Augsburgs Sven Michel im Interview: „Union kann keinen Abstiegskampf? Das ist Schwachsinn!“

Sven Michel: „Union kann keinen Abstiegskampf? Das ist Schwachsinn!“

Der 1. FC Union Berlin empfängt am Samstag (15.30 Uhr) den FC Augsburg und damit auch Sven Michel. Mit der Berliner Zeitung sprach er über seine Rückkehr.

Sven Michel in Jubelpose und altem Trikot: Für den 1. FC Union Berlin erzielte der Stürmer in 44 Pflichtspielen neun Tore.
Sven Michel in Jubelpose und altem Trikot: Für den 1. FC Union Berlin erzielte der Stürmer in 44 Pflichtspielen neun Tore.Bruno Fahy/IMAGO

Eineinhalb Jahre spielte Sven Michel für den 1. FC Union Berlin, stürmte mit den Eisernen erst in die Europa League und im Mai dieses Jahres in die Champions League. Den entscheidenden Treffer zum Sprung in die Königsklasse bereitete er im Spiel gegen Werder Bremen als Joker vor.

Überhaupt war der 33-Jährige der Mann für die besonderen Momente: Sein Tor bei Royale Union Saint-Gilloise ebnete den Köpenickern den Weg in die K.o.-Runde der Europa League gegen Ajax Amsterdam, sein Assist für den Torschützen Kevin Behrens im Spiel bei RB Leipzig war so spektakulär, dass die ARD-Sportschau die Koproduktion der beiden Stürmer in die Auswahl zum Tor des Monats stellte. Die Zuschauer wählten das Duo mit ihren Anrufen später zum Sieg.

Mittlerweile spielt der Angreifer für den FC Augsburg, weil er unter Ex-Trainer Urs Fischer in Köpenick keine Aussicht auf mehr Einsatzzeit bekam. Am Samstag (15.30 Uhr) kehrt Michel aber zumindest für 90 Minuten ins Stadion An der Alten Försterei zurück. Mit seinem neuen Klub versucht er wichtige Punkte im Kampf um den Klassenerhalt zu sammeln und Union noch tiefer in die Krise zu stürzen. Über eigene Erfahrungen im Abstiegskampf, Champions-League-Abende vor dem Fernseher und seine sportliche Zukunft unterhielt sich Michel zuvor im Interview mit der Berliner Zeitung.

Herr Michel, aufgrund Ihrer Vorliebe für die Natur und das Sammeln von Pilzen und Kräutern gaben Ihnen Ihre Mitspieler in Paderborn einst den Spitznamen Miraculix. Welchen Zaubertrank würden Sie dem 1. FC Union Berlin verabreichen?

Sven Michel (lacht): Wenn ich einen hätte, würde ich ihn gerne verschreiben. Ich glaube aber, dass die Mentalität und auch die Qualität im Kader so stark sind, dass sich Union aus der aktuellen Misere befreien wird. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Das Gegenteil eines Zaubertranks würde vermutlich eine neuerliche Niederlage am Samstag gegen Ihren FC Augsburg bewirken. Bei einem Auswärtssieg würden Sie Union in der Tabelle auf zehn Punkte distanzieren.

Diese Konstellation war vor der Saison natürlich überhaupt nicht zu erwarten. Für uns sind die drei Punkte enorm wichtig, weil wir so früh wie es nur geht den Deckel auf den Klassenerhalt setzen wollen. Es wird für uns eine Riesenaufgabe, in Berlin zu bestehen, aber selbst wenn wir dort etwas holen sollten, heißt das noch lange nicht, dass wir am Ende auch weiterhin vor Union stehen. Dafür ist die Saison viel zu lang.

Was macht der FC Augsburg denn gegenwärtig besser als der 1. FC Union Berlin?

Es ist schwierig, die beiden Mannschaften miteinander zu vergleichen. Auffällig ist natürlich, dass Union aktuell das Momentum nicht auf ihrer Seite hat. Sie haben keine schlechten Spiele gemacht, der Unterschied zur letzten Saison ist aber, dass das Glück fehlt. Da haben wir nämlich genug Spiele gewonnen, nach denen wir uns hinterher angeschaut haben und dachten: Hä?! Wie ist das denn jetzt passiert?

Welche Rolle spielt bei Ihrer jüngsten Erfolgsserie (vier Spiele ohne Niederlage) der neue Trainer Jess Thorup?

Er hat einen großen Anteil. Man sieht in den Partien, dass wir vorne draufgehen, hoch anlaufen und offensiven Fußball spielen wollen. Der Coach ist sehr positiv, akribisch und sucht auch immer wieder das Gespräch mit den einzelnen Spielern. Das hilft einem sehr.

Sven Michel über den Abstiegskampf: „Wichtig ist, einen kühlen Kopf zu bewahren“

Sie versprühen nach der Frage zum Klassenerhalt des 1. FC Union Berlin Optimismus. Kann dieser Kader überhaupt Abstiegskampf?

Man kann sich für den Abstiegskampf nicht wappnen. Es ist Schwachsinn, dass Union keinen Abstiegskampf kann.

Aber fehlt es nicht an Spielern wie Ihnen, die diese Situation kennen, erprobt darin sind, um den Klassenerhalt zu fighten? Sie haben es mit Paderborn und davor auch in Cottbus erlebt.

Nein, das sehe ich anders. Ich bin mit den genannten Vereinen insgesamt dreimal abgestiegen, habe die Erfahrung in solchen Situationen also mehrfach gemacht – und genützt hat es am Ende nichts. Nur weil man schon mehrfach im Abstiegskampf war, kann man das nicht besser als andere. Wichtig ist, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich gegenseitig nicht zu zerfleischen. Aber auch darum mache ich mir bei Union keine Sorgen.

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Christian Kolbert/IMAGO
ZUR PERSON
Fernab aller Nachwuchsleistungszentren Schritt für Schritt nach oben gekommen, feierte Sven Michel sein Bundesliga-Debüt erst im Alter von 29 Jahren. Mit dem SC Paderborn stieg er nach nur einer Saison aber wieder in die Zweite Bundesliga ab. Der am 15. Juli 1990 geborene Freudenberger wechselte im Januar 2022 für 2,5 Millionen Euro zum 1. FC Union Berlin. Bei den Köpenickern kam er über die Rolle des Einwechselspielers meist nicht hinaus. Er entschied sich im Sommer für einen Wechsel zu Ligakonkurrent FC Augsburg.

Im Gegensatz zu den harten Wochen in der Bundesliga stehen für den Verein momentan die Highlights in der Champions League. Madrid, Neapel, Braga. Wie sehr schmerzt es, dies nicht mitzuerleben?

Ich trauere der Tatsache, dass ich selbst nicht dabei bin, wirklich nicht hinterher. Ich habe für mich entschieden, dass ich Union gerne verlassen wollte, weil mir die Spielzeit dort zu wenig war. Union hat mir die Chance gegeben, diese Phase auf dem Weg in die Champions League mitzumachen, und dafür bin ich einfach dankbar. Mit dem Verein habe ich Dinge in meinem Fußballerleben mitgemacht, die ich mir vorher schon gar nicht mehr erträumt hatte. Jetzt sitze ich abends vor dem Fernseher, drücke die Daumen und hoffe, dass sie über den dritten Platz zumindest noch in die Europa League rutschen.

Ohne Urs Fischer, der seit vergangener Woche nicht mehr Trainer in Köpenick ist.

Mehrere Freunde hatten mir bei WhatsApp geschrieben, darüber habe ich von der Trennung erfahren. Auch wenn ich unter ihm nicht die meiste Spielzeit bekommen habe – für Urs tut es mir leid. Ich bin mir ganz sicher, dass er gemeinsam mit Hoffi (Co-Trainer Markus Hoffmann; Anm. d. Red.) eine coole nächste Station finden wird und sie dort neue Geschichten schreiben werden.

Warum hat es mit mehr Spielzeit unter Fischer denn nicht geklappt? Sie wurden seinerzeit als Nachfolger des zum VfL Wolfsburg abgewanderten Max Kruse verpflichtet, bekamen seine Rückennummer 10. Die Erwartungen waren hoch.

Diese Bürde habe ich mir selbst nie auferlegt, weil wir zwei völlig unterschiedliche Spielertypen sind. Meine Konkurrenz im Sturm hat einfach sehr gute Spiele gemacht, es lief in der Mannschaft, und dann fehlen einem die Argumente. Trotzdem habe ich meine Tore erzielt und Momente gehabt, sobald ich die Chance dazu bekommen habe. In der aktuellen Situation hätte ich bei Union sicher mehr Gelegenheiten bekommen, mich zu zeigen.

Zu welchen ehemaligen Kollegen besteht denn noch der regelmäßigste Kontakt?

Rani Khedira, Christopher Trimmel, Levin Öztunali und Tim Maciejewski fallen mir auf Anhieb ein, aber es sind auch nicht nur diese vier. Wir hatten einfach eine geile Truppe, und ich bin mir sicher, dass der Kontakt auch nach meiner Karriere kein Ende nimmt.

Denken Sie denn schon an Ihr Karriereende? Sie feiern übernächsten Sommer, wenn der Vertrag in Augsburg ausläuft, Ihren 35. Geburtstag.

Ich mache das einzig und allein davon abhängig, wie ich mich fühle. Meine Fußball-Karriere hat ein bisschen später begonnen als bei vielen anderen, und um ehrlich zu sein, fühle ich mich körperlich auch gerade nicht wie 33. Wenn noch ein Angebot kommt, auf das ich Lust habe, dann mache ich das noch. Nach dem Ende meiner Laufbahn wollen wir mit der Familie ins Siegerland zurück, haben dort ein Grundstück gekauft und wollen ein Haus bauen.