In jeder norddeutschen Großstadt, egal Hamburg, Kiel oder Braunschweig steht ein Tätowierter, der mit rauer Stimme ohne Mikrofon von seinem Weg zu Jesus Christus berichtet. Vielleicht ist es immer derselbe. Seine Geschichte ist jedenfalls immer ähnlich: Er war mal ein Schläger, Knastbruder oder Rocker. Dann las er in der Bibel. Und wurde aus dem finsteren Tal seines komplett falschen Lebens erlöst.
Allzu viele Zuhörer haben die Propheten der Fußgängerzone trotz ihres stimmbandzerfetzenden Geschreis nie. Das könnte anders werden, wenn sich ein Weltstar zu ihnen gesellt: Der britische Comedian Russell Brand will sich taufen lassen. Am Freitag kündigte er auf Instagram an, „einen Sprung ins Wasser zu tun“ („taking the plunge“). Für ihn sei das „eine Gelegenheit die Vergangenheit zurückzulassen und in Christus wiedergeboren zu werden.“
Die Notwendigkeit, sein altes Leben abzuschütteln, ist bei Brand mindestens so gegeben, wie bei jedem unbekannten Fußgängerzonenbrüller. Dass er ein Arschloch war, konnte man auch auf dem Höhepunkt seines Ruhms sehen, als er unter anderem eine zweijährige, turbulente Ehe mit Katy Perry führte. Legendär kotzbrockig war 2010 ein Live-Anruf direkt aus einer Fernsehshow bei dem damals 78 Jahre alten Schauspieler Andrew Sachs, als Brand vor Millionen Zuschauern rief: „Ich habe deine Enkelin gefickt.“ Tatsächlich hatte er ein kurzes Verhältnis mit der besagten Georgina Baillie.
Das alles wurde Brand verziehen, weil er wenigstens ein unterhaltsames Arschloch war. Erledigt hat ihn dann erst eine Fernsehdokumentation 2023, in der ihn vier Frauen der Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und des emotionalen Missbrauchs zwischen 2006 und 2013 beschuldigten.
Wie ernst vor diesem Hintergrund Brands Taufe zu nehmen ist, wird sich zeigen. Der Verdacht liegt nahe, dass er eine Umkehr öffentlich inszeniert, um sich in besseres Licht zu rücken. Dagegen spricht, dass er bisher noch kein Video von der für letzten Sonntag geplanten Taufe gepostet hat. Und immerhin hat er sich so intensiv mit der Bibel beschäftigt hat, dass er aus dem Galaterbrief zitiert.
Brand ist nicht der erste schwierige Brite, der versucht, seine unruhige Seele mit Taufwasser zu kühlen: Die polemische Journalistin Julie Burchill wurde 1999 Lutheranerin. Auch Brand scheint sich für den relativ langweiligen, aber ernsten Protestantismus entschieden zu haben. Das erhöht seine Glaubwürdigkeit. Leute, die Religion nur als ästhetischen Lifestyle-Hintergrund brauchen, werden katholisch. Und wer mit einem provokativen Kracher Aufsehen erregen will, konvertiert zum Islam wie Lindsay Lohan.
Doch ob eine solche Konversion unruhigen Geistern wirklich zur ersehnten „mental health“ verhilft, zeigt sich erst auf der Langstrecke. Mit einer Zeremonie und ein paar instagrammablen Besuchen in der Kirche oder der Moschee ist es noch längst nicht getan. Das stille alltägliche Gebet ist für aufmerksamkeitssüchtige Charaktere meist eine größere Schwierigkeit als die laute öffentliche Verkündigung eines radikalen Wandels. Weder Julie Burchill noch Lindsay Lohan wirken sonderlich beruhigt. Und auch die Missionare in den Fußgängerzonen erscheinen oft so aggressiv ergriffen, als hätten sie ihre alten bösen Energien nur umgeleitet.