Rezension aus Deutschland vom 30. Januar 2019
ACHTUNG: Ich besitze eine andere DVD-Ausgabe; das Folgende ist lediglich eine Rezension des Films.
Im Western ist der Betreiber des Spielsalons gemeinhin der Schurke des Stücks, der durch schmutzige Geschäfte und skrupellose Machenschaften die ganze Stadt unter seine Kontrolle bringen will, bis ihm vom Helden das Handwerk gelegt (und oft auch die Freundin ausgespannt) wird. Einige Schauspieler waren auf die Rolle des schurkischen Saloonbetreibers geradezu abonniert, wie Brian Donlevy oder Bruce Cabot. Letzterer war z.B. der Schurke in "Dodge City" ("Der Herr des Wilden Westens", 1939), Errol Flynns Westerndebüt, in dem Flynn, der Prototyp des strahlenden Helden, natürlich den rechtschaffenen Sheriff gibt, der dem schmierigen Geschäftemacher das Handwerk legt und in der Stadt aufräumt, genau wie einige Jahre später in "San Antonio" ("Ein Mann der Tat", 1945).
Doch diesmal ist alles anders. In "Silver River" ("Der Herr der Silberminen", 1948) spielt Flynn selbst den Geschäftsmann, der sich im Westen ein Imperium aus Spielhöllen, Banken und Silberminen aufbaut, sich rücksichtslos nimmt, was er will, und dabei auch über Leichen (oder zumindest über eine Leiche) geht. Kann Errol Flynn, der geborene Held, der Schurke eines Westerns sein?
Nun - in gewisser Weise ist er in "Silver River" beides, Held und Schurke. Jedenfalls ist der von ihm dargestellte Mike McComb eine wesentlich komplexere Figur als sowohl die die Helden als auch die Schurken eines typischen Errol-Flynn-Westerns. Von der schlichten Schwarz-Weiß-Zeichnung der Charaktere wie in "Dodge City" oder "San Antonio" ist dieser Film jedenfalls weit entfernt (obwohl er im Gegensatz zu diesen beiden in Schwarzweiß gedreht ist). Also, wer ist Mike McComb?
Zunächst ist er ein Offizier der Nordstaaten, der zu Unrecht unehrenhaft aus der Armee entlassen wird. Nachdem sein Einsatz für das Land ihm so schändlich gedankt wurde, beschließt er, von nun an nur noch sein eigenes Interesse zu verfolgen. Er zettelt die Plünderung einer mobilen Spielhölle an, reißt sich den größten Teil des Geldes in der Kasse unter den Nagel und bricht nach Westen auf, um dort selbst ins Glücksspielgeschäft einzusteigen, begleitet von seinen treuen Sidekick "Pistol" Porter (unauffällig: Tom D'Andrea). Auf dem Weg in die Minenstadt Silver City lernt er sowohl den ungeschlachten Banjo Sweeney, einen potentiellen Konkurrenten (schön fies: Barton MacLane), als auch Georgia Moore (intensiv: Ann Sheridan), die attraktive Frau eines Minenbesitzers, kennen.
In Silver City angekommen, läuft für McComb zunächst alles nach Plan. Sein Saloon läuft glänzend, und bald konzentriert sich das gesamte Bargeld der Gegend in seinen Kassen. Durch die Eröffnung einer Bank gewinnt er nach und nach Einfluss auf das Silbergeschäft und erwirbt, durch ziemlich erpresserische Methoden, immer mehr Anteile an den Minen. McComb wird zur bestimmenden Persönlichkeit des Bezirks, der sich die alteingesessenen Geschäftsleute unterordnen müssen, wenn auch zähneknirschend. Höhepunkt seines Erfolgs ist der Besuch des Präsidenten Grant im Silberbezirk, der zum geschäftlichen und gesellschaftlichen Triumph für McComb wird.
Neben seinen geschäftlichen Plänen verfolgt McComb die Absicht, Georgia für sich zu gewinnen. Seine Chance kommt, als sich durch Zufall die Möglichkeit ergibt, deren Mann Stanley (solide: Bruce Bennett) in den Tod zu schicken, ohne sich selbst die Hände schmutzig machen zu müssen. McCombs Gewissensbisse, geweckt durch seinen Anwalt John Plato Beck (fast ein wenig zu routiniert in der Darstellung des versoffenen Moralisten: Thomas Mitchell), kommen zu spät - der Versuch, Stanley Moore doch noch zu retten, scheitert.
McComb heiratet Georgia, und sein Erfolg scheint vollkommen. Seine Geschäfte boomen, und er kann sich ein prachtvolles neues Haus bauen lassen, beinahe einen Palast. (Ein Western-Xanadu, wenn man so will; und die Ähnlichkeit mit "Citizen Kane" wird hier am deutlichsten.) Ein festlicher Empfang soll das Erreichte krönen - doch der betrunkene Beck offenbart McCombs Anteil an Stanley Moores Tod und ruiniert seinen Ruf. Alle fallen von ihm ab; die anderen Minenbesitzer verbünden sich gegen McComb, und mit der Unterstützung von Geldgebern aus dem Osten gelingt es ihnen, den verhassten Emporkömmling zu ruinieren. Seine Geschäfte brechen zusammen, er muss sein Haus verkaufen, und die Beziehung zu Georgia liegt in Scherben.
Hier könnte eigentlich nur noch der Tod der Hauptfigur folgen; doch der Film nimmt noch eine andere, recht überraschende Wendung, mit der Flynn/McComb am Ende doch noch eine Art Held werden darf. - Anwalt Beck ist in die Politik gegangen und vertritt, unterstützt von Georgia, die Interessen der kleinen Leute, speziell der Arbeiter in den Minen. Als er von McCombs altem Feind Sweeney erschossen wird, rächt McComb nicht nur den Ermordeten, sondern übernimmt auch dessen politisches Erbe. Versöhnt mit Georgia, wird er von seinem Egoismus erlöst und stellt sich wieder in den Dienst der Gemeinschaft.
Insgesamt ist das ein sehr interessanter, ambitionierter und über weite Strecken auch spannender Film, kein typischer Western, sondern vor allem eine Charakterstudie. In der zentralen Rolle des Mike McComb überzeugt Flynn ohne Einschränkung, bringt die zeitweilige Rücksichtslosigkeit der Figur genauso heraus wie die Gewissensbisse und die Wandlung am Schluss. Da auch die übrigen Darsteller durchweg überzeugen, wie auch die Musik von Max Steiner, ist "Silver River" trotz der streckenweise wenig inspiriert wirkenden Regie von Raoul Walsh ein guter Film geworden, den der Flynn- und Westernfreund gesehen haben sollte.