Wählen ab 16: Was spricht dafür und was dagegen?
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Absenkung des Wahlalters

Wählen ab 16: Was spricht dafür und was dagegen?

  • Veröffentlicht: 14.05.2024
  • 11:44 Uhr
  • Christian Stüwe
Bei den Europawahlen im Juni dürfen in Deutschland erstmals auch 16-Jährige wählen.
Bei den Europawahlen im Juni dürfen in Deutschland erstmals auch 16-Jährige wählen.© Picture Alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmay

Bei einigen Wahlen wie der Europawahl im Juni dürfen Jugendliche ab 16 bereits wählen. Warum das Wahlalter jetzt teilweise gesenkt wurde und was die Vor- und Nachteile davon sind.

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Das Wichtigste in Kürze zum Wählen ab 16

  • Bei der Europawahl Anfang Juni werden erstmals auch 16- und 17-Jährige wählen dürfen.

  • Auch bei Kommunalwahlen und Landtagswahlen darf in einigen Bundesländern bereits ab dem 16. Geburtstag gewählt werden.

  • Auf Bundesebene würde die Ampel-Regierung jungen Menschen gerne das Wählen ab 16 ermöglichen, allerdings fehlt die politische Mehrheit dafür.

  • Eine Absenkung des Wahlalters würde der jungen Generation mehr politische Teilhabe verschaffen. Die Gegenseite argumentiert vor allem mit der fehlenden Reife der jungen Wähler:innen.

Inhalt

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Wahlrecht: Ab welchem Alter in Deutschland gewählt werden darf

"Wir wollen mehr Demokratie wagen", sagte Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969. Im Anschluss kündigte der SPD-Politiker an, dem Bundestag einen Gesetzesentwurf vorlegen zu wollen, durch denn das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre und das passive Wahlalter von 25 auf 21 Jahre herabgesetzt werden solle. Junge Menschen sollten Brandts Vorschlag zufolge also ab ihrem 18. Geburtstag wählen gehen dürfen (aktives Wahlrecht) und sich ab ihrem 21. Geburtstag in den Bundestag wählen lassen dürfen (passives Wahlrecht).

Quer durch Fraktionen und Parteien wurde heftig gestritten, am 18. Juni 1970 verabschiedete der Bundestag den Gesetzesentwurf dann jedoch mit der nötigen Zweidrittelmehrheit und änderte das im Grundgesetz festgeschriebene Wahlalter. Bei der Bundestagswahl am 9. Juni 1972 durften rund fünf Millionen 18- bis 20-jährige Deutsche erstmals wählen, die Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent ist bis heute die höchste in der Geschichte der Bundestagswahlen.

Genau 52 Jahre später, bei der Europawahl 2024 am 9. Juni, werden wieder viele junge Deutsche erstmals zur Wahlurne gehen. Der Bundestag setzte im November 2022 das aktive Wahlalter für die Europawahl auf 16 Jahre herab.

Im Video: Warum man in Deutschland nicht online wählen kann

Diese Entscheidung war der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung der letzten Jahre. Immer mehr Bundesländern setzten das aktive Wahlalter für Kommunalwahlen und/oder Landtagswahlen auf 16 Jahre herab, lediglich in Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und dem Saarland dürfen Jugendliche unter 18 Jahren noch nicht wählen.

Es wäre also der logische nächste Schritt, das Wahlalter auch für Bundestagswahlen herabzusetzen und eine einheitliche Lösung zu schaffen. Während die Ampel-Regierung und die Abgeordneten der Partei Die Linke die Herabsetzung des Wahlalters größtenteils befürworten, kommen Gegenstimmen vor allem von der CDU/CSU und der AfD, was es schwierig bis unmöglich machen dürfte, die nötige Zweidrittel-Mehrheit für eine Änderung des im Grundgesetz festgeschriebenen Wahlalters für Bundestagswahlen zusammen zu bekommen.

Grafik: In welchen Bundesländern 16-Jährige wählen dürfen

In welchen Bundesländern dürfen 16-jährige wählen?
In welchen Bundesländern dürfen 16-jährige wählen?© Galileo
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Das Wahlalter in anderen Ländern

Interessant ist dabei auch ein Blick in andere Länder. Weltweit bewegt sich das aktive Wahlalter fast überall zwischen 16 und 20 Jahren. In Europa ist Österreich ein Vorreiter, im Zuge einer Wahlrechtsreform im Jahr 2007 wurde das Wahlalter für sämtliche Wahlen auf 16 Jahre herabgesetzt. Mit Malta zog ein weiteres europäisches Land 2018 nach und senkte das Wahlalter auf 16 Jahre.

Auch in vielen südamerikanischen Ländern wie beispielsweise Brasilien oder Argentinien darf bereits ab 16 Jahren gewählt werden, ebenso auf Kuba. Eine Besonderheit in Brasilien ist, dass es eine Wahlpflicht gibt, die 18- bis 70-Jährige betrifft. 16- und 17-Jährige sowie Senioren können frei entscheiden, ob sie wählen möchten.

In einigen anderen Ländern ist das Wahlalter an Bedingungen geknüpft. Wer früh heiratet, darf in Mexiko bereits mit 16 Jahren wählen. In den Balkanländern wie beispielsweise Kroatien und Bosnien-Herzegowina wird der frühe Einstieg ins Berufsleben mit dem Wahlrecht ab 16 belohnt.

Eines der höchsten Wahlalter weltweit galt bis vor kurzem bei Senatswahlen in Italien. Erst für die Wahlen 2023 wurde das aktive Wahlalter von 25 Jahren auf 18 Jahre abgesenkt. Eine kuriose Besonderheit gibt es auch im Vatikanstaat, wo das aktive Wahlrecht bei einer Papstwahl auf Kardinäle beschränkt ist, die ihren 80. Geburtstag noch nicht gefeiert haben.

In Neuseeland urteilte 2022 ein Gericht, dass das aktive Wahlalter von 18 Jahren diskriminierend sei und die Menschenrechte der 16- und 17-Jährigen verletze, die über ihre Zukunft mitentscheiden sollten dürfen. Seitdem beschäftigt sich die Politik mit dem Gerichtsurteil, die benötigte Dreiviertelmehrheit im neuseeländischen Parlament zur Absenkung des Wahlalters kam bisher aber nicht zustande.

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Pro: Wählen ab 16 Jahren in Deutschland

Ganz ähnlich wie in Neuseeland ist die Situation in Deutschland. Die Ampel-Koalition würde 16- und 17-Jährigen bei der nächsten Bundestagswahl 2025 gerne das Wahlrecht zugestehen. Da CDU, CSU und AfD aber dagegen sind, kommt die nötige Zweidrittel-Mehrheit bisher nicht zustande.

Dabei gibt es eine Menge Argumente, die für eine Absenkung sprechen. Erfahrungswerte aus anderen Ländern zeigen, dass Menschen, die mit 16 Jahren bereits wählen dürfen, auch später ihr Wahlrecht häufiger wahrnehmen. Wählen ab 16 könnte also zu höheren Wahlbeteiligungen und mehr politischer Partizipation führen.

Ein weiteres starkes Argument ist die zunehmende Überalterung unserer Gesellschaft. Es gibt immer mehr alte und weniger junge Menschen, weshalb der Altersdurchschnitt der Wählenden immer weiter steigt und ältere Menschen verhältnismäßig mehr Stimmen haben. Die großen Probleme der Zukunft wie etwa der Klimawandel betreffen aber vor allem die jungen Menschen. 

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass 16- oder 17-Jährige nicht mehr weniger politisch gebildet sind als Menschen in ihren 20ern und deshalb sehr wohl gewissenhaft Wahlentscheidungen treffen können. Die Studie "Wählen ab 16" der Bertelsmann Stiftung sagt aber auch, dass die Absenkung des Wahlalters kein Selbstläufer sei, sondern dass die jungen Erstwähler:innen "beim Erlernen und Erleben von demokratischen Prinzipien" sowohl in der Schule wie auch in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld unterstützt werden müssten.

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Contra: Wählen ab 16 Jahren in Deutschland

"Ich finde es nach wie vor widersprüchlich, dass man den Deutschen Bundestag wählen können soll, aber gleichzeitig ohne Zustimmung der Eltern keine rechtswirksamen Verträge abschließen kann. Das passt doch nicht zusammen", sagte der CDU-Politiker Philipp Amthor bei einer Rede im Bundestag 2021.

Jugendliche unter 18 Jahren dürfen keinen Handy- oder Mietvertrag abschließen, sie dürfen nicht den Führerschein machen und alleine Auto fahren oder eine vollwertige Kreditkarte besitzen. Warum sollten sie also wählen dürfen?

Ein weiteres Gegenargument aus neurowissenschaftlicher Sicht ist, dass junge Menschen Entscheidungen tatsächlich eher "aus dem Bauch heraus" treffen. Die Bereiche im Gehirn, in denen emotionale Entscheidungen getroffen werden, sind schon bei Kindern voll ausgebildet und aktiv. Die Bereiche des Gehirns, die für rationale Entscheidungen zuständig sind, bilden sich hingegen erst in den 20er-Jahren eines Menschen voll aus.

Aus Sicht der konservativen und rechtspopulistischen Parteien spielt vermutlich auch die Angst eine Rolle, dass vor allem junge Menschen aus der "Fridays for Future"-Bewegung den Weg zur Wahlurne machen würden und dort eher linken Parteien ihre Stimmen geben würden. Dagegen sprechen allerdings einige durchgeführte Testwahlen, eine aktuelle Jugendstudie unter Beteiligung des Sozialwissenschaftlers Klaus Hurrelmann sah die AfD bei jungen Menschen sogar bei 22 Prozent.

Generell würde sich das Wahlergebnis aber vermutlich maximal im einstelligen Prozentbereich verändern, da bei einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auf Bundesebene etwas mehr als eine Million Neuwähler:innen auf insgesamt mehr als 60 Millionen Wahlberechtigte treffen würden.

Willy Brandt (M.) war von 1969 bis 1974 der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Willy Brandt (M.) war von 1969 bis 1974 der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.© Imago/Horstmüller

Häufige Fragen zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre

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