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Ein verschollenes Gemälde ist zurück

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Die Malerei „Die Wolzogenschen Kinder“ rückt das reiche Werk von Louise Seidler in den Mittelpunkt, die als eine der ersten Frauen im 19. Jahrhundert ein selbstbestimmtes Leben als Malerin und erste Kustodin Deutschlands führte. Neben dem „Kerngeschäft“ der Porträtmalerei zählen historische, religiöse und mythologische Arbeiten zu ihrem Werk.

Es war mehr als nur eine Sternstunde für die Klassik Stiftung Weimar als sich im vergangenen Sommer die unweit Münchens lebende Eigentümerin des Gemäldes „Die Wolzogenschen Kinder“ meldete, denn das Bild galt in der Forschung bis zu diesem Zeitpunkt als verschollen. Signatur und Datierung in der rechten unteren Ecke weisen es allerdings zweifelsfrei als Werk Louise Seidlers (1786-1866) aus – die die Malerin war in ihrer Zeit eine angesagte Porträtistin. Das Doppelbildnis befand sich nahezu zwei Jahrhunderte in Familienbesitz. Die Eigentümerin ist die Urenkelin des auf dem Gemälde porträtierten Knaben.

Louise Seidler, Detail „Die Wolzogenschen Kinder“, Signatur und Datierung, Museen, © Klassik Stiftung Weimar

Dargestellt sind die fünfjährige Therese und der ein Jahr jüngere Alfred von Wolzogen. Ihr Vater war der preußische General Ludwig Freiherr von Wolzogen, ein Bruder des in Weimar lebenden Wilhelm von Wolzogen. Dieser war nicht nur der Jugendfreund und Schwager Schillers, er bekleidete am sachsen-weimarischen Hof auch verschiedene hohe Ämter.

Louise Seidler, Die Wolzogenschen Kinder, 1827, Malerei auf Gewebe, Museen, © Klassik Stiftung Weimar

Louise Seidler war eine anerkannte und geschätzte Künstlerin des spät- und nachklassischen Weimar und konnte, für das 19. Jahrhundert besonders bemerkenswert, ein selbstbestimmtes Leben als professionelle Malerin führen. Als erste Frau Deutschlands hatte sie seit November 1825 das Amt der Kustodin einer großherzoglichen Gemäldesammlung inne. Zuvor ermöglichten ihr die Förderung durch Goethe und die Verleihung mehrerer Stipendien von Großherzog Carl August die Absolvierung mehrjähriger Studienaufenthalte in Dresden, München und Italien. Derartige Aus- und Weiterbildungen waren im 19. Jahrhundert üblicherweise den männlichen Bewerbern vorbehalten. Großherzog Carl Friedrich ernannte sie 1835 zur Hofmalerin und verlieh ihr 1843 die sachsen-weimarische  Zivilverdienstmedaille für Kunst und Wissenschaft in Gold.

Neben historischen, religiösen und mythologischen Themen widmete sich Louise Seidler vor allem der Porträtmalerei. Diese garantierte ihr - wie auch das Anfertigen von Kopien nach prominenten Vorbildern - ein sicheres Einkommen. Die weit über 150 ermittelten Bildnisse führte sie in Pastell oder Ölmalerei aus. Die Auftraggeber waren neben den Angehörigen des sachsen-weimarischen Hofes breite Kreise des Adels und des gehobenen Bürgertums. Kinderbildnisse fertigte sie bevorzugt in Pastelltechnik.

Fritz Ries, Porträt Louise Seidler, 1846, Lithographie, Museen, © Klassik Stiftung Weimar

Das Doppelporträt der „Wolzogenschen Kinder“ wurde offensichtlich auf ausdrücklichen Wunsch der Auftraggeber in dieser höherwertigen Ölmalerei ausgeführt. Es nimmt innerhalb des Oeuvres der Künstlerin hinsichtlich der Komposition eine Sonderstellung ein, denn die Kinder sind als Ganzfigurenbildnisse beim Spielen mit dem Schaukelpferd im Garten vor einer neutral gehaltenen Hintergrundlandschaft abgebildet. Während die große Schwester den Rhythmus des Schaukelns vorgibt, sucht der kleine Bruder Halt an ihrem Oberarm. Auffällig ist die Konzentration auf die natürlich-einfühlsame Gestaltung der Gesichter in Dreiviertelprofil, während die übrigen Körperpartien und die Kleidung weniger akribisch ausgeführt wurden.

Louise Seidler, Die Wolzogenschen Kinder, Detail, Porträt Karl August Alfred Freiherr von Wolzogen, Porträt Therese Auguste Pauline Freiin von Wolzogen, 1827, Museen, © Klassik Stiftung Weimar

Zeitgenossen lobten Seidlers Talent für Kinderporträts. Bisweilen führte sie regelrechte Bildnis-Serien aus, wie z. B.  von Goethes Enkelin Alma. Die besonderen Herausforderungen, die mit der Ausführung von Kinderbildnissen verbunden waren, nahm Seidler gerne in Kauf. In ihren Lebenserinnerungen berichtet sie darüber: „Gewöhnlich halten die Künstler die Kinder-Portraits für besonders undankbar; eine Ansicht, welche ich nicht theilen kann. Im Ganzen ist doch der Typus der Kindergesichter ein allgemeiner, nur etwas modificirt im Detail der Formen, in denen das Runde, sowie der Ausdruck von Unschuld und Lieblichkeit vorherrschend sind.“

Vor 195 Jahren, am 1. März 1827 präsentierte Louise Seidler das Doppelporträt Johann Wolfgang von Goethe, was sein knapper Tagebucheintrag belegt: „Demoiselle Seidler, die Wolzogenschen Kinder vorzeigend.“  Sein Kommentar zu dem Gemälde ist nicht überliefert.

Ungeachtet aller Erfolge und Anerkennungen zu Lebzeiten fand Seidlers künstlerisches Werk in der männlich dominierten Kunstgeschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert – wie das anderer Künstlerinnen auch – keine angemessene Würdigung. Erst durch die feministische Kunstgeschichtsforschung, insbesondere durch Recherchen und Publikationen von Bärbel Kovalevski und Sylke Kaufmann in den letzten 25 Jahren, erfolgte eine Aufarbeitung der bedeutenden Lebensleistung der Malerin. 1000 Arbeiten von ihrer Hand – Pastelle, Gemälde, Zeichnungen, Lithographien – konnte Kaufmann ermitteln. Den größten Bestand ihrer Werke bewahrt die Klassik Stiftung Weimar.  Etwa ein Drittel ihres OEuvres muss heute leider als verschollen registriert werden.

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