Bloß nicht vor den Egeln ekeln
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Bloß nicht vor den Egeln ekeln

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Dorle Schmidt zeigt im Dorfladen einen Blutegel. © Red

Lich (pm). Volle Konzentration herrschte im maximal besetzten Eberstädter Dorfladen beim Talk über Blutegel mit den Gästen Dr. Harald Galatis und Dr. Dorle Schmidt von der Biebertaler Blutegelzucht, es moderierte Heilpraktikerin Alexandra Renkawitz. Die Zuhörenden waren eingeladen, Anschauungsmaterial zu betrachten und Fragen nicht bis zur legendären Suppenpause aufzusparen, sondern sie jederzeit einzubringen, wovon rege Gebrauch gemacht worden ist.

Ist der Blutegel ein Arzneimittel (ja), gibt es Blutegel auch bei uns in Bächen und Flüssen (selten), gibt es mehrere Arten von Blutegeln (ja, aber nicht alle saugen oder sind medizinisch wirksam), wie vermehren sie sich, wie alt werden sie, wie alt ist ein Blutegel, wenn er »einsatzreif« an Mensch oder Tier ist, welche Vorkehrungen werden getroffen, damit vom Egel keine Krankheiten übertragen werden können, was geschieht mit den »genutzten Tieren«, gibt es Blutegel frei zu kaufen? Fragen, die von Agraringenieur Dr. Galatis ausführlich beantwortet wurden. Eine Zusammenfassung findet man auf der Homepage des Dorf- und Kulturladens (dorfladen-eberstadt.de). Auch Frau Dr. Schmidt war ihre Begeisterung für »ihre« Tiere anzumerken. Sie berichtete über die Geschichte der sogenannten Hirudotherapie. Über Jahrhunderte waren Aderlass, Schröpfen und Egeltherapie gleichberechtigte Verfahren in der Medizin. Einige »Ärzte« hatten es allerdings übertrieben und setzten am Klienten sehr viele Tiere gleichzeitig an, was als »Vampirismus« in die Medizingeschichte einging. Korrekt angewendet und mit maximal zehn Tieren sei diese Therapie aber ungefährlich. Das 19. Jahrhundert war die Hochzeit der Blutegeltherapie, sie entwickelte sich zum Handelsschlager. Millionen von Egeln wurden gesammelt und in Holzkisten nach Amerika verschifft. Dieser Raubbau hat die medizinisch wirksamen Egel fast ausgerottet.

Größte Farm in Europa

Die Therapie wurde von »moderneren« Verfahren abgelöst, ihre Bedeutung nimmt aktuell wieder zu. Die Suche nach dem Schatz aus dem Reich der Ringelwürmer ist allerdings nur noch am südöstlichen Rand Europas aussichtsreich. Natürlich wusste Schmidt als Ärztin und medizinische Leiterin auch über Erkrankungen zu berichten, in denen die Therapie erfolgreich angewendet werde, etwa Tinnitus, Hörsturz, Arthrose, Verspannungen, beim Anwachsen von Transplantaten und mehr. Es gibt allerdings Bedingungen, bei denen diese Therapie nicht erfolgversprechend wäre oder nicht angewendet werden darf. Die Blutegelzucht gibt es in Biebertal seit 35 Jahren, es ist die größte Farm in Europa. Etwa eine halbe Million Tiere kommen jährlich in den Verkauf. Der Talk wurde durch Bild- und Anschauungsmaterial bereichert. Ekel vor Egeln hatte nach diesem Abend niemand mehr.

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