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Tannöd – Kritik

Die Verfilmung von Andrea Maria Schenkels Erfolgskrimi zeigt zunächst ein gutes Gespür für Atmosphäre, scheitert aber am engen Korsett konventioneller Drehbuchdramaturgie.

Tannöd

1922 wurde im oberbayrischen Hinterkaifeck eine fünfköpfige Familie und ihre Magd erschlagen. Der Täter blieb anschließend noch einige Tage auf dem Hof, fütterte die Tiere und schaffte es trotzdem unentdeckt zu bleiben. Über achtzig Jahre später scheint dieser Mordfall nichts von seiner morbiden Faszination verloren zu haben. Nach zwei Büchern des Journalisten Peter Leuschner und zahlreichen Fernsehreportagen widmete sich erst kürzlich ein Mystery-Thriller (Hinter Kaifeck, 2009) der Tat. Am profitabelsten nahm sich aber die Autorin Andrea Maria Schenkel in ihrem Debütroman Tannöd (2006) den Geschehnissen in Hinterkaifeck an. Darin verlegt sie die die Tat in die fünfziger Jahre, mischt Fakten mit Fiktion und widersetzt sich herkömmlicher Krimi-Struktur.

Tannöd

Schenkel erzählt die Geschichte des Mordes an der zwielichtigen Familie Danner nicht chronologisch, sondern findet dafür eine pseudo-dokumentarische Form. Zum größten Teil besteht Tannöd aus Interviews mit einzelnen Bewohnern, die nur teilweise von Gebetsversen und einer übergeordneten, sachlich bleibenden Erzählerstimme unterbrochen werden. Umso erstaunlicher ist, dass es Schenkel mit dieser auf den ersten Blick für das Genre unkonventionellen Erzählweise bis in die Bestsellerlisten geschafft hat.

Tannöd

Unter der Regie von Bettina Oberli (Die Herbstzeitlosen) hat Schenkels Buch nun auch seinen Weg auf die große Leinwand gefunden. Da man gerade bei Bestseller-Verfilmungen stets ein großes Publikum im Auge hat, überrascht es nicht, dass die etwas sperrige Struktur des Buches in der Leinwandadaption einer konventionellen Filmdramaturgie weichen musste. Zwar finden die unterschiedlichen Perspektiven der Dorfbewohner noch durch Rückblenden Einzug in das Drehbuch von Petra Lüschow, ansonsten grenzt sich der Film aber nicht nur durch eine lineare Handlung deutlich von der Vorlage ab, sondern erfindet gleich noch eine Protagonistin dazu. Stellvertretend für den Zuschauer dringt Kathrin (Julia Jentsch) als Außenstehende in den Kosmos des "Mord-Dorfs" ein. Zur Beerdigung ihrer Mutter kehrt sie an ihren Geburtsort zurück und wird mit den menschlichen Abgründen der Dorfbewohner konfrontiert.

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Es ist der Figur der Kathrin deutlich anzumerken, dass sie aus rein dramaturgischen Überlegungen entstanden ist. Den gesamten Film über bleibt sie blass und hat für die Handlung, abgesehen von einem konstruiert wirkenden Bezug zur ermordeten Familie, nichts Relevantes beizutragen. Über ihre Funktion für die Handlung hinaus, die Bewohner zum Reden zu bringen und deren Rückblenden einen narrativen Rahmen zu geben, bleibt sie eine leblose Drehbucherfindung.

Tannöd

Angesichts einer literarischen Vorlage, die bewusst mit ihrem authentischen Gehalt spielt, wäre in Tannöd eine vornehmlich realistische Art der Inszenierung nahe liegend gewesen. Doch Oberli schreckt vor Stilisierungen nicht zurück und bewegt sich deutlich in der Nähe zum Horror-Genre. Schon mit den ersten Bildern etabliert der Film durchaus wirkungsvoll eine bedrohliche Atmosphäre. Ganz in der Tradition des gothic horror ist vor allem die Inszenierung einer düsteren Landschaft für die unheimliche Stimmung verantwortlich. In kalten, blaustichigen Bildern wird Hinterkaifeck als ausgesprochen düsterer Ort inszeniert, der von einem vernebelten Wald umgeben ist und an dem kaum die Sonne scheint.

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Auch wenn es um weniger subtile Effekte geht, bedient sich Oberli typischer Stilmittel des Horrorfilms. Gleich mehrmals sieht man die Protagonistin durch ein unheimliches Bauernhaus mit knarzenden Dielen streifen, während im Hintergrund ein Schatten vorbeihuscht, der sich im nächsten Augenblick schon als harmlos erweist. Trotzdem versucht der Film krampfhaft mehr zu sein als ein reiner Genrebeitrag. Wenn Oberli in Rashomon (1950)-Manier die Rückblenden der Dorfbewohner gegeneinander ausspielt und immer wieder auf die Bigotterie und inzestuösen Beziehungen verweist, setzt sie Erwartungen für eine sozialkritische Ebene, zu der es nie kommt.

Letztlich ist Tannöd aufgebaut wie ein gewöhnliches Whodunnit, - im Gegensatz zum tatsächlichen Mordfall geben Buch und Film sowohl die Identität des Mörders als auch sein Motiv preis. Darüber kann Oberli auch nicht hinwegtäuschen, nur weil sie die Bekanntgabe des Mörders nicht als Hauptattraktion inszeniert. Wenn Tannöd betont kryptisch und offen endet, obwohl der Zuschauer bereits alle wichtigen Informationen hat, gibt er sich weitaus ambivalenter, als er es eigentlich ist.

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