Epikur
Carpe Diem – „pflücke den Tag“: der epikureische Poet Horaz hat in dieser berühmt gewordenen Maxime das treibende Prinzip der Ethik Epikurs zusammengefasst: Nutze das Leben, solange du Zeit dazu hast. „Die Lust ist Ursprung und Ziel des glücklichen Lebens,“ schreibt Epikur im Brief an Menoikeus, einer der wenigen Texte, die uns von ihm überliefert worden sind.
Aber der Epikureismus ist nicht die Karikatur eines Hedonismus, der darin besteht den ganzen Tag lang zu essen, trinken und Geschlechtsverkehr zu haben. Es geht vielmehr um das Streben nach Ataraxia, oder: Seelenruhe, die versteckt und weit entfernt von der Hektik und den Zwängen des Stadtlebens existiert. Epikur verteidigt also einen kargen Lebensstil, bei dem die Abwesenheit von Leid genügt, um glücklich zu sein: „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß.“ Diese Lehre verbreitet er innerhalb seines „Gartens”, eine philosophische Schule, die allen offen steht, auch Frauen und Sklaven – im Gegensatz zum Lykeion Aristoteles’ und Platons Akademie vor ihm.
An seinen Schüler Menoikeus gerichtet, unterscheidet Epikur zwischen drei Formen der Begierde : die leeren, die natürlichen und die notwendigen Begierden. Erste (wie Ruhm und Reichtum) gilt es zu untersagen, weil sie früher oder später zu Frustration und damit zu Leid führen. Zweitere sind angenehm aber optional (wie Wissenschaft, Kunst, Sexualität…). Drittere sind unumgänglich, weil ihre Abwesenheit zu Leid führt (Hunger, Durst, aber auch Freundschaft und… Philosophie, denn Epikur schätzt auch die Freuden des Geistes).
Von dort ausgehend ist jedes Individuum eingeladen, ein „Kalkül der Begierden“ anzustellen, um das größtmögliche Glück zu erreichen. Aber Vorsicht! Bei diesem Kalkül muss manchmal kurzfristiger Schmerz in Kauf genommen werden um langfristig das größtmögliche Glück zu erreichen. Was den Tod angeht, so ist es sowohl unsinnig als auch verhängnisvoll darüber nachzudenken denn „der Tod geht uns nichts an.” Die epikureische Weisheit lehrt, dass die Seele vergänglich ist und im gleichen Moment stirbt, wie der Körper : „Solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr." Der Tod ist nichts weiter als die Abwesenheit von Empfindungen, daher soll er weder gefürchtet noch herbeigesehnt werden. Empfindungen sind nicht lediglich dasjenige, das bezeugt, dass wir am Leben sind, sie repräsentieren auch den Ausgangspunkt allen Wissens. Gegenüber den Skeptikern versichert Epikur, dass Empfindungen vertrauenswürdig sind. Jeder Sinn besitzt seine eigene Fähigkeit, wie ein Wahrheitssystem. Woher stammt unter diesen Umständen also der Fehler? Nicht etwa aus unseren Sinneswahrnehmungen selbst versichert Epikur, sondern aus den Urteilen, die wir über sie fällen: Man soll dem Auge nicht einen Irrtum andichten, den der Geist zu verantworten hat.
Weniger bekannt als der Brief an Menoikeus sind die Briefe an Herodot und Pythokles. Darin beschäftigt er sich mit der Physik und Astrophysik. Epikur vertritt die Ansicht, dass das Universum aus zwei grundlegenden Substanzen besteht: dem leeren Raum und den Atomen. Letztere entstehen im freien Fall „so schnell wie die Gedanken", aus ihrem Aufprall entsteht die Materie. Weil Atome unteilbar sind, gibt es zwar nichts unendlich Kleines, aber etwas unendlich Großes. Epikur glaubt nicht an die stoische Vorsehung noch an die aristotelische Causa Finalis. Er malt sich den Kosmos als eine Vielzahl von Welten aus, die zufällig entstanden sind und sich bis ins Unendliche neu zusammensetzen können.
Der epikureische Materialismus hält ihn nicht davon ab, an das Göttliche zu glauben. Die Götter sind für ihn lediglich, wie auch alles andere, materielle Phänomene. Sie haben die Welt nicht erschaffen, erst recht nicht für uns. Ihnen eine derartige Intentionalität zu unterstellen, bedeutet einem eitlen Aberglauben anzuhängen, von dem Epikur die Menschheit ein für allemal befreien will; denn die Wissenschaft stimmt nicht einzig mit einem „natürlichen“ Verlangen überein. Für Epikur ist dies sie vor allem ein Mittel um angstvolle Gedanken zu überwinden. Denn Wissen bedeutet glückselig sein zu können.