Alle Wege führen nach Rom. Vor allem, wenn man Italien beherrschen will. Das ist seit Hannibals Zeiten vor mehr als zwei Jahrtausenden so und war auch im Zweiten Weltkrieg nicht anders.
Deshalb strebten im Sommer 1943 alle Kriegsparteien danach, die Ewige Stadt zu besetzen. Die Anti-Hitler-Koalition, das Dritte Reich und natürlich der amtierende italienische Regierungschef, der Marschall Pietro Badoglio.
Nach dem Sturz des faschistischen Diktators Benito Mussolini am 25. Juli 1943 war Hitler und dem Oberkommando der Wehrmacht bekannt, dass Italiens Austritt aus dem Krieg bevorstehen könnte. Also bekamen die deutschen Oberfehlshaber – Erwin Rommel in Norditalien und Albert Kesselring im Süden – den Auftrag, die Besetzung des vormaligen Verbündeten für den Fall der Fälle vorzubereiten.
Auf der anderen Seite wusste Winston Churchill, welche Bedeutung eine rasche und gewaltfreie Einnahme Roms bedeuten würde: Es wäre ein großer Erfolg der Westmächte im Kampf gegen Hitler wie im Ringen mit dem ungeliebten Verbündeten Josef Stalin um eine „zweite Front“ in Europa.
Außerdem könnte so das Leben vieler amerikanischer und britischer Soldaten geschont werden, die sich sonst den italienischen Stiefel nach Norden vorkämpfen mussten. „Warum wollen wir denn wie eine Grasmilbe vom Knöchel an das ganze Bein hoch klettern?“, formulierte Churchill: „Gleich gegen das Knie zu treten wäre doch viel besser!“
Weniger strategische, eher ganz praktische Gründe hatten schließlich Badoglio und Italien König Vittorio Emmanuele III. Sie wussten, dass ihre Familien und sie selbst persönlich gefährdet wären, wenn deutsche Truppen in Rom stünden und Italien kapitulieren müsste.
Also begann der knapp 72-jährige Marschall nur sechs Tage nach Mussolinis Sturz, insgeheim Verhandlungen mit den westlichen Alliierten anzubieten. Im neutralen Lissabon kam es Anfang August 1943 zu ersten Kontakten zwischen seinem Unterhändlern und britischen Diplomaten.
In den nächsten Wochen folgten Verhandlungen, geheime Telegramme, getarnte Reisen von Agenten und Treffen an versteckten Orten. „In einem Roman würde man diese Ereignisse für unglaubhafte Effekthascherei halten“, erinnerte sich der alliierte Oberbefehlshaber in Europa, Dwight D. Eisenhower. Doch sie waren ernst gemeint.
Badoglio ließ vorschlagen, die Alliierten sollten eine Streitmacht von rund 15 Panzer- und Infanteriedivisionen an den Stränden von Ostia, Fiumincino und Fregene landen. Zusätzlich könnte doch eine Luftlandedivision Rom besetzen?
Doch der italienische Marschall machte sich falsche Vorstellung vom verfügbaren Material und den Truppen der Westalliierten. Eisenhower hatte Landungsschiffe für höchstens sechs Divisionen gleichzeitig, und über wesentlich mehr Einheiten verfügte er im Hochsommer 1943 im Mittelmeer auch gar nicht.
Hinzu kam Misstrauen bei der britischen Regierung: „Badoglio gibt offen zu, dass er irgend jemanden zu hintergehen beabsichtigt“, stellte Churchill fest – auf keinen Fall wollte er derjenige sein, der über den Tisch gezogen wurde.
Bewusst ließ London Informationssplitter durchsickern. Joseph Goebbels griff sie begierig auf und diktierte am 1. September 1943 seinem Sekretär: „Die englische Presse streut erneut Gerüchte aus, dass die Italiener die Absicht hätten, zu kapitulieren. Daran ist im Augenblick kein wahres Wort, wenngleich man der Regierung Badoglio nicht über den Weg trauen darf.“
Der Ablenkungsangriff bei Messina
Doch zu dieser Zeit diktierten die Westalliierten den italienischen Abgesandten bereits die Bedingungen für einen Waffenstillstand. Zwei Tag nach Goebbels’ Bemerkung wurde der nur zwölf Artikel lange Text in Cassibile im italienisch besetzten Sizilien unterzeichnet – und zunächst geheim gehalten.
Am selben 3. September 1943 querten zwei britische Divisionen von Sizilien aus die Straße von Messina und gingen in Kalabrien an Land – dem südlichsten Teil des italienischen „Stiefels“. Das war erkennbar ein Ablenkungsangriff, denn warum sollte ein Eroberer den denkbar längsten Weg wählen?
Aber Ablenkung wovon? Das fragten sich nicht nur die Deutschen, sondern auch Badoglio und seine Vertrauten. Teil des Waffenstillstandsabkommens war, dass der Austritt Italiens aus dem Bündnis mit Hitler-Deutschland am 8. September um 18.30 Uhr verkündet werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt oder kurz danach würde also irgendetwas passieren.
Immer noch hielt Eisenhower die schlagartige Besetzung Roms offenbar für möglich. Jedenfalls schickte er den gewandten Brigadegeneral Maxwell Taylor in einem Schnellboot an die italienische Küste. Am 8. September 1943 erreicht Taylor, der seine US-Uniform trug, endlich in Rom. „Das war die gefährlichste Mission“, schrieb Eisenhower später, „auf die ich jemals einen Soldaten geschickt habe.“ Taylor sollte prüfen, ob die 82. US-Luftlandedivision eingeflogen und rasch Rom besetzen könnte.
Was er sah, war aber eindeutig: Die italienischen Truppen auf den in Frage kommenden Flugplätzen rund um Rom waren schwach. Hingegen standen in der Umgebung der Hauptstadt vier deutsche Divisionen einsatzbereit. Taylor riet von dem riskanten Manöver ab.
Sein Oberbefehlshaber hielt sich an diese Empfehlung und startete die „Operation Avalanche“ ohne die Besetzung Roms: In Salerno südlich von Neapel gingen am 9. September 1943 je zwei amerikanische und britische Division fast ohne Widerstand an Land.
Am Abend zuvor hatte Eisenhower die Kapitulation Italiens per Radio bekannt gegeben. Goebbels zufolge reagierte Hitler darauf „sehr empört“ und setzte den vorbereiteten Plan zur Entwaffnung der italienischen Armee in Kraft. Dazu gehörte auch die umgehende Besetzung Roms durch die Wehrmacht, die in der Nacht vom 9. auf den 10. September 1943 begann. Badoglio, Vittorio Emmanuele III. und einige weitere Prominente entkamen rechtzeitig nach Brindisi, das britische Fallschirmjäger ebenfalls am 9. September 1943 besetzt hatten.
Doch für die allermeisten Römer begann nun die 268 Tage lange Zeit der deutschen Herrschaft. Dazu gehörten bald die Deportation von Juden und der rücksichtslose Kampf gegen jeden Widerstand. Die Ewige Stadt wollte das Dritte Reich unbedingt halten. Denn wer Rom hält, dem gehört Italien.
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Dieser Artikel wurde erstmals 2013 veröffentlicht.