Polizeiruf 110 Sonntagskrimi: „Der Dicke liebt: Ein Mob jagt einen Lehrer“

„Polizeiruf 110: Der Dicke liebt“: Ein Mob jagt einen Lehrer

„Polizeiruf 110: Der Dicke liebt“ ist eine intensive Tragödie der Hallenser Kommissare mit einem herausragenden Hauptdarsteller Sascha Nathan.

So viel Zeit muss sein: Der Hallenser Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) trifft den Gerichtsmediziner Reinhold (Andreas Leupold) und Thomas Grawe (den Polizeiruf-Veteran Andreas Schmidt-Schaller) auf einen Umtrunk zum Tag der Volkspolizei.
So viel Zeit muss sein: Der Hallenser Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) trifft den Gerichtsmediziner Reinhold (Andreas Leupold) und Thomas Grawe (den Polizeiruf-Veteran Andreas Schmidt-Schaller) auf einen Umtrunk zum Tag der Volkspolizei.MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

An der Saale hellem Strande – so hieß der erste Hallenser „Polizeiruf“ mit Peter Kurth und Peter Schneider, der vor drei Jahren einen ganz starken Eindruck hinterließ. Das Volkslied erklingt auch diesmal – und zwar in allerhöchster Not. Ein Lehrer (Sascha Nathan) sucht Zuflucht zum Lied, nachdem er vor einem Mob in seine Wohnung geflüchtet war. Die geifernde Meute unterstellt dem korpulenten Einzelgänger, er würde kleinen Mädchen nachstellen und hätte die achtjährige Inka, seine Schülerin, umgebracht.

Mit dem hochemotionalen Fall „Der Dicke liebt“ knüpft das bestens eingespielte Team um Clemens Meyer (Drehbuch) und Thomas Stuber (Regie) an die Stärken des Auftaktfilms an, setzt aber nicht den damaligen Fall fort – denn der war ja unaufgeklärt geblieben. Weiter ausgebaut werden die Eigenarten der beiden Kommissare.

Henry Koitzsch (Peter Kurth) hat immer noch ein massives Alkoholproblem. Er rezitiert bei der Suchtberatung aus Jack Londons „König Alkohol“ und bietet dem Vater von Inka beim Überbringen der Todesnachricht kumpelhaft einen Schluck aus dem Flachmann an. Koitzsch weiß auch aus eigener Erfahrung, wann es sinnvoll ist, Obdachlose nach einem Rausch zu befragen.

Der Familienvater Michael Lehmann (Peter Schneider), der aus einem Pflegejob zur Polizei gewechselt ist und der mit seiner Familie vorm Abendbrot betet, kann bei den Ermittlungen seine besondere Sensibilität beweisen. Koitzsch und Lehmann sind ausgemachte Charakterköpfe, die sich aneinander reiben, aber keine ausgedachten Konflikte durchspielen müssen. Beide versuchen auf ihre Weise, sich in die Tat hineinzudenken: Immer wieder „sehen“ sie Inka vor sich, versuchen nachzuvollziehen, wie sie von der Schule in die Gartenkolonie gelangt ist; und wen sie unterwegs getroffen haben könnte.

Der Fall um die ermordete Achtjährige verlangt allen Figuren sichtbar viel ab – die Anspannung, der Druck und die Hitze sind allen ins Gesicht geschrieben. Wie im Auftaktfall hat der Regisseur Thomas Stuber die Nebenrollen mit starken Darstellern aus der Region besetzt – die Kurzauftritte von Eltern und Zeugen überzeugen auch mit einer authentischen, lakonisch knappen Sprache.

In der Hauptrolle des verdächtigen und gehetzten Lehrers hinterlässt Sascha Nathan einen besonders nachhaltigen Eindruck. Der Mathelehrer, der wegen seiner massiven Figur von Schülern verspottet wird, gerät ja nicht nur beim Mob aus dem Wohngebiet unter Verdacht. Der Täter müsse über hundert Kilogramm gewogen habe, hatte der Rechtsmediziner erklärt, und der dicke Lehrer Krein mag seine Schülerinnen auch wirklich, geht mit ihnen sogar Eis essen. Sascha Nathan zeigt einen Mann voller Zerrissenheit: Ist es das Entsetzen über die eigene Tat oder das Entsetzen über den ungeheuerlichen Verdacht?

Mit ihrem zweiten Hallenser „Polizeiruf“ gelingt dem Duo Meyer/Stuber, die mit Peter Kurth vor der Kamera schon so eindringliche Kinofilme wie „Herbert“ und „In den Gängen“ geliefert haben, wieder eine Tragödie mit einer Tiefe und Intensität, die weit aus den Standards des deutschen Fernsehkrimis herausragt.

Trotz der Schwere des Stoffes bleibt Zeit für auflockernde Gags am Rande. So begegnet Henry Koitzsch seiner Annoncen-Bekanntschaft aus dem ersten Fall wieder – Monika ist stellvertretende Direktorin an Inkas Schule und wird gespielt von Susanne Böwe, der Ehefrau von Peter Kurth und der Tochter von Kurt Böwe, der ja sechs Jahre lang „Polizeiruf“-Kommissar in Schwerin war. Mit einem anderen „Polizeiruf“-Veteranen, Andreas Schmidt-Schaller als Grawe, trifft sich Koitzsch beim Bier in der Rechtsmedizin, zum Tag der Deutschen Volkspolizei.

Polizeiruf 110: Der Dicke liebt. Sonntag, 21. April, 20.15 Uhr, ARD (+ Mediathek)