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Schwesterlein – Kritik

Der Film betrauert Lars Eidingers todkranke Figur und schmeichelt dabei vor allem ihrem realen Vorbild. Doch sobald Schwesterlein sich auf die Titelfigur konzentriert, entwickelt er eine stille, drängende Intensität.

Ungesehen wartet Sven (Lars Eidinger) hinter der Bühne. Der krebskranke Schauspieler wurde soeben von seiner Schwester Lisa (Nina Hoss) nach der Chemotherapie aus dem Krankenhaus abgeholt und an sein Theater gebracht: die Berliner Schaubühne. Sven lauscht der gerade stattfindenden Probe, eine Szene aus Hamlet, und spricht dabei im Flüsterton sämtliche Textzeilen mit. Dann stockt sein Atem. Still fängt er zu weinen an, im plötzlichen Bewusstsein all dessen, was er zu verlieren droht.

Die Seherfahrung von Stéphanie Chuats und Véronique Reymonds Schwesterlein wäre wahrscheinlich eine ganz andere, wüsste man nicht, dass es die Schaubühne wirklich gibt, dass Lars Eidinger dort prominentes Ensemblemitglied ist und dass er seit Jahren die Hauptrolle in einer immer noch regelmäßig ausverkauften Hamlet-Inszenierung spielt. Aber man weiß es nun einmal, und der Film verwendet auch wahnsinnig viel Energie darauf, dieses Wissen wachzurufen und in den Vordergrund des Bewusstseins zu zerren. Wenn eine Szene am Theater spielt, zeigt der Film natürlich die markante Schaubühnen-Fassade. Die Szenenfotos verschiedener Stücke, in denen Sven mitgewirkt hat – es sind natürlich Bilder aus realen Schaubühnen-Inszenierungen. Der Theaterregisseur, der mit Sven die Wiederaufnahme eines alten Stücks plant – er wird natürlich gespielt vom tatsächlichen Schaubühnen-Intendanten Thomas Ostermeier, und das Stück ist natürlich der Erfolgs-Hamlet.

Seht, welch ein Mensch

Derartige Verweise auf eine bekannte Realität könnten eine vielleicht nervige, der Wirkung des gesamten Films aber nicht abträgliche Spielerei sein. Doch in Schwesterlein werden sie zum Problem, da sich die Figur des Sven, dessen Krankheit und Leiden den Angelpunkt der Erzählung ausmacht, fast vollständig in dieser Rückbindung an den Schauspieler Lars Eidinger, an seine tatsächlichen Erfolge und seine reale Wirkungsstätte erschöpft. Das Konkrete dieser Figur ist fast zur Gänze ihrer Vorlage entnommen – der Film selbst fügt diesem Gerüst lediglich einzelne Gesten und Momente hinzu, die auf diffuse Weise auf eine tiefe Innerlichkeit verweisen.

Sven entscheidet sich nach der Chemotherapie nicht für die nüchterne, brünette Perücke, sondern für die grell-neonblaue, er ordnet die streng gerasterten Post-it-Notizen seiner Schwester zu einer wilden Spirale um, er spielt ausgelassen mit seiner Nichte und seinem Neffen. Szenen wie diese hätten vielleicht eine große Wehmut über den Verlust eines Lebens spürbar machen können – stattdessen aber weist einen Schwesterlein immer wieder darauf hin, dass das Leben, das der Figur Sven durch dessen Krebserkrankung genommen wird, jenes von Lars Eidinger ist. Der Film betrauert seine Figur und schmeichelt dabei doch nur ihrem realen Vorbild.

Vielleicht ist dieser uneingestandene Zwiespalt auch der Grund, warum die Krankheit selbst und die schmerzhafte Unordnung eines Körpers, der immer weniger und weniger funktioniert, nie wirklich in Erscheinung treten. Ein Blick aus dem Krankenhauszimmer, von Ekzemen bedeckte Haut, immer wieder stummes Weinen: der Krebs ist in Schwesterlein vor allem eine Abfolge von Leidensbildern, die alle auszurufen scheinen: „Seht, welch ein Mensch.“

Befreit aus der Starre der Empfindsamkeit

Dabei ist es sehr schade, dass dieser ehrfurchtsvollen Andacht so viel Raum gegeben wird. Denn immer dann, wenn Schwesterlein sich ganz auf Lisa, die Schwester des Kranken, und auf ihr Bemühen um Kontrolle über eine eigentlich unkontrollierbare Situation konzentriert, entwickelt der Film eine stille, drängende Intensität. Da sitzt dann Lisa etwa in einer Szene an Svens Krankenbett und versucht, ihn von seinen Schmerzen abzulenken, indem sie ihm in besänftigendem Tonfall von dem neuen Stück erzählt, das sie für ihn schreiben will. Als der Pfleger hereinkommt und fragt, ob alles in Ordnung sei, schleudert sie ihm mit heftig aufbrausendem Zorn ein „Natürlich nicht!“ entgegen, nur um danach in Sekundenschnelle wieder in den beruhigenden Erzählduktus zurückzufallen.

Die offen gezeigte Emotion ist hier nicht primär Ausdruck, sie hat nicht den Zweck, auf ein ach-so-bewegtes Innenleben hinzuweisen, sie ist vielmehr ein präzise eingesetztes Mittel, um mit den Herausforderungen der Umwelt umzugehen – nämlich schlicht der effizienteste Weg, sicherzustellen, dass der Pfleger sich mit Nachdruck und Sorgfalt um ihren Bruder kümmert. Lisas Schicksal wird in diesen Momenten unmittelbar ergreifend, eben weil Hoss den Kern ihrer Figur nicht darin sucht, was diese gerade empfinden mag, sondern in der Art, wie sie sich der immerselben Frage stellt: Was ist gerade zu tun?

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