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Encore - Immer wieder die Frauen...

- | Frankreich 1996 | 98 Minuten

Regie: Pascal Bonitzer

Ein Philosophieprofessor Mitte 40 steckt in einer Lebenskrise und ist voller Zweifel in seiner Beziehung zu einer jüngeren Frau. Er sucht nach Auswegen und glaubt, mit anderen Frauen ein neues Glück finden zu können. Er muß jedoch lernen, daß ihm die Fähigkeit zur Liebe und zum Glücklichsein abhanden zu kommen droht. Melancholische Komödie mit einer intellektuellen Versuchsanordnung. Sie ist jedoch kein Thesenfilm, sondern durchaus sinnliches Kino, das durch seinen strengen Aufbau und die exzellenten Darsteller überzeugt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
ENCORE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Paris New York Prod.
Regie
Pascal Bonitzer
Buch
Pascal Bonitzer
Kamera
Emmanuel Machuel
Schnitt
Suzanne Koch
Darsteller
Jackie Berroyer (Vichac) · Valeria Bruni-Tedeschi (Aliette) · Natacha Régnier (Catherine) · Laurence Côte (Florence) · Hélène Fillières (Aurore)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Eine Beziehungskomödie: Da weiß der Zuschauer zumeist schon von Anfang an, was gespielt wird. Sie und er sind füreinander bestimmt, wissen es aber noch nicht, und haben eine Spielfilmlänge Zeit, aufeinander zu Zumäandern. Das Wie steht im Mittelpunkt der Handlung, die auf nach außen sichtbare Veränderung aufgebaut ist. Das kann zum Brüllen komisch sein oder, trotz des komödiantischen Sujets, zu Herzen gehen; das kann bis in die filigransten Verästelungen entwickelt sein oder den ausgetretenen Pfaden der Verwechslungskomödie folgen: irgendwann hat sich das neue Paar gefunden, Ende gut ... ! Ganz so einfach will es sich und den Zuschauern der 50jährige Pascal Bonitzer in seinem ersten Film nicht machen. Er nähert sich seinem Thema elliptisch, das Streben nach Veränderung führt zum Stillstand; Stillstand führt Veränderung herbei. Am Ende hat sich nichts geändert und doch ist alles ganz anders geworden.

Abel Vichac, ein Philosophie-Professor Mitte 40, ist in der Krise. Seine Beziehung zur manisch-eifersüchtigen Aliette, einer wesentlich jüngeren Frau, hat sich überlebt und auf eine erbärmliche Grundversorgung reduziert: Lebenshilfe für einen hochgeistigen Mann, der nur theoretisch in der Lage ist, ein Steak zu braten. Mit dieser emotionalen Leere geht eine geistige einher, die den Professor lähmt, seine Gedanken immer wieder um das eine (deutsche!) Wort "Ersatz" kreisen läßt. Ersatz für was oder wen, und wer könnte Ersatz sein? Die ehemalige Mitarbeiterin Florence etwa, die dem einst verehrten Vorbild brüsk ihre Meinung sagt, sich in groteske, japanisch angehauchte Lebensweisheiten versteigt und auf Grund einseitiger Ernährung fast gestorben wäre? Die burschikose Catherine, die sich als Aurore ausgibt, eine Studentin, die über Vichac gearbeitet hat, um den Mann für sich zu interessieren? Oder die wirkliche Aurore, Catherines Mitbewohnerin, die zunächst unbeteiligt und außen vor bleibt, der später jedoch eine wesentliche Rolle zukommen wird? Vichac fühlt sich angezogen und mißachtet zugleich, versucht sein Glück bei Catherine, gefällt sich in der Rolle des intellektuellen Verführers, kann sich jedoch nicht entscheiden, da immer dann, wenn er sich auf eine Frau zu konzentrieren glaubt, mindestens zwei andere in seinem Kopf herumspuken und mit dem Wort "Ersatz" Ringelreigen tanzen. Als auch noch Olga, eine frühere Geliebte, nach acht Jahren aus der Versenkung auftaucht und ganz behutsam Kontakt sucht, verliert Vichac seine mühsam bewahrte Haltung. Er eröffnet Aliette, daß er an einen Urlaub am Meer denke, wohl wissend, daß sie, die das Meer haßt, ihn nicht begleiten wird. Gleichzeitig weiht er Catherine in seine Pläne ein, vielleicht hoffend, daß sie ihm nachreisen und sich so eine Entscheidung ganz von allein einstellen werde. Doch es gibt Situationen im Leben, da gehen die vertracktesten Rechnungen nicht auf. Aliette begleitet ihn in das abgeschiedene Haus in der Nordküste, Catherine reist mit ihrem Troß, darunter Aurore, hinterher, um Geburtstag zu feiern. Das Paar nimmt ihre Einladung an, und in der Nacht scheinen sich die Geschicke aller Beteiligten zu erfüllen.

Während Catherine und Aliette sich in der Küche süffisant streiten, sucht Abel mit Aurore das Weite. Doch nicht ein Seiten-Sprung ist die Folge, sondern ein Bad im nächtlichen Meer. Aliette beobachtet die beiden und zieht für sich die Schlüsse und die Konsequenzen. Paris sieht Abel allein wieder. Aurore war weniger das Objekt seiner Begierden als vielmehr Vehikel, um eine Entscheidung herbeizuführen, eine Entscheidung, die Abel freilich nicht selbst fällen wollte. Dennoch läuft Abel verstört durch die Stadt. Als er Florence fragt, ob sie mit ihm leben will, lehnt sie katagorisch ab, da sich seine Liebe nicht auf sie richte, sondern nur ihm selbst gelte. Abel sieht sich durchschaut und will seinem Leben ein Ende bereiten, doch im letzten Moment taucht Aliette auf, die jetzt bei Abels Bruder lebt, und kann den Lebensmüden umstimmen. Eine Chance mehr, in einem Leben, das sich selbst keine Chance einräumte, ein neuer Anfang, eine neue Hoffnung, ein sanfter Kuß.

Ein Liebesreigen, der von der Angst vor der Liebe und der Unfähigkeit, eine andere als die Eigenliebe zu pflegen, geprägt ist. Die Hauptperson, ein klarer, aber kein kühner Denker, wortgewandt und geschult in der Kunst der Reflexion, zumindest, wenn es um andere Personen und deren Probleme geht. Emotional auf dem besten Wege der Verkrüppelung, dies wohl wissend, der Entwicklung jedoch nicht Einhalt gebieten könnend. So sieht Pascal Bonitzers Versuchsanordung aus, eine klare Konstellation, aus der sich Chaos entwickelt, der Generalangriff gegen jede scheinbare Ordnung. Dabei scheint - zumindest in der Theorie - alles berechenbar, das menschliche Verhalten ebenso wie die zukünftige Entwicklung. Ein Experiment, das Abel mit Catherine und ihrem Freund durchführt, scheint dies zu belegen. Doch aus dem Labor in die Wirklichkeit verlegt, die Leben heißt - das bringt, wegen der vielen nicht zu berechnendnen Einflüsse, andere Meßwerte und Ergebnisse. Nicht von unfähr hat Bonitzer sein "Törtchen"-Experiment ins Zentrum seines Films gestellt und so irgendwie das Gegenteil eines Gleichnisses geschaffen. Wenn auch hoch intellektuell und sehr wortlastig, hat Bonitzer doch keinen reines Thesenkino geschaffen, sondern einen auch durchaus sinnlichen Film, durchzogen von feinem Humor und einer latenten Tragikomik, die schon eine gewisse Lust am Leiden erkennen läßt, so als könne der Mensch sein Glück nicht annehmen, als müsse alles und jedes hinterfragt werden und die Dinge, auf die es kaum Antworten gibt, mit besonderer Inbrunst.

Aber schließlich ist diese Art Fragestellung, die sich verschiebenden Konstellationen, die Unfähigkeit zum Glück die Spezialität des gealterten Debütanten, der als Autor im französischen Kino eine feste Größe ist. Mit Andre Téchiné hat er schon gearbeitet ("Schauplatz des Verbrechens", "Meine liebste Jahreszeit'u.a.) und für Jacques Rivette ist er so etwas wie der Hausautor ("Sturmhöhe", "Die Viererbande", "Die schöne Querulantin", Vorsicht zerbrechlich" u.a.). "Encore - Immer wieder die Frauen..." ist mit diesen Filmen mehr als wesensverwandt. "Encore" ist ein kluges Konstrukt, getragen von einem großartigen Hauptdarsteller, der in fast jeder Szene im Zentrum steht und schon durch seinen leidenden Dackelblick seine Figur an den Rand der Lächerlichkeit rückt. Ihm zur Seite stehen Darstellerinnen, die sein Spiel effektvoll unterstützen, deren unterschiedliche Charaktere seine Seelennöte augenfällig machen. Auf die apathische, fahrige aber auch hysterische Aliette gilt es ganz anders zu reagieren als auf die berechnende Spielerin Catherine; die scheinbar gleichgültige Aurore will anders umworben werden als die ein wenig überspannte und überforderte Florence. Die Summe ihrer Wesenszüge bringt Abel, der von allem etwas in einer sucht, zur Verzweiflung. Emmanuel Machuels distanzierte Kamera beobachtet das Geschehen in ruhigen, langen Einstellungen, die Farben sind ein wenig trüb, wie das abgefilmte Leben eben. Ein gelungener Einstand, der seinem Zuschauer jedoch einiges abverlangt, zusehen und zuhören muß er schon können und Interesse am Menschen haben, auch eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung ist hilfreich.
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