„Es war einmal in Deutschland“: Unerzählte deutsche Geschichte – Trailer & Kritik - WELT
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Film Deutschland 1945

Ohne Lüge war das Leben für Juden unerträglich

Redakteur Feuilleton
Nachkriegsstreifen „Es war einmal in Deutschland...“

Moritz Bleibtreu ist der Hauptheld dieser Nachkriegs-Tragikomödie. Er spielt einen Juden, der im Nachkriegsdeutschland das von den Nazis zerstörte Wäschegeschäft seiner Familie wieder groß machen will.

Quelle: X-Verleih

Autoplay
Schwindelgeschichten, jüdische Schicksale und ein dreibeiniger Hund: Der Film „Es war einmal in Deutschland“ beleuchtet einen weißen Fleck unserer Geschichte. Am Ende bleiben Zweifel.

Die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist bekanntermaßen ein Segen für die deutsche Film- und Fernsehwirtschaft. Mit was soll man sonst einen Oscar gewinnen, wenn nicht mit Filmen voller Nazis, notfalls voll mit Stasi. Der Krieg ist natürlich immer gut, notfalls sogar der Erste. Da fällt moralische Orientierung leicht, man weiß, auf wessen Seite man stehen sollte.

Wenn man sich die deutsche Geschichte als Landkarte denkt, gibt es allerdings tatsächlich ein paar gar nicht mal kleine weiße Flächen, die zu beackern bis heute die Förderinstrumente fehlten. Die unmittelbare deutsche Nachkriegszeit, die zwischen Hitlers Tod und dem Wunder von Bern zum Beispiel interessierten doch – so hieß es bisher – bloß Böll- und Borchert-Aficionados, Fußballfans und bereits kurzzeitgedächtnisgestörte Zeitzeugen.

Roman zerissen, Film gedreht

Daran, Geld für einen Film zusammenzukriegen, in dem vom Schicksal jener 4000 Juden erzählt wird, die den Holocaust überlebt hatten und in Deutschland stecken geblieben waren, meistens auf dem Weg ins gelobte Land Amerika, daran also einen Film über seine Familie zu machen, ist der Drehbuchautor und Regisseur Michel Bergmann derart oft gescheitert, dass er sich eines Tages wütend hinsetzte und die autobiografische Geschichte von David Bermann aufschrieb. Als Romantrilogie.

„Teilacher“ hieß der erste Band, „Machloikes“ der zweite, „Herr Klee und Herr Feld“ der dritte. Zusammen mit dem belgischen Kollegen Sam Garbarski, der für skurrile Dramödien wie der herrlichen Moritat von der Witwe „Irina Palm“ bekannt ist, hat er die ersten beiden Bände zerrissen und neu zusammengesetzt. „Es war einmal in Deutschland“ heißt der Film jetzt.

ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND... Kinostart 06.04.2017 Regie Sam Garbarski Drehbuch Michel Bergmann & Sam Garbarski Webseite www.eswareinmalindeutschland.x-verleih.de/
Die drei von der Baustelle Deutschland: Holzmann, Fränkel und Bermann
Quelle: x-verleih

Und es ist natürlich alles wahr. Das schreiben Garbarski und Bergmann gleich auf die Leinwand, und „was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem“. Ein dreibeiniger Hund hinkt uns ein bisschen überdeutlich voran in die Geschichte des jüdischen Frankfurter Trikotagen- und Wäschekaufmanns David Bermann und in ein Auffang- und Übergangslager im Hessischen. Bleiben wollen jene, die da gestrandet sind, nicht. Nicht im Lager der Sieger, nicht im Land der Mörder.

Geld haben sie aber keins für die Überfahrt nach Amerika. Was es braucht, ist eine Geschäftsidee. David hat eine, bekommt aber keine Lizenz dafür, weil irgendwas nicht stimmt mit seiner Geschichte. Die Idee ist, im Land der braun gefärbten Schicksale weiße Wäsche zu verkaufen. So aus Leinen und Damast und aus Frankreich und so.

So ziehen sie von Haus zu Haus, Teilacher halt, was im Jiddischen Hausierer heißt und nicht zu verwechseln ist mit Enzyklopädieverkäufern aus den Sechzigern. Soweit muss der Teilacher seine Kundschaft bringen, sagt David, dass sie ihn auf Knien anfleht, ein Stück Wäsche kaufen zu dürfen. Fränkel heißen sie und Fajnbrot und Verständig und Szoros. Traumatisierte, die von Tür zu Tür ziehen und hinter jeder steht ein anderes Fettnäpfchen, lauert eine andere Falltür. Hinter jeder lernt man neue Facetten deutscher Alltagsgeschichte, deutscher Verdrängung kennen.

ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND... Kinostart 06.04.2017 Regie Sam Garbarski Drehbuch Michel Bergmann & Sam Garbarski Webseite www.eswareinmalindeutschland.x-verleih.de/
Versuch's mal mit Schuldgefühlen: David Bermann (Moritz Bleibtreu, r.) und Fajnbrot (Tim Seyfi) beim Hausieren
Quelle: x-verleih

Sieben Mann, sieben Schicksale, für die nicht viel Zeit bleibt, über die man gern mehr erfahren hätte, die letztlich zu einem guten Zweck verschleudert werden. Das ist das eine der Probleme des Films. Das andere ist David Bermann. Nicht weil Moritz Bleibtreu ihn spielt, diesen Possenreißer, diesen Lügenbaron und potenziellen Münchhausenpreisträger, sondern weil David Bermann schuld ist an der Unausgespieltheit der Teilacher-Geschichten. Weil seine Geschichte immer wieder und immer tiefer hereingebohrt wird in die Dramaturgie von „Es war einmal in Deutschland“. Solange bis der Film ans Ende humpelt wie ein dreibeiniger Hund.

„Ohne Lüge“, sagt Bermann, „wäre das Leben nicht zu ertragen.“ Er muss es wissen, er verdankt der Lüge sein Leben. Und dem Witz. Das Konzentrationslager, erzählt er, hat er nur überlebt, weil die Nazis an sein Talent zur Komik glaubten, ihn am Ende zu Hitlers persönlichem Humortrainer machten. Beinhart gelogen, glaubt die amerikanische Offizierin Sara Simon (Antje Traue), vor der David regelmäßig antreten und anfabulieren muss gegen den Verdacht der Kollaboration mit den Nazis.

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Da hat alles seine Momente. Das ist verdienstvoll. Das ist lustig und traurig und alles, was es sein soll. Nur scharf ist es nicht, nicht böse, bleibt alles in der allmählich unfassbar müde machenden Filmförderungsmediokrität hängen. Die so glatt und heimat- und geruchlos ist, wie das in Luxemburg nachgebaute Nachkriegsfrankfurt aussieht, das wiederum aussieht wie Prag oder Babelsberg und allein deswegen fernbleibt.

Und was würden sie heute machen?

Am Ende lügt sich David in eine neue Liebe, ein Zeitungskiosk fliegt in die Luft. Und alle besaufen sich, weil sie endlich gemerkt haben, dass Hitler tot ist und sie leben. Und dass es jetzt weitergeht. In Deutschland für viele. In Amerika für die meisten.

Und während sie da in der Kneipe hocken, die Freiheitsstatue hochhalten, sich lauthals freuen aufs „Land of the free“, überlegt man sich, ob sie das heute noch machen würden. Und dass man seinen Freund Hannes Stein anrufen müsste, ob das mit dem Auswandern für deutsche Juden nach Amerika momentan noch so eine gute Idee wäre. Soweit ist es schon.

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