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Hanna Reitsch – eine Frau flog Hitlers Wunderwaffen

Leitender Redakteur Geschichte
Ob Hubschrauber, Düsen- oder Raketenflugzeug: Hanna Reitsch gehört zu den bekanntesten Testpilotinnen der Welt. Die vor 100 Jahren geborene Fliegerin war eine Bewunderin des "Führers".

Am eigenen Ruf muss man arbeiten. Gerade wenn man sich selbst für die „größte Fliegerin der Welt“ hält. Ob Hanna Reitsch sich selbst jemals so bezeichnet hat, ist unbekannt. Doch auf jeden Fall ließ sie ihre Kollegen und Bekannten spüren, dass sie sich selbst für außergewöhnlich begabt hielt.

Der erfahrene Testpilot Heini Dittmar sagte über Reitsch: „Es gibt Frauen, die nicht ruhig bleiben können, wenn ein neuer Mann in der Stadt ist – solange, bis sie ihn im Bett haben. Bei Hanna ist es das Gleiche mit neuen Flugzeugen. Wann immer ein Prototyp zur Verfügung steht, ist sie verrückt danach und nicht zufrieden, bevor sie ihn nicht geflogen hat.“

Dittmar erreichte über 1000 Stundenkilometer

Ende Mai 1942 war es wieder einmal soweit: Hanna Reitsch erschien auf dem Testgelände der Messerschmitt-Flugzeugwerke bei Augsburg. Hier befand sich gerade der raketengetriebene Abfangjäger Me-162B in der Flugerprobung, gesteuert meistens von Dittmar.

Der 31-jährige Versuchspilot hatte Ende 1941 mit einer ersten Version des Raketenflugzeuges als erster Mensch überhaupt eine Geschwindigkeit von mehr als 1000 Stundenkilometern erreicht. Nun sollte der für ein Flugzeug ungewöhnlich tropfenförmige Jäger einsatztauglich gemacht werden.

Auf dem Augsburger Fliegerhorst kam es zu harten Auseinandersetzungen. Dittmar drohte, die Flugerprobung mit der „Komet“ genannten Neuentwicklung einzustellen, wenn Hanna Reitsch eingebunden werden sollte. Das wiederum störte die Luftwaffen-Testpiloten, die ohne den intuitiv steuernden Testpiloten die Erprobung der Wunderwaffe nicht fortsetzen wollten.

Hauptmann Wolfgang Späte, der Leiter des Erprobungskommandos 16, hatte eine klare Bewertung der Pilotin Hanna Reitsch: „Ihr Stolz ließ es weder zu, uns als gleichberechtigte Kollegen zu akzeptieren noch unsere professionellen Ratschläge anzunehmen. Sie war Nr. 1, sie wusste alles.“

Also machte Späte, der bis dahin bereits 79 Luftsiege errungen hatte und mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet worden war, einen Kompromissvorschlag: Dittmar und das Erprobungskommando 16 setzten die Flüge der Me-163 auf dem Testgelände bei Augsburg fort, Hanna Reitsch wurde zum Sitz der Messerschmitt-Werke bei Regensburg abgeordnet, um dort zusätzliche Flugerprobungen vorzunehmen.

Doch im Oktober 1942 verunglückte Dittmar bei der Landung seiner Maschine und fiel für die nächsten anderthalb Jahre aus. Auf einmal war Hanna Reitsch die einzige verfügbare Testpilotin für das Raketenflugzeug. Ihre ersten Flüge absolvierte sie ohne Antrieb – ob wirklich auf höheren Befehl aus Berlin, um ihr Leben keinesfalls zu gefährden, ist unklar.

Reitsch war schon als Mädchen vom Fliegen fasziniert

Am 30. Oktober 1942 jedenfalls legte sie ebenfalls eine Bruchlandung mit ihrer Segelversion hin. Trotzdem fertigte sie noch, obwohl verletzt, eine Skizze des Niedergehens an, bevor sie ohnmächtig wurde – so jedenfalls schilderte Hanna Reitsch selbst die Situation.

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Wie alle Berichte von ihr ist auch diese Geschichte allerdings mit Vorsicht zu genießen. Ihre beiden Memoirenbände („Fliegen – mein Leben“ und „Höhen und Tiefen“) changieren stets zwischen Dichtung und Wahrheit. Verlassen immerhin kann man sich also nur auf jene ihrer Erlebnisse, die auch unabhängig von ihr belegt sind.

Doch auch davon gibt es genügend, um das Leben von Hanna Reitsch zu einer der spannendsten deutschen Frauenbiografie im 20. Jahrhundert zu machen. Geboren am 29. März 1912 in Schlesien, entdeckte sie schon als Mädchen die Faszination für das Fliegen – zu einer Zeit, als Piloten noch Helden waren und jedes Aufsteigen eine mutige Tat.

Reitsch wurde Testpilotin

Die in gutbürgerliche Verhältnisse geborene Hanna machte Abitur und begann ein Medizinstudium, doch parallel dazu erwarb sie bereits den Segel- und den Motorflugschein. Ihr Talent vor allem für das Segelfliegen wurde rasch deutlich, und schon ein Jahr nach ihrer Prüfung wurde sie ihrerseits Fluglehrerin. Nach vier Semestern brach sie ihr Studium ab, um sich ganz auf ihre Leidenschaft zu konzentrieren.

Man schrieb das Jahr 1933 und in Deutschland wurde alles, was mit Fliegen zu tun hatte, genau überwacht, vor allem aber mit ungeheuren Mitteln vom neuen Reichsluftfahrtministerin gefördert. Wegen ihrer natürlichen Begabung arbeitete die gerade 22-jährige Reitsch schon ab 1934 als Testpilotin für die „Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug“ in Darmstadt. Nur drei Jahre später wechselte sie an die Flugerprobungsstelle der inzwischen offiziell gegründeten Luftwaffe nach Rechlin.

Hier testete sie zahlreiche Prototypen neuer Flugzeugmuster, darunter Jagdmaschinen und Sturzkampfbomber . Während die meisten ihrer männlichen Kollegen namenlos blieben, jedenfalls nicht der Öffentlichkeit bekannt wurden, traf das für Hanna Reitsch und ihre Konkurrentin Melitta von Stauffenberg nicht zu.

Die neun Jahre ältere, mit Alexander Graf von Stauffenberg verheiratete Ingenieurin besaß eine solide technische Ausbildung als Grundlage ihrer Tätigkeit. Reitsch dagegen nutzte ihr Talent, ihr Gefühl für Fluglagen und ihr intuitives Verständnis für die Situation in der Luft, um wichtige Anregungen für die Weiterentwicklung zu geben.

„Gewiss war Melitta eine außergewöhnlich gute Fliegerin“, schreibt ihr Biograf Thomas Medicus : „Hanna Reitsch war jedoch nach dem Urteil zahlreicher ihrer Kolleginnen und Kollegen wie auch zeitgenössischer Luftfahrtexperten eine alle anderen exzellenten Könner übertreffende fliegerische Ausnahmeerscheinung. Als solche war sie auch eine der wichtigsten Propagandafiguren des Dritten Reiches.“

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Obwohl sie niemals Mitglied der NSDAP wurde, lagen ihr zentrale Motive der NS-Ideologie durchaus nahe – allerdings nicht, wie verschiedentlich bezeugt ist, der Rassenwahn, der geradezu essenziell für die Hitler-Bewegung war. Zugleich nutzte Hanna Reitsch die Möglichkeiten, die sich ihr im totalen Staat boten. Sie ließ sich für die Goebbels-Propaganda einspannen und bekam dafür die Möglichkeit, außergewöhnliche fliegerische Erfahrungen zu machen.

Reitsch soll Selbstmord-Waffen vorgeschlagen haben

So war sie der erste Mensch, der einen Hubschrauber vor Publikum in einem geschlossenen Raum flog: Ab dem 19. Februar 1938 hob sie die Focke-Wulf Fw-61 fast zwanzigmal in der Deutschlandhalle in Berlin ab. Zur Enttäuschung von Ernst Udet, als Generalluftzeugmeister Chef der Flugzeugrüstung, reagierte das Publikum eher mäßig: Die mit zwei gegenläufigen Rotoren ausgestattete Maschine war einfach zu laut und die aufgewirbelte Luft zu unangenehm, als dass diese Vorführungen Begeisterung hätten auslösen können.

Im Zweiten Weltkrieg setzte sich Reitsch vehement für die Weiterentwicklung deutscher Flugzeugtypen ein, darunter auch des visionären Düsenjägers Messerschmitt Me-262. Das an sich wäre nicht kritikwürdig, selbst wenn es um Sieg oder Niederlage eines verbrecherischen Regimes ging.

Jedoch propagierte sie nach der Erinnerung von Zeitzeugen auch menschenverachtende Mittel. Der ebenfalls wenig glaubwürdige SS-Offizier Otto Skorzeny berichtete, Reitsch habe den Einsatz von bemannten Versionen des ersten Marschflugkörpers V-1 als Selbstmord-Waffen vorgeschlagen. Laut Reitsch selbst dagegen stammte dieser Vorschlag von Skorzeny, der sich daraufhin an sie gewandt habe.

Fest steht allein, dass es tatsächlich bemannte Versionen der formell Fieseler Fi-103 genannten V-1 gab. Ihr Tarnname lautete „Reichenberg-Gerät“. Ursprünglich waren sie sicher für die Erprobung der Flugeigenschaften durch Testpiloten gedacht, auch durch Hanna Reitsch. Wann genau die Idee aufkam, sie in Kamikaze-Manier einzusetzen, ist unklar. Jedenfalls schlug Hanna Reitsch im Februar 1944 Adolf Hitler diese Idee vor, der allerdings nicht besonders begeistert war. Dennoch wurde eine Erprobungseinheit unter dem wenig tarnenden Decknamen „Selbstopfer“ aufgestellt.

Während in Japan eine ganz ähnliche fliegende Bombe, die Yokosuka MXY-7 „Ohka“, entwickelt und eingesetzt wurde, sind keine Kampfeinsätze der deutschen V-1 in bemannter Version bekannt. Dagegen gab es einen Einsatz einer anderen Selbstmordeinheit der Luftwaffe durchaus: Das „Sonderkommando Elbe“ griff am 7. April 1945 einen US-Bomberverband an und zerstörte 23 Feindmaschinen, bei 40 eigenen Verlusten. Danach wurde das Kommando wegen mangelnden Erfolges aufgelöst.

Zu einem Himmelfahrtskommando anderer Art meldete sich Hanna Reitsch am 25. April 1945. Hitler hatte den Luftwaffen-Generalobersten Robert Ritter von Greim umgehend zu sich in den Führerbunker befohlen. Der „Führer“ brauchte nach der Absetzung von Hermann Göring einen Nachfolger als Oberkommandierenden der Luftwaffe.

Hitlers letzte Besucherin

Also sollte Greim ins bereits vollständig eingeschlossene Berlin kommen. Dafür brauchte der General, obwohl selbst ein hervorragender Flieger, eine Expertin: Hanna Reitsch sollte ihn mit einem Hubschrauber Fw-61 in den Garten der Reichskanzlei fliegen.

Die Pilotin nahm die Herausforderung sofort an. Zuerst flogen die beiden mit einer Junker Ju-88 nach Rechlin am Müritzsee, dann mit einer zweisitzigen Focke-Wulf Fw-190, einem schnellen Jäger, zum Flugplatz Gatow in Berlin-Spandau. Doch hier stand kein Hubschrauber mehr zur Verfügung, also nahmen sich Greim und Reitsch ein Leichtflugzeug „ Fieseler Storch“. Der Generaloberst flog selbst, sie war die Co-Pilotin.

Doch über dem Grunewald geriet der „Storch“ in schweres Feuer vom Boden, und Greim wurde an der Schulter verletzt. Hanna Reitsch übernahm das Steuer und setzte die beschädigte Maschine auf der Charlottenburger Chaussee, der heutigen Straße des 17. Juni, hart auf. Bei der Landung brachen die Tragflächen ab. Reitsch und Greim aber wurden in den Führerbunker gebracht.

Reitsch wurde als "nichtbetroffen“ entnazifiziert

Sie waren die letzten Besucher, die von außerhalb in Hitlers letzte Höhle kamen. Der schwer verwundete Greim wurde zum Generalfeldmarschall befördert, doch seine Luftwaffe hatte längst keinerlei Schlagkraft mehr. Hanna Reitsch pflegte ihn und betrachtete ansonsten irritiert die seltsame Atmosphäre im Führerbunker. Wenig später flog sie den neuen Oberbefehlshaber aus Berlin aus, diesmal mit einer Arado Ar-96 und ohne Zwischenfälle.

Nach 1945 war Hanna Reitsch wegen ihrer Nähe zu Hitler und ihrer Rolle in der NS-Propaganda zunächst längere Zeit interniert. Doch sie konnte glaubhaft machen, dass es ihr tatsächlich nur ums Fliegen gegangen war, dass sie politisch tatsächlich völlig naiv gewesen war. 1947 wurde sie als „nichtbetroffen“ entnazifiziert und begann eine zweite Karriere als Testpilotin. Vom Dritten Reich distanziert hat sie sich jedoch niemals. 1979 starb die erst 67-jährige Fliegerin an Herzversagen.

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