Analyse | Michael Kohlhaas
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Analyse

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Die vorliegende, umfängliche Analyse des Textes diskutiert am Anfang, ob und inwiefern „Michael Kohlhaas“ als Novelle verstanden werden kann. Danach wird eine Grobgliederung des Textes präsentiert, die dann auf die Dramenstruktur des Textes übertragen wird.  Außerdem werden die überaus komplexe Sprache von Kleist in den Fokus genommen, wobei auch die Verschleierung der Wirklichkeit durch Sprache eine Rolle spielt, sowie der geistesgeschichtliche Hintergrund für Kleists Sprachkonzept. Darüber hinaus wird der Erzähler in seiner Glaubwürdigkeit als Chronist betrachtet und die Praxis der Wertung durch die Erzählinstanz analysiert. Zum Schluss werden wichtige Symbole, wie die Rappen oder das Amulett, in ihrer Bedeutung ergründet und ein Blick auf zwei wichtige Szenen des Textes geworfen (Abdecker-Szene, Gespräch mit Luther).

Auszug aus dem text:

Die Obrigkeit

Die vom Erzähler intendierte Lenkung des Lesers dahin, sich mit Kohlhaas solidarisch zu zeigen, wird durch die negative Haltung gegenüber der Obrigkeit verstärkt. So wird auf die Vetternwirtschaft innerhalb des Adels verwiesen, Wenzel von Tronka als ein vergnügungssüchtiger Burgherr beschrieben und es wird von „arglistige[n] Ritter[n]“ (S.54) gesprochen, die „Wendungen arglistiger und rabulistischer Art“ (S.56) vornehmen. So wird der Dresdener Hof insgesamt mit den Prädikaten „Übermacht und Willkür“ (S.64) versehen. Hinzu kommt, dass dem kämpferischen, vitalen Kohlhaas in Sachsen ein Kurfürst gegenübersteht, der beständig an Ohnmachtsanfällen leidet und somit eher ein schwaches Bild eines Gegenspielers repräsentiert.

Der Kurfürst wirkt lächerlich, ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass er sich vorbehaltlos auf den Aberglauben einlässt und die Prophezeiung der Zigeunerin an sich bringen will. So steht Michael Kohlhaas, der für moralische Werte eintritt, ein Kurfürst gegenüber, der nicht ernst zu nehmen ist. Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass der Kurfürst nur aus Selbstsucht handelt, denn er will an die Prophezeiung gelangen, da er Sorge um sein Herrschergeschlecht hat, das Wohl seines Landes scheint ihm höchstens zweitrangig zu sein. Diese Selbstsucht wird durch die ausführliche Schilderung der Handlungen des Kurfürsten zum Ausdruck gebracht: Er beauftragt einen Jagdjunker und Kunz von Tronka, die Prophezeiung zu besorgen, er wendet sich sogar an den Kaiser und Wien und reist letztlich sogar persönlich zur Hinrichtung von Michael Kohlhaas. Dementsprechend ist es auch unwahrscheinlich, dass er die Sympathien des Lesers gewinnen wird.

Ironie und Kritik

Interessanterweise wird die negative Zeichnung der Obrigkeit nicht explizit sprachlich vorgenommen, sondern über die Beschreibung der Handlungen erreicht. Damit erscheint der Erzähler oberflächlich als dem Adel wohlgesinnt. In der unkommentierten Darstellung der Handlungen offenbart sich aber eine Ironie, die letztlich darauf hinausläuft, die Obrigkeit zu kritisieren. So wird dem Kurfürsten von Sachsen ein „für Freundschaft sehr empfängliches Herz“  (S.43) zugeordnet, auf einer tieferen Ebene wird dabei aber eine Kritik daran laut, dass er Hinz und Kunz von Tronka nicht dafür bestraft, dass diese in seinem Namen gehandelt haben und die Klage von Kohlhaas niederschmetterten. Auf der anderen Seite werden die beiden Brüder Hinz und Kunz als „staatskluge Ritter“ (S.56) bezeichnet, was nur als ironischer Kommentar zu deren Handlungen gelesen werden kann.  Im Gegensatz dazu wird Kohlhaas nie ironisch gekennzeichnet. Die Ernsthaftigkeit, die in der Beschreibung der Hauptfigur vorherrscht, impliziert, dass Kohlhaas Opfer von Gewaltverhältnissen ist, über die es sich zu spotten verbietet. Hingegen deutet die ironische Beurteilung der Adligen auf die Kritik der Obrigkeit hin.

Darstellung des Innenlebens der Figuren

In der Novelle wird das Innenleben der Figuren fast ausschließlich über die körperliche Manifestation von Gedanken und Gefühlen beschrieben. Der Erzähler beschreibt die Gesichtsfarbe, Gebärden, Gesten und andere Handlungen, um dem Leser ein Bild davon zu vermitteln, was in den Figuren vorgeht. Die äußerst innige Beziehung zwischen Lisbeth und Michael Kohlhaas wird beispielsweise dadurch charakterisiert, dass die Frau ihren Mann mit einem „überaus seelenvollen Blick“ (S.25) anschaut und ihn mit „heißen Küssen übersät“ (S.23). Antonia von Tronka wird beim Eintreffen von Kohlhaas im Stift Erlabrunn „bleich, wie Linnenzeug“ (S.29) und der Kurfürst von Sachsen wird zwei Mal vor Verlegenheit rot im Gesicht (S.43, 66). Als Kohlhaas gegenüber Luther seiner Forderung nach Gerechtigkeit Ausdruck verleiht, reagiert dieser mit einem „verdrießlichen Gesicht“ (S.49), und als Kohlhaas dem Prinzen von Meißen begegnet, reagiert Letzterer „mit einer herablassenden Bewegung der Hand“ (S.45).

In anderen Fällen schildert der Erzähler zumeist Gefühle der Qual, die je nach der Figur anders ausgedeutet werden können. Wenn es dem Kurfürsten von Sachsen das „Herz von Kummer und Reue“ (S.46) zerreißt, dann führt dies nicht zu Mitleid beim Leser, sondern zu Verachtung, da der Fürst aus reiner Selbstsucht handelt. Hingegen wird dann Mitleid evoziert, wenn Kohlhaas als der „unglückliche[]“ bzw. „arme[] Kohlhaas“ bezeichnet wird. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Erzähler von Kohlhaas` „Schmerz und Jammer berichtet“ (S.27) und beschreibt, wie er sich „sehr traurig und erschüttert“ (S.61) auf sein Zimmer begibt. Für die Figur des Kohlhaas soll so Empathie entwickelt werden. Darüber hinaus fordert der Erzähler den Leser gar dazu auf, selbst zu „erraten“, was in Kohlhaas vorgeht, bzw. er soll über „Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln[,] zu weitläufig sind“ (S.55) nachdenken. Durch die zurückhaltende Art und Weise bei der Schilderung überlässt der Erzähler dem Leser die Freiheit, über das tiefere Innenleben der Figuren zu spekulieren. Durch die Einbettung aber (der leidende Kurfürst versus der leidende Kohlhaas) liefert er dem Leser auf einer tiefer gelagerten Ebene den Schlüssel, um seine Äußerungen interpretieren zu können.

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