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Film Anna Karina ist tot

Eine Liebe, so groß und so unmöglich

Filmredakteur
Von diesen Prominenten mussten wir 2019 Abschied nehmen

Ob Karl Lagerfeld, Karel Gott oder Doris Day, sie alle haben uns auf ihre besondere Art und Weise beeindruckt. Nun reiht sich auch Schauspielerin Anna Karina in die Reihe der prominenten Todesfälle im Jahr 2019 ein – ein Überblick.

Quelle: WELT / Anna Wagner

Autoplay
Acht Filme drehten Anna Karina und Jean-Luc Godard zusammen, fast alle im heftigen Streit, fast alle Klassiker. Nun ist die französische Schauspielerin im Alter von 78 Jahren gestorben.

Auf dem Herbst-1958-Fotoshooting des Magazins „Elle“ traf Coco Chanel ein junges Model mit hellleuchtenden blauen Augen und enormer Ausstrahlung. „Was willst du mit deinem Leben anfangen?“ fragte sie. Schauspielerin wolle sie werden, lautete die Antwort. „Wie heißt du denn?“ „Hanna Karin Bayer“. „Mit solch einem Namen kannst du unmöglich Schauspielerin werden!“ Als sie den Set verließ, hatte Chanel sie bereits umgetauft: „Anna Karina“.

Ein paar Wochen später erhielt sie ein Telegramm von einem hoffnungsvollen Jungfilmer. Jean-Luc Godard suchte für sein Spielfilmdebüt „Außer Atem“ eine Darstellerin für Belmondos Ex-Freundin, eine kleine Rolle. Sie meldete sich in dem Büro des Produzenten, Godard musterte sie durch seine dunklen Brillengläser – und eröffnete ihr, sie habe die Rolle. „Allerdings“, fügte er hinzu, „werden Sie sich dafür ausziehen müssen.“ Schließlich sei sie auch in einem Palmolive-Werbespot nackt aufgetreten.

„Sind Sie verrückt?“ empörte sie sich. „Ich lag zwar in einer Badewanne, aber die Seifenbläschen gingen bis zu meinem Hals! Vielleicht war ich in Ihrer Vorstellung nackt.“ Sprach’s, stürmte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

„Morgen unterschreiben wir den Vertrag“

Das hätte es sein können, mit Karinas Karriere und Godards wichtigster Muse. Im Herbst 1959 – er war jetzt die Sensation der Nouvelle Vague – schickte er ein zweites Telegramm: „Mademoiselle, diesmal ist es die Hauptrolle.“ Widerstrebend ging sie zum Vorsprechen. Godard musterte sie kurz und sagte: „Sie passen für die Rolle. Morgen unterschreiben wir den Vertrag.“

Die Dreharbeiten von „Der kleine Soldat“ in Lausanne kamen nicht recht voran. Wiederholt sagte Godard morgens den Dreh ab, weil er „keine Ideen“ habe; allmählich kam der Verdacht auf, er wolle seine Zeit lieber mit Karina verbringen.

Die Dänin Veronica Dreyer (ANNA KARINA) arbeitet für die algerische Unabhängigkeitsbewegung (FLN). BOX | Verwendung weltweit
Karina in Godards "Der kleine Soldat" (1960)
Quelle: picture-alliance / KPA

Bei einem abendlichen Dinner saß Karinas momentaner Freund an der Spitze der Tafel, rechts von ihm seine Freundin, links von ihm Godard. Irgendwann fühlte Karina, wie unter der Tafel eine Hand die ihre ergriff und etwas hineindrückte. Dann stand Godard auf und verabschiedete sich.

„Komm zum Rendezvous um Mitternacht“

Karina rannte in einen Nebenraum und entfaltete den Zettel: „Ich liebe dich“, stand darauf, „Rendezvous um Mitternacht in Café de la Paix.“ Für den Rest des Drehs waren sie untrennbar, nach der Rückkehr nach Paris zogen sie in eine Wohnung in der Rue Pasquier, kreuzten nachts durch die Stadt, gingen ins Kino, besuchten Freunde – und kauften zwei Hunde, Pousse Pousse Blanc und Pousse Pousse Noir.

Godard hatte schon länger den Stoff zu „Eine Frau ist eine Frau“ in der Schublade, ein Musical über eine Stripperin, die ihren Freund (Jean-Claude Brialy) durch eine Affäre mit dessen Freund (Jean-Paul Belmondo) und eine Schwangerschaft zur Heirat bringen möchte.

Es ist der unernsteste Film von Godard, aber auch nicht die beabsichtigte Komödie, denn das Verhältnis der beiden begann allmählich der Handlung zu ähneln. „Sie haben einander auseinander genommen, gestritten, geliebt, gehasst“, erinnerte sich Brialy.

Godard zerstörte all ihre Besitztümer

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Verheiratet waren sie inzwischen. Eines Nachts kam Godard nach Hause und fand sie blutbefleckt, sie hatte eine Fehlgeburt erlitten. Nach ein paar Tagen kam sie zurück aus dem Krankenhaus, aber Godard, unfähig, mit der Situation zurechtzukommen, übergab sie der Sorge von Freunden und verschwand für mehrere Wochen.

THE LITTLE SOLDIER, (aka LE PETIT SOLDAT), Anna Karina, 1963 | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Karina in "Der kleine Soldat" (1960)
Quelle: picture alliance / Everett Collection

Als er zurückkam, mietete er als Versöhnungsgeschenk eine Villa in Südfrankreich – doch auf dem Weg dorthin wendete er den Wagen: Er habe jetzt keine Zeit, es gebe so viel zu tun.

Sie nahm eine Rolle in einem Nicht-Godard-Film an und begann eine Affäre mit dessen Hauptdarsteller Jacques Perrin. Als sie Godard gestand, dass sie ihn verlassen wolle, zerstörte er all ihre Besitztümer und verließ die Wohnung. Sie nahm eine Überdosis Schlaftabletten. Es war Perrin, der sie fand und ins Hospital schaffte.

„Der Film hat mein Leben gerettet“

Zwei Jahre später, ausgelaugt von Godards Eifersucht und dem Gefühl des Alleingelassenseins, unternahm sie einen zweiten Selbstmordversuch; diesmal wurde sie von einem Maler gefunden, der das Haus strich. Nun steckte Godard Karina in die Geschlossene, und als er sie ein paar Wochen später wieder abholte, instabil und schwach, teilte er ihr mit, die Dreharbeiten zu „Die Außenseiterbande“ begännen in drei Tagen.

Im Grunde sind alle Godard/Karina-Filme ab „Die Geschichte der Nana S.“ Versuche, ihre Beziehung durch die Klammer einer gemeinsamen Arbeit zu retten. Nie hat man Karina wahrer und bewegender gesehen als in „Nana S.“, dem Abstieg einer Frau in Prostitution und Mord.

Actors Anna Karina and Michael Caine in a scene from the film 'The Magus', 1968. (Photo by Stanley Bielecki Movie Collection/Getty Images)
Nach Godard: Anna Karina und Michael Caine in "Teuflische Spiele" (1968)
Quelle: Getty Images

Nie war sie zugleich charmanter und verletzlicher als in der „Außenseiterbande“, in einem Liebesdreieck mit Claude Brasseur und Sami Frey. „Ich hatte damals meine Lebenslust verloren“, erinnerte sie sich. „Es ging mir sehr, sehr schlecht. Der Film hat mein Leben gerettet.“ Ein halbes Jahr später wurden die beiden geschieden.

„Elf Uhr nachts“ ist Godards Abrechnung

Godard hatte die Hoffnung trotzdem nicht aufgegeben. Man sehe sich an, wie in „Alphaville“ der Geheimagent Eddie Constantine versucht, Anna Karina die Worte „Ich liebe dich“ beizubringen – Stellvertreter-Worte, die Godard so gern von ihr wieder gehört hätte. Dennoch drehten sie ein Jahr später „Elf Uhr nachts“ zusammen, eigentlich eine Abrechnung des von ihrem „Verrat“ enttäuschten Godard mit Karina – aber eben auch ein Ausdruck nicht enden wollender Liebe.

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Am Schluss sprengen sich Belmondo und Karina mit Dynamit in die Luft, und aus dem Jenseits hört man dann noch die Stimmen ihrer Figuren: „Marianne: ,Wir haben sie wiedergefunden.‘ Ferdinand: ,Was denn?‘ Marianne: ,Die Ewigkeit.‘ Ferdinand: ,Die Ewigkeit ist das Meer.‘ Marianne: ,… und die Sonne.‘“

Insgesamt 83 Filme hat Anna Karina gedreht, davon acht mit Godard, und man könnte sagen, dass der sich nach dem letzten („Made in U.S.A.“) in die Emigration seiner „unsichtbaren Filme“ zurückzog, mit denen er als Teil des „antiimperialistischen Kampfs“ die Filmsprache neu erfinden wollte.

Sie filmte auch mit Visconti, Fassbinder, Cukor

Anna Karina hingegen stieg zum internationalen Star auf, sang von Serge Gainsbourg speziell für sie geschriebene Chansons, filmte mit Luchino Visconti, Tony Richardson, Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff, George Cukor, lebte eine Weile mit dem deutsch-amerikanischen Regisseur Ulli Lommel. Es waren respektable Rollen, aber Filmgeschichte geschrieben hat diese Liebes-/Hassbeziehung mit Godard.

Eigentlich sah sie mit ihrem expressiven Gesicht wie ein Stummfilmstar aus, und doch verkörperte sie die Lebenslust und das Selbstbewusstsein der jungen Frau der Sechzigerjahre – lange vor 1968. Nun ist die gebürtige Dänin 78-jährig in Paris gestorben.

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