Kate Bush: Alle Alben im Ranking

Dank Netflix und „Stranger Things“ ist Kate Bush wieder in aller Munde. Dabei bietet ihre Diskografie weit mehr als nur „Running Up That Hill“. Ein Blick auf ihre Alben

Essenziell

The Kick Inside (1978)

Sie war erst neunzehn beim Debüt, doch ihr Barock-­Pop erschien wie ein weiser Litera­tur­ und Historienführer durch England. Heimatgefühle ohne Großmachtfantasie, ohne Geltungsbedürfnis, das unter­ scheidet Bush von Morrissey. Sie klang gleichermaßen nach Landadel wie nach Landstrei­cher, war Musical­, Operetten­ und Rocksängerin. „Wuthering Heights“ huldigt Emily Brontës Roman, den Namen Heathcliff singt sie, als wäre der ein Gott. „The Man With The Child In His Eyes“, komponiert mit drei­ zehn, trug nur einen vermeint­lich altklugen Titel.

Bush mu­tete wie eine Frau an, die das Gefühl von Trennung hundert­ fach erlebt hatte. „The Saxo­phone Song“ meistert jene Balance aus Fremdinspiration und Selbstermächtigung, die sie zum Weltstar machte: „You’ll never see that you had all of me/ You’ll never see the poetry you’ve stirred in me.“ Mit welchem Attribut sollte man sie beschreiben? Keines blieb an ihr haften, nicht mal das schlimme „Pop­Elfe“. Eine Tragik, der die zweite große Sängerin des Avantgarde­Pop nicht ausweichen konnte: Björk, nur sieben Jahre jünger und doch wie aus einem ande­ren Zeitalter, für viele immer noch die „Eis­Fee“ oder die „Schneekönigin aus Island“.

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Lionheart (1978)

Bowie demonstrierte es nur ein Jahr zuvor mit „Low“ und „Heroes“: Es gibt sie, die Möglichkeit zweier Albenklassiker im selben Jahr (soll den Beatles auch schon passiert sein). „The Kick Inside“ kam im Spätwinter, „Lionheart“ schon im darauffolgenden Herbst. Al­lein 1978 gab es somit 23 gro­ße Bush­-Songs. Die Single hieß diesmal schlicht „Wow“, ein ironischer Bruch mit den Erwartungen, die das literari­sche „Wuthering Heights“ geweckt hatte. Johnny Rotten, Ex­-Nationalheld der Subkultur, verehrte sie: „Kate musste durch dieselbe Scheiße wie die Sex Pistols: ‚Oh, das ist kein Gesang!‘, sagten sie. Ihre Stimme war fast hysterisch.“ Wie in „Symphony In Blue“, das Spiritualität, Motivations­psychologie und Biologie ver­eint – und jene verstummen ließ, die Bush nicht für er­ wachsen hielten: „The more I think about sex, the better it gets/ Here we have a purpose in life/ Good for the blood circulation/ Good for relea­ sing the tension/ The root of our reincarnations.“ „Oh England My Lionheart“ bietet herrliche Postkartenbe­schreibungen: „Peter Pan steals the kids in Kensington Park/ You read me Shake­ speare on the rolling Thames.“ In „Kashka From Baghdad“ führt sie erstmals Arabesken in ihre Musik ein.

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Hounds Of Love (1985)

Bald wird es heißen, „Running Up That Hill (A Deal With God)“ war der größte Hit des Jah­res … 2022. Damals, 1985, landete dieses Lied, eine An­klage gegen einen teilnahms­losen Gott, der nichts gegen unser (Liebes­)-Leiden unter­ nimmt, im UK nur auf Platz 3. 2022 dann auf Platz 1 (ihre zweite Top­-Platzierung nach „Wuthering Heights“ 1978). Dazu auf Rang 4 in den USA, so hoch wie dort keine ihrer Singles. Nie also war Bush erfolgreicher – ohne etwas dafür zu tun. Die Renaissance gründet in einer Einspielung im Netflix­-Hit „Stranger Things“.

Der „Okay, Boomer!“­-artige Vorwurf der älteren Ge­neration („Ihr wart damals doch gar nicht dabei!“) ist unfair, aber es lohnt sich natür­lich, das ganze Album zu hö­ren. Es formte ihr bis heute gültiges Image: das der Märchenerzählerin einer selbst erdachten Geschichte. Durch vernebelte Wiesen geht es zu jenem britischsten Naturelement, wo in tiefen Schich­ten Hexen lauern. LP­-Seite 2 ist eine 26­-minütige Suite mit Schamanengesängen („The Ninth Wave“). Das Werk wirkte 1985, dem Jahr von Live Aid, „Brothers In Arms“ und „No Jacket Required“, wie eine Zeitkapsel aus der Ära Lovecrafts und Kiplings.

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Lohnend

Never For Ever (1980)

„Ta, ta­ta!“, ruft der Mann, Bush antwortet mahnend, mit Blick auf die Tonlage: „In B, Fenby!“ Mit ihrem dritten Album kehren Komödie, Theater und Klein­kunst in ihr Schaffen ein – aber auch der Versuch einer Verar­beitung politischer Dramen. Ihr drittes Album ist das erste, das nach ihrer Debüt­Tournee („The Tour Of Life“) entstand, Bush sah also die Welt, ihr Publikum, und behandelte konkretere Themen. Am Heiligabend des Vorjahres marschierten die Sowjets in Afghanistan ein, der Walzer „Army Dreamers“ han­delt von Müttern, die ihre Söh­ne verlieren, „Breathing“ ima­giniert einen Fötus, der nicht zur Welt kommen will, weil ein Atomkrieg sie unbewohnbar gemacht hat.

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The Dreaming (1982)

Trotzig koppelte Bush fünf Singles aus, und dennoch war dies ihr erstes Album, das weniger verkaufte als sein Vorgänger. Wer es nicht mochte, nannte es „experi­mentell“, weil Bush Electro­nica entdeckte. Sie arbeitete mit Samples und Loops und engagierte mit Nick Launay und Hugh Padgham zwei der damals wichtigsten Toninge­nieure. Das Songmaterial war dennoch etwas schwächer, und 1982 versuchte Bush, sich zum ersten (und letz­ ten) Mal an Trends zu orien­tieren, New Romantics, New Wave und Post­Punk, wie in „Sat In Your Lap“. Das sollte ihr nicht noch mal passieren – sie pau­sierte drei Jahre und er­ fand mit „Hounds Of Love“ einfach ein eigenes Genre.

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The Sensual World (1989)

Das sehnlichst erwartete erste Projekt nach „Hounds Of Love“ startete mit einer Niederlage: Die Nachlassverwalter von James Joyce versagten ihr die Nutzung eines „Ulysses“­ Textauszugs für den Titeltrack. Ihr sechstes Studioalbum ist dennoch besser als sein Ruf. Bush lässt Uilleann Pipes, Fiddle und Tin Whistle, also klassische irische Instrumen­tierung, orientalische Melodi­en intonieren, dazu engagierte sie die Vokalistinnen des Trio Bulgarka. Ihr Beitrag zur Welt­musik am Ende des Kalten Krieges 1989.

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50 Words for Snow (2011)

Zwar ist das Thema des Kla­vieralbums unglücklich visuali­siert: Auf dem Cover küsst eine Frau einen lebenden Schnee­mann, und Bush musste sich der leider naheliegenden Ein­ordnung „Eiskönigin“ stellen (und nein, die Inuit kennen keine 50 Wörter für Schnee). Aber die Meditationen – inzwi­schen war Bush nicht bei Songs, sondern bei Meditatio­nen angelangt – führten zu dem in ihren Kanon einge­gangenen elfminütigen Geisterblues „Lake Tahoe“.

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Ergänzend

The Red Shoes (1993)

Nicht ganz geschmackssichere Paarung von Volksmusik und Beats. Es war eine schwierige Zeit für Bush, die wichtige Menschen verlor (ihr Partner Del Palmer ging, ihre Mutter und der befreundete Regisseur Michael Powell verstarben), aber im Studio erhielt sie neue Unterstützung, von Eric Clap­ ton, Prince und Jeff Beck.

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Aerial (2005)

Eine geschickte Rückkehr. Für ihre Lebensbeschreibung muss­te Bush das Haus nicht mehr verlassen: Es geht um Eltern­glück und die Vererbung von Wissen. Sie sang nicht nur über, sondern wie Vögel auf dem Fensterbrett, imitierte den Schleudersound der Waschma­schine. Das Doppelalbum (das auf eine CD gepasst hätte) als öffentliches Tagebuch.

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Seltsamer

Director’s Cut (2011)

Noch nie ist es einem Pop­ Künstler gelungen, eine Erst­ version durch eine Neueinspie­lung zu verbessern. Auch hier nicht. Der Titel ist sowieso Un­sinn, denn Bush hat stets ihren „Director’s Cut“ im Studio durchgesetzt. Neuaufnahmen aus „The Sensual World“ und „The Red Shoes“, die die Unzu­friedenheit der Musikerin doku­mentieren, denen jedoch die Spontanität und der Imperfek­tionismus der Originale fehlen. Bushs Idee, zunehmend zu flüstern, statt zu singen, be­kommt vielen Songs nicht.

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Video

Live At Hammersmith Odeon

Im London von 1979 liefen auf den Straßen noch immer Punks herum. Drinnen, im Hammer­ smith Odeon, sang Kate Bush „Oh England My Lionheart“, sie sang von den Spitfire­-Kampf­fliegern, die die Deutschen einst vom Himmel schossen. Ihre erste Tournee vereinte Rockmusik mit Zaubertricks, Pantomime und die „Weisheiten der Clowns“ mit Poesie ihres Bruders John Carder Bush. 24 Konzerte, sechs davon immerhin in Deutschland – es sollten ihre einzigen hierzulande bleiben. Wer konnte das damals schon ahnen!

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Preziosen

Raritäten und Obskuritäten

„Why Should I Love You?“

Kein Gipfeltreffen mit Prince, eher ein Hin­-und-­her-­Versand von Files. Prince sang im Back­ground und gniedelte ein Solo nach dem anderen. Bush war mit dem Ergebnis unzufrieden.

„My Computer“

Wegweisendes Duett von 1996 mit Prince über – Online-­Dating! Als (Vinyl­)-Single 2019 erstveröffentlicht, als Beilage einer Prince­-Titelstory des „Musikexpress“.

„Brazil“

Kein lateinamerikanisches Stück wurde von Popmusikern wohl öfter gecovert als Ary Barrosos Klassiker von 1939, von Bush für den Film „Brazil“ 1985 sowie für Michael Kamens Orchester 1998.

„Mná na hÉireann “

Peadar Ó Doirníns Gedicht aus dem 18. Jahrhundert, von Bush 1995 in Ulster Scots eingesungen.

„Ne t’enfuis pas“

Ihre einzige auf Französisch aufgenommene Single, von 1983.

„Wuthering Heights (New Vocal)“

Eröffnet ihre erste Best-­of, „The Whole Story“ von 1986, ihr bis heute erfolgreichstes Album. Sie singt marginal tiefer. Nicht besser als das Original.

„Don’t Give Up“

1985 war ihr Jahr, 1986 das von Peter Gabriel, mit dem sie dieses Duett für dessen Album „So“ einsang. Das Video bot die berühmteste Dauerumarmung in der Geschichte von MTV.

„The Man I Love“

Cover des George-­und-­Ira- Gershwin-­Stücks von 1924, erschienen 1994 auf dem Album „The Glory Of Gershwin“, mit Larry Adler an der Mundharmonika.

„The Early Years“

Zehn unveröffentlichte Songs von 1973, die 15­-Jährige am Piano, traumhafte Titel wie „At­lantis“ und „Sunsi“. Bush ver­hinderte die Veröffentlichung des Albums, dessen Rechte eine westdeutsche Firma zu besitzen glaubte. Alle Songs sind heute auf YouTube.

„Under The Ivy“

Für alle neuen Experten, die durch „Stranger Things“ auf Bush stießen: Dies ist die B­-Seite von „Running Up That Hill“. 1986 zum ersten und letzten Mal im britischen Fern­sehen aufgeführt, Bush sang und spielte allein am Klavier.

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