater. Am Mittwoch liest die Regisseurin im Brecht-Haus aus der Interview-Sammlung „Ich hab’s erlebt, was will man mehr“ (ab 16.9., Das Neue Berlin, 17,99 Euro) über Ekkehard Schall. B.Z. traf sie vorab zum Gespräch.

Frau Schall, wie sehr nervt es Sie, ständig auf Ihren berühmten Großvater Bertolt Brecht und Ihren Vater Ekkehard Schall angesprochen zu werden?

Das ist abhängig vom Zusammenhang. Heute, wenn ich weiß, dass es um das Buch über meinen Vater geht, ist mir klar, dass ich zu ihm befragt werde. Mich nervt nur, wenn es völlig zusammenhangslos geschieht, als ob es so eine Art mystische Aura gäbe, die mir tiefere Einsichten gewährt. Aber man gewöhnt sich auch daran.

Haben Sie das Buch schon komplett gelesen?

Nein, nur einige Kapitel.

Wie finden Sie es?

Ich finde es spannend, der Mann hat interessante Gedanken gehabt.

An welchen Stellen haben Sie Ihren Vater besonders wiedererkannt?

An seinem besonderen Ton, die Wörter, die er verwendet. Er mochte keine kurzen Sätze und hat viel in Schlenkern gedacht und gesprochen.

Haben Sie für die Lesung sofort zugesagt und mussten Sie sich das erst einmal überlegen?

Es gab keinen Grund, skeptisch zu sein, ich kenne den Autor und den Titelhelden.

Herr Schütt hat sein Werk sehr stark aus der Sicht eines Fans geschrieben. Stört Sie, dass das Buch kaum kritische Stellen hat?

Kritische Betrachtungen gibt es doch zur Genüge. Einiges taucht auch in diesem Buch auf. Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr berührend, wie sehr Herr Schütt meinen Vater anscheinend gemocht hat.

Ihr Vater gilt vielen als sehr extrovertierter Mensch, der vor allem in der körperlichen Geste lebte.

Ein Clown war er. (lacht)

War er privat auch so oder konnte er auch mal sensibel und ruhig sein?

Er konnte sogar auf der Bühne ruhig sein. Wenn er eine extrovertierte Rolle gespielt hat, war Extrovertiertheit ein Mittel seines Berufes. Aber schüchtern und still war er aber auch zu Hause nicht. Man kann nur Schauspieler und Privatmensch nicht gleichsetzen. Er war ein hochartifizieller Schauspieler, der hervorragend mit seinem Körper umgehen konnte.

Im Buch kommt eine kleine Passage vor, in der deutlich wird, dass Ihrem Vater Kritik von Brecht wirklich schwer getroffen hat. Stimmt das und war ihm alle andere Kritik egal?

Nein, gar nicht. Ich habe einmal für ein Stück mit ihm zusammengearbeitet und finde, er war durchaus kritikfähig. Er hat Brecht sehr bewundert und von seinem Urteil daher wohl viel gehalten.

Gab es etwas, was ihn besonders getroffen hat?

Er war besonders fleißig, hat Körper- und Stimmtraining gemacht und akribisch seinen Text erarbeitet. Daher war er ziemlich wütend auf sich, wenn er Texthänger hatte. Er war überhaupt streng mit sich.

War er auch als Vater streng?

Nein, war er nicht. Gestritten haben wir uns halt oft. Wir waren uns ähnlich, da sind wir eben aneinander geraten, meist über unsere unterschiedlichen politischen Ansichten. Das mit der Versöhnung hat dann manchmal gedauert.

War er ein guter Vater?

Wenn er anwesend war, ja.

Er war also oft weg?

Er hat viel gearbeitet.

Einmal auch mit Ihnen zusammen. War das schwierig für Sie?

Ja, deswegen habe ich auch so lange gewartet. Ich wusste, ich muss erst was können und wissen. Das hätte bestimmt auch öfter funktioniert. Wir wollten zusammen König Lear machen, nur leider wurde daraus nichts mehr, weil er gestorben ist.

War das eine gemeinsame Stück ein Erfolg?

Ja, es wurde vom ZDF aufgezeichnet. Wir sind richtig lange damit getourt, bis nach Spanien und England.

Sie haben einen Halbbruder, Kajetan, aus der Affäre ihres Vaters mit einer Tänzerin. Haben Sie Kontakt zu ihm?

Natürlich. Ich kannte ihn schon als kleines Kind.

War das als Kind schwierig für Sie, von der Affäre zu erfahren?

Das soll ja in den besten Familien vorkommen. Als Kind nimmt man das hin.

Hat es Ihre Mutter gestört?

Das weiß ich nicht, da müssen Sie sie fragen.

Und Sie haben Ihrem Vater das nie vorgeworfen?

Nein, ich mag keine moralischen Urteile über anderer Leute Leben fällen.

Gibt es etwas, was Sie Ihrem Vater gern noch sagen würden, wenn Sie könnten?

Ich glaube, wir haben alles geklärt. Manchmal fehlt er mir, gerade wenn es um Grammatik geht. Und er war ein Geschichtsspezialist und wusste von jedem Adelsgeschlecht, mit wem die verwandt waren und in welcher Burg die wann und wie wohnten. (lacht) Wenn ich etwas wissen wollte, musste ich ihn nur anrufen.

Besuchen Sie sein Grab oft?

Nein, denn da ist er ja nicht.

Ihre Mutter ist als Schauspielerin unter einem Künstlernamen aufgetreten, weil es als Tochter von Bertolt Brecht für sie schwer war. Hatten Sie auch Probleme mit der Last des Namens?

Ich habe auch einmal probiert, mir einen anderen Namen zu geben. Aber das war kompletter Quatsch, denn es findet das ohnehin jeder, der will, heraus. Meine Mutter wollte sich damals als Schauspielerin ausprobieren ohne schon vorher durch den berühmten Namen bewertet zu werden.

Trotzdem macht man sich ja vielleicht manchmal selbst Druck durch die Erwartungshaltung.

Das ist völlig normal. Aber das hat neben den Nachteilen auch Vorteile. Ich bin jetzt Mitte 50, ich glaube kaum, dass mich die Theater so lange nun schon nur wegen des Namens bezahlen.

Verstehen Sie, andersherum, vielleicht manche Prozesse im Theater vor Ihrem familiären Hintergrund besser?

Nein. Höchstens, dass ich Disziplin gelernt habe und, dass Theater eine hohe Portion Humor braucht.

Humor kommt in Ihren Stücken öfter vor. Das Stück, das Sie mit Ihrem Vater gestalteten war beispielsweise ein Clownsabend. Ist Ihnen diese komödiantische Perspektive wichtig?

Ja, das hat mit meiner Art die Welt zu sehen, zu tun.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie Brecht inszenieren?

Nicht anders, als bei anderen. Er ist ein sehr guter Dramatiker. Ich habe ihn auch nicht überdurchschnittlich oft inszeniert.

Gefallen Ihnen die heutigen Brecht-Inszenierungen?

Ich sehe nicht oft welche. Manche Regisseure, geben mir das Gefühl, dass sie Brecht nicht mögen und uns zeigen wollen, dass er nicht gut ist. Ich finde das keinen guten Anlass, ein Stück zu machen.

Ist Brecht denn überhaupt noch aktuell?

Er spielt sich großartig. Ich habe vor ein paar Jahren „Mutter Courage“ in Greifswald inszeniert und die Schauspieler und die Leute haben das sehr gemocht. Brecht hat spielbare Figuren geschrieben und spannende Geschichten erzählt. Ein gutes Stück ist ein gutes Stück ist ein gutes Stück. Alles von Brecht würde ich aber auch nicht machen wollen.

Brecht und Ihr Vater waren politisch links, haben aber die DDR auch kritisiert. Welche Rolle hat Politik in Ihrer Familie gespielt?

Ich habe mit meinem Vater viel über Politik diskutiert und gestritten. Ich habe zu Zeit der Biermann-Ausbürgerung Abitur gemacht und bin auch darüber mit ihm aneinander geraten. Es wurde oft laut. In der DDR nicht über Politik zu reden, war nicht möglich. Ich selbst habe viele Wandlungen durchgemacht, vom hundertprozentigen FDJ-Schnuckiputz bis in die entgegengesetzteste Richtung und…

Haben Sie manchmal überlegt, auszureisen?

Ich habe, mit dem Gedanken einmal gespielt. Aber ich war am Deutschen Theater engagiert und hatte überhaupt großes Glück.

Hatte Ihr Vater nach der Wende Probleme, Fuß zu fassen?

Er hat weniger Aufträge bekommen. Ich hatte das Gefühl, er wird in Vertretung bestraft. Ein Schauspieler will spielen und wenn er das nicht kann, ist es hart.

Ihr Vater hat sich mit der Zeit vom Berliner Ensemble distanziert. Welches Verhältnis haben Sie heute zum BE?

Ich gehe hin und wieder in ein Stück.

Den „Arturo Ui“ mit Martin Wuttke haben Sie bestimmt gesehen.

Den habe ich zur Premiere gesehen, als Heiner Müller noch lebte.

Wie finden Sie die Inszenierung?

Martin Wuttke ist ein großer Schauspieler. Das Drumherum, wenn das 15. Mal „The Night Chicago Died“ gespielt wurde, fand ich nicht so beeindruckend. Aber ich hatte sicher noch die alte Inszenierung mit meinem Vater als Ui im Kopf. Aber Wuttke ist ein Ereignis, ich gucke mir auch den „Tatort“ mit ihm an.

Schauen Sie viel fern?

Nein, ich bin aber großer Film- und Seriengucker. Die kaufe ich mir aber, denn ich halte Werbung nicht aus.

Was schauen Sie da so?

Zuletzt war es „Game of Thrones“, danach bin ich richtig süchtig. Im Kino schaue ich viel Trash. Wenn ich in Berlin bin, gehe ich mit meiner Mutter, als nächstes in „The Guardians of the Galaxy“.

Ihre Mutter geht in „Guardians of the Galaxy“?

Natürlich. Sie ist in Hollywood groß geworden und kennt viel mehr Filme als ich.

Wie finden Sie es als Regisseurin eigentlich, dass immer mehr Seriendarsteller Theater spielen und die Bühnenstoffe immer öfter auf Filmen basieren?

Ist ja klar, das bringt Zuschauer. Ich finde, da entstehen großartige Arbeiten und es gibt auch grottenschlechte Bearbeitungen. Das kann man nicht pauschal beurteilen.

Ist das nicht eine Bankrotterklärung des Theaters?

Es gibt die große Sehnsucht nach einer guten Geschichte in einem Stück. Und wie viele Theaterautoren können oder wollen die heute erzählen?

Kann das Theater überleben?

Das werden wir sehen. Ich denke mal, es stirbt später als ich.

2016 läuft Claus Peymanns Vertrag im BE aus. Könnten Sie sich seine Nachfolge vorstellen?

Um Gottes Willen! Wissen Sie, was in der Stadt dann los wäre? Rolf Hochhuth hat mich schon einmal, ohne meine Zustimmung übrigens, vorgeschlagen. Als das in der Zeitung stand, habe ich ihn sofort angerufen und gefragt, was das soll. Ich habe keinerlei derartige Absichten!

Sie inszenieren nächstes Jahr „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“ im Renaissance-Theater. Was bedeutet es Ihnen, in Berlin zu arbeiten?

Im eigenen Bett zu schlafen, ist schön. Ich bin nun mal Berlinerin, durch und durch und es ist die beste Stadt.

Frau Schall, ich bedanke mich für dieses Gespräch.