Die viel besch�ftigte Petra Schmidt-Schaller fegt von Anfang an durch „Wir lieben das Leben“ (ZDF / Wiedemann & Berg), dass es eine wahre Freude ist. Dabei ist ihre Heldin mit gar nicht so leichtem Gep�ck unterwegs, was diese tonlagenreiche Tragikom�die erst nach und nach – dramaturgisch wohl akzentuiert – deutlich macht. Die junge Frau ist desillusioniert vom Leben, von der Liebe und ihrem egoistischen Vater, der jahrelang abwesend war und sich erst jetzt im Alter an die Tochter erinnert. Das Drehbuch besticht mit klugen Variationen dramaturgischer Standards f�r dieses Genre. Schweres wechselt mit Leichtem, Komisches mit Ernstem, Lautes mit Leisem. Es wird geweint, gelacht, und es gibt kein Love Interest. Der Film flie�t im Rhythmus des Lebens dahin, getragen und in einer liebevollen Spannung gehalten von Schmidt-Schaller, Halmer und einem bezaubernden Ohrwurm-Evergreen.
Foto: ZDF / Julia von VietinghoffAuf wenig Gegenliebe st��t "Wir lieben das Leben" bei der 10A von Maria Kowalke (Petra Schmidt-Schaller). Die anfangs auch eher etwas unmotivierte Aushilfslehrerin mag das Lied allerdings selbst auch nicht besonders. Doch dann hat sie eine gute Idee.
Gescheiterte Galeristin darf sich als Musiklehrerin beweisen
Maria Kowalke (Petra Schmidt-Schaller) setzt ihr strahlendstes L�cheln auf. „Ich bin �u�erst belastbar und hoch motiviert“, wirbt sie f�r ihre Person. Sie hofft, als Aushilfslehrerin eingestellt zu werden. Die Mittdrei�igerin ist gleichzeitig auch ehrlich genug, ihre aktuelle Lage ungesch�nt an den Mann – sprich: Rektor Gernegross (Alexander Beyer) – zu bringen. Als Galeristin & Ehefrau gescheitert, kurz davor, sich erstmals im Leben als Tochter eines Vaters (G�nther Maria Halmer) zu f�hlen, den sie nie kennenlernen durfte, untergekommen in einem Appartement, durch das die S-Bahn zu fahren scheint. Sie redet und redet, doch was sie eigentlich nur sagen will: „Ich brauche diesen Job.“ Sie wird ihn bekommen. Denn auch der Schulleiter wei�, was Krise bedeutet: Lehrer fallen aus, Sch�ler kosten einem den letzten Nerv, und das Schulgeb�ude pfeift aus dem letzten Loch. Maria muss sich als Musiklehrerin in einer 10. Klasse beweisen. Die haben andere Probleme, als die die Vicky Leandros in ihrem Lied „Wir lieben das Leben“ besingt. Und doch wird es dieser Song sein, den die Sch�ler auf einer Benefizveranstaltung der Schule performen sollen. Erst einmal ruht sich die nicht gerade p�dagogisch ambitionierte Maria ein wenig aus auf und in ihrem Job, zumal auch ihr Vater, ein Ex-Oberst und Anh�nger deutscher Sekund�rtugenden, der mit seiner „Seniorenresidenz“ radikal fremdelt, sie immer wieder in Beschlag nimmt. Doch dann will sie es wissen.�
Foto: ZDF / Julia von VietinghoffDer "Oberst" (G�nther Maria Halmer) und Maria (Petra Schmidt-Schaller) haben sich nicht viel zu sagen. Der Schmerz �ber den Vater, der die Familie fr�h verlie� und sich nie f�r sie interessiert hat, sitzt noch immer tief drinnen in der Mittdrei�igerin. Dass sich der alte Egoist mehr f�r einen fremden Jungen, den kleinen Emil (Cl. Heinrich), interessiert als f�r die eigene Tochter, best�tigt das Bild, das Maria vom Vater hat.
Die Heldin wirkt unverzagt, doch tief drinnen sitzt der Schmerz
Es war ruhig geworden um das Genre Schul- und Lehrerfilm – bis „Fack ju G�hte“ den Sixties-Penne-Trash auf 10er-Jahre-Comedy tunte. Im Fernsehen hat man zwar nach wie vor auch noch ein Auge auf die jungen Zuschauer, dennoch kommt Schule seit Jahren allenfalls als Schauplatz unter vielen vor, im Krimi, im Drama, in der Kom�die. Da lag es nahe, mal wieder einen Sympathietr�ger in die H�hle der pubertierenden L�wen einziehen zu lassen. Die zuletzt viel besch�ftigte Petra Schmidt-Schaller fegt von Anfang an durch „Wir lieben das Leben“, dass es eine wahre Freude ist. Dabei hat ihre „Heldin“ allerhand schweres Gep�ck dabei, was der Film erst nach und nach – dramaturgisch wohl akzentuiert – deutlich macht. Die junge Frau ist desillusioniert vom Leben und ganz besonders von der Liebe. Ihr famili�res Problem ist nicht jener Vater, der nicht mehr in seinem Haus allein zurecht kommt, sondern der vors�tzlich abwesende Vater, der der Tochter ein St�ck weit eine „normale“ Kindheit vorenthalten hat – und von dem sie offenbar das Nichts-wie-weg-Beziehungsmuster ihrer gescheiterten Ehe �bernommen hat. Dieses tiefe Gef�hl, zu kurz gekommen zu sein, diese kindliche Verletzung, die noch immer in ihr steckt, haben Gabriela Sperl und Lena May Graf fein in die Rolle eingeschrieben. Und Schmidt-Schaller macht diese existenzielle Kr�nkung durch den egoistischen Vater immer wieder lebendig: In ihren feinen Gesichtsz�gen und ihrer K�rperhaltung spiegelt sich der innere Druck als absolutes Kontrastprogramm zu ihrem einzigartigen L�cheln. Ein Mal packt ihre Maria Kowalke aus und wird aus gutem Grund zur Furie („Ich bin das Kind! Du bist der Vater! Du egoistischer Arsch!“), danach rollt sie sich weinend in einen Teppich ein. Vielleicht ist es schwerer, einen Borderline-Charakter wie in „Eine gute Mutter“ zu verk�rpern, im Ergebnis aber ist Schmidt-Schallers nuanciertes Spiel in der tonlagenreichen ZDF-Tragikom�die ihrer Leistung in dem ARD-Drama ebenb�rtig.
Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff�berraschung am ersten Schultag: Musik statt Kunst. Zwei Krisenmanager: Rektor Gerngross (Alexander Beyer) und die doppelt gescheiterte Maria (Schmidt-Schaller)
Tonlagen-Vielfalt und kluge Variationen des „Unvermeidlichen“
Sch�n, dass „Wir lieben das Leben“ in keine der m�glichen Klischee-Fallen tappt. Weder wird die wohlbekannte Bis-zur-Auff�hrungs-Dramaturgie inklusive der beliebten Selbstwert- und Selbstfindungsspritze �berstrapaziert, noch entpuppt sich eben jene� Schlussauff�hrung als emotional �berdimensioniertes Happy End. Und so schlie�t der Film nicht in k�nstlicher Euphorie, sondern mit der Haltung „Geht doch“. Selbst die zu erwartende Ann�herung zwischen Vater und Tochter endet allenfalls mit einem kurzen wohlwollenden Blick zwischen den beiden, bei dem allerdings noch immer viel Unsicherheit mitschwingt. Die Sch�ler besitzen zwar alle ihre Probleme (einer mobbt, eine f�llt wegen Unterern�hrung vom Stuhl und singen kann niemand), doch diese werden eher in ihrer Gesamtheit – in der Wirkung auf die p�dagogisch wenig geschulte Hauptfigur – erfasst. Eine ernsthafte Gr��e in der Geschichte ist hingegen die gel�hmte Residenz-Mitbewohnerin vom Vater der Lehrerin – auch deshalb, weil sie von der gro�artigen Hildegard Schmahl verk�rpert wird: Mit Bemerkungen wie „Die einzige Aufgabe, die wir noch zu bew�ltigen haben, ist zu sterben“ oder „Die Ruhe verliert ihre Kostbarkeit, wenn sie das einzige ist, was man noch hat“ bereichert ihre Schriftstellerin die Tonlagenvielfalt um erfrischend zynische Zwischent�ne. Dramaturgisch konventionell verlaufen dagegen eine Der-Alte-&-das-Kind-Episode und die „Mission Wiedergutmachung“ des Vaters – wobei es jedoch eine gute Idee ist, in Zeiten von Junk Food und Zuckerbomben to go gesunde Ern�hrung (angenehm beil�ufig) ins Spiel zu bringen. Und dass sich die Einsicht des Vaters spiegelt in einer Goodwill-Aktion, die beweist, dass er seine Tochter wirklich ernst zu nehmen scheint, ist zumindest eine kluge Variation des „Unvermeidlichen“.
Foto: ZDF / Julia von VietinghoffWas Max Schellinger (G�nther Maria Halmer) macht, macht er richtig, und Mechthild Singer (zynisch-tragischer Kontrapunkt: Hildegard Schmahl) unterst�tzt ihn dabei. Mag die Gesundes-Essen-Aktion der beiden auch etwas Happy-End-selig ausgedacht wirken, so vermeidet die Inszenierung groben L�uterungs- und Vers�hnungsschmus.
Ein wilder Strau� Leben und ein Ohrwurm von Vicky Leandros
„Wir lieben das Leben“ mag nur ein kleiner, bescheidener Film sein, der nicht in die geweihten H�hen des Dramas abhebt, sondern weitgehend auf dem Boden des Alltags verbleibt und der gerade durch seine unpr�tenti�se und vielstimmige Tonart besticht. In dem Film von Sherry Hormann wechselt Schweres ab mit Leichtem, Existentielles mit Banalem, Komisches mit Ernstem, es gibt sehr laute und sehr leise Momente, es wird geweint und gelacht, es gibt kein Love Interest, daf�r wartet der Tod. Die Geschichten und Situationen sind locker gebunden und werden zusammengehalten von einer Figur, in der sich die Vielfalt des Lebens spiegelt. Weil diese Figur noch recht jung ist, unverstellt und impulsiv, weil ihr Verhalten die Handlung vorw�rtstreibt, ist das n�tige Tempo gegeben, und es bedarf keiner ausgekl�gelten Dramaturgie. Und so flie�t dieser Film im Rhythmus des Lebens dahin, getragen und in einer liebevollen Spannung gehalten von zwei hervorragenden Schauspielern und einem Lied, Marke bezaubernder Ohrwurm-Evergreen, von dem der Schulleiter behauptet: „Es gibt eine ganze Generation, die wegen diesem Lied gezeugt wurde.“
Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff"Wir lieben das Leben". Ein Lied wird Programm. Es wird zum Symbol f�r einen Aufbruch. Sch�n, dass die Auff�hrung und deren Vorbereitung(sstress) nicht allzu sehr in den Fokus r�ckt und so die Vater-Tochter-Geschichte nicht beiseite dr�ngt.
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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