ME-Liste

Das sind die 100 besten Songs aller Zeiten


Spoiler: Die Beatles haben es nicht auf den ersten Platz geschafft!

59. Pixies – „Where Is My Mind?“

„Stop!“, befiehlt Black Francis antizyklisch gleich zu Beginn, doch dann beginnt der Irrsinn natürlich erst recht. Oberflächlich erzählt „Where Is My Mind?“ von einem Tauchtrip in der Karibik. Tatsächlich aber, während das Schlagzeug stumpf klopft, die Gitarren wie Sirenen heulen und Francis kreischt wie ein Verrückter, beschreibt der Song, wie es ist, den Boden unter den Füßen zu verlieren, am alltäglichen Wahnwitz zu verzweifeln – und war damit der perfekte Soundtrack für die ausgehenden Achtzigerjahre, in denen der Kalte Krieg zu Ende ging und bequeme Gewissheiten sich aufzulösen begannen.

58. LCD Soundsystem – „Losing My Edge“

Es ist schwer, sich einen Song vorzustellen, der den Geist seiner Zeit besser einfängt als die Debütsingle von LCD Soundsystem. Gleichzeitig gibt es wohl kein ähnlich erfolgreiches Label, dessen musikalische Identität so stark auf einem Song fußt wie das Großfamilienunternehmen von James Murphy und Co. In „Losing My Edge“ ist alles angelegt, was DFA auszeichnete: der trockene Drumsound (Trick 17: Fetzen von Mousepads auf die Toms kleben), die Synthies, das Disco-Punk-Indie-Dance-Ding, der Spaß und die fein selbstironische Distanz zu all den popkulturellen Referenzen, die in diesem Riesenschmelztiegel namens NYC 2002 zusammenliefen.

57. Kraftwerk – „Computerliebe“

Alles, worauf sie zehn Jahre zugearbeitet haben, findet sich in „Computerliebe“. Alles, was Kraftwerk als Band sagen wollen, sagen sie in „Computerliebe“. Alles, was man von elektronischer Musik erwarten könnte, bietet „Computerliebe“. Als Gegenentwurf zu dem besorgten „Computerwelt“ umarmt dieser „möglicherweise erste Computerblues“ (Pascal Bussy) mit seinem minimal-aufgeräumten Arrangement und der flirrenden Synthie-Melodie (Coldplay! „Talk“!) die Möglichkeiten der technologischen Innovation: Es ist der Soundtrack zu unserem Jetzt, zum Internet, 15 Jahre vor dem Internet, und zum sozialen Netzwerk, 25 Jahre vor Facebook.

56. Iggy Pop – „The Passenger“

Zu einer Berlin-Trilogie wie bei seinem Freund David Bowie, mit dem er Ende der Siebziger in der damals noch geteilten Stadt lebte, langte es nicht ganz. Aber dort in den berühmten Hansa Studios entstanden unter Bowies Mithilfe mit THE IDIOT und LUST FOR LIFE Iggy Pops beste Solo-Alben. Auf der einen Seite lebte in Iggy noch der Proto-Punk, auf der anderen machte er seinem Namen alle Ehre und eroberte die Diskotheken. Nicht mit dem rhythmischen Song „Lust For Life“, sondern mit „The Passenger“. Das Stück ist fast unverschämt simpel, der Beat von rastloser Energie und selten klang ein „La-la-la-la“ so unpeinlich. Iggy goes Pop!

55. The Velvet Underground – „Venus In Furs“

Aus dem loopartigen, rudimentären Beat (lediglich Standtom und Tambourin), Lou Reeds experimenteller Gitarrenstimmung und den Viola-Drones von John Cale entsteht ein hypnotischer Minimal-Klangteppich, der fast etwas Meditatives hätte, wäre da nicht die Stimme, die tonlos von Erschöpfung und den masochistischen Sexpraktiken des Severin von Kusiemski und seiner Herrin, der „Venus im Pelz“, erzählt. Ein düsterer Bastard aus britischem Folk (siehe Wicker Man-Soundtrack) und Neue-Musik-Künstlern und Cale-Weggefährten wie LaMonte Young, Terry Riley, Steve Reich. Fast 50 Jahre nach Release noch immer eine entschleunigte Heimsuchung, die alle Normalos extremer schockt und garantiert mehr anwidert als sämtliche Punk-, Metal- und Emobands zusammen.

54. The Beach Boys – „Surfʼs Up“

Man kann der nie geschehenen Vollendung des immer als verlorenes Opus Magnum der Beach Boys angesehenen SMILE auf ewig hinterher trauern – oder man kann sich an dem Song „Surf’s Up“ ergötzen, der alles einlöst, was Smile hätte sein können: eine dreiteilige Suite, die Schritt für Schritt ins Unterbewusste, Träumende einzutauchen scheint. Von ins Unwirkliche abdriftender Rationalität – „Are you sleeping, Brother John?“ – durchs Purgatorium der Erkenntnis – „Surf’s up / aboard a tidal wave“ – zur Katharsis in kindlicher Naivität: „A child is the father of the man.“ Wie ab 3:09 muss es in Brian Wilsons Kopf geklungen haben all die Jahre. In diesem Song können wir wenigstens einmal daran teilhaben.

53. Nick Cave & The Bad Seeds – „Into My Arms“

In Wien hielt Nick Cave 1998 eine Vorlesung über „Das Liebeslied und wie man es schreibt“, in der er vor allem die dunklen Elemente dafür verantwortlich machte, ob das Lied glückt oder nicht. THE BOATMAN’S CALL war Trauerarbeit nach der gescheiterten Beziehung mit PJ Harvey, und „Into My Arms“ war einer der Höhepunkte der Platte. Er glaube nicht an einen „interventionistischen“ Gott, singt er am Anfang zum Piano, aber wenn, dann würde er niederknien und ihn anflehen, „not to intervene when it came to you“. Es gibt viele gute Liebeslieder. Dieses hier ist so gut, dass man es kaum anhören kann.

52. Kate Bush – „Running Up That Hill“

Die Leadsingle aus Kate Bushs gleichzeitig kommerziellstem wie experimentellstem Album – die erste Hälfte von HOUNDS OF LOVE ist reiner 80s-Pop, die zweite betörende wie verstörende Avantgarde – behandelt die Unmöglichkeit einer kontinuierlich gelungenen Kommunikation zwischen Frau und Mann. Daher wünscht sich Bush einen Pakt mit dem Teufel, oder eben: Gott, um für einige Zeit in die Haut ihres Geliebten schlüpfen zu können – und umgekehrt, um einander danach besser verstehen zu können. Eine universell nachvollziehbare Thematik, die die Welt dann auch zu Bushs erfolgreichstem Hit machte.

51. David Bowie – „Space Oddity“

Es hätte so gut gepasst: Bowie veröffentlichte die Single pünktlich zur Mondlandung der Apollo-11-Mission, doch damals wollte von Major Tom, dem tragischen Helden, der in den Weiten des Alls verlustig geht, niemand etwas wissen. Erst die 73er-Neuausgabe schlug ein. Major Tom führt seitdem ein Eigenleben, wurde in weiteren Songs von Bowie zitiert, aber auch von The Mars Volta, The Tea Party und natürlich dem NDW-Popper Peter Schilling. Das Original mit seiner spröden Akustikgitarre, Rick Wakemans (Yes) Mellotron-Begleitung und Bowies Dialog zwischen „ground control“ und „Major Tom“ bleibt aber unübertroffen.