Émile Durkheim
Er ist einer der Gründungsväter der modernen Soziologie. Émile Durkheim nannte sie „die Wissenschaft von den Institutionen, deren Entstehung und Wirkungsart“. Für ihn ist der Begriff der „Institution“ nicht auf die administrative Bedeutung beschränkt, sondern umfasst „alle Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzte Verhaltensweisen“. Durkheim versuchte daher, den Menschen in seiner Lebenswelt „holistisch“, d.h. in seiner Gesamtheit zu beschreiben und zu verstehen.
Für ihn sind soziale Phänomene jedoch mehr als nur die Summe individueller Willensakte. Was er als „soziale Tatsachen“ bezeichnete, stellt „Denk-, Handlungs- und Gefühlsweisen dar, die außerhalb des Individuums liegen und mit zwingender Kraft ausgestattet sind, die sie ihm auferlegen.“ Ein großer Teil seines Denkens befasst sich daher mit der Artikulation des individuellen Willens, der Autonomie und einer Form des sozialen Determinismus.
In Die Regeln der soziologischen Methode (1895) stellt Durkheim fest, dass „die erste und grundlegende Regel darin besteht, die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu behandeln“. Auf diese Weise will er den Soziologen zu einem Wissenschaftler machen, der mit einem Phänomen konfrontiert ist und aus statistischen Daten Gesetze ableitet. So kann er etwa schreiben, dass „das Verbrechen deshalb normal ist, weil eine Gesellschaft, die frei davon wäre, ganz und gar unmöglich ist“, denn jede Gesellschaft hat notwendigerweise eine bestimmte Kriminalitätsrate, die zur Bewertung und Korrektur von Abweichungen herangezogen wird. Daraus folgert Durkheim, dass Kriminalität keine soziale Krankheit ist.
In einem anderen berühmten Werk untersucht er ein Phänomen, das a priori intim ist, gleichbedeutend mit reiner Individualität und extremer Freiheit: Der Selbstmord (1897). Er zeigte, dass es möglich ist, den Suizid zu erklären, ohne sich allein auf die individuelle Psychologie zu stützen. Dabei wies er nach, dass die Selbstmordrate in allen Ländern stabil war und überraschende Regelmäßigkeiten aufwies: Zum Beispiel töteten sich die Menschen häufiger unter der Woche, am Morgen und am Nachmittag, mit einer Unterbrechung zur Mittagszeit.
In den 1890er Jahren begründete Durkheim den ersten Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Bordeaux und gründete 1898 die Zeitschrift L'Année Sociologique, bevor er 1902 auf den Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften an der Sorbonne berufen wurde. Durkheim setzte sich für den zu Unrecht verurteilten Offizier Alfred Dreyfus ein („Dreyfus-Affäre“) und war ein Freund des Reformsozialisten Jean Jaurès. 1912 schrieb er Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Darin bezog Durkheim den Begriff der Achtung auf soziale Strukturen statt auf subjektive Grundlagen. Der Soziologe starb 1917, kurz nach dem Verlust seines Sohnes, der im Ersten Weltkrieg gefallen war.