DDR-Geschichte: Mein Vater trat schnell wieder aus der SED aus

Zeitzeuge berichtet: Mein Vater trat schnell wieder aus der SED aus

Im April 1946 werden KPD und SPD zwangsvereinigt. Mein Vater war Mitglied der SPD gewesen und kannte die spätere SED- und Stasi-Elite.

Auch Walter Ulbricht war Mitglied der ersten Stunde: Erst in Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden, später als Generalsekretär des ZK der SED.
Auch Walter Ulbricht war Mitglied der ersten Stunde: Erst in Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden, später als Generalsekretär des ZK der SED.dpa

Mein Vater war vor dem Krieg Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Während der Nazizeit durfte man außerhalb der nationalsozialistischen NSDAP nicht politisch aktiv werden oder gar Kritik äußern. Das hätte die gesamte Familie gefährdet. Hätte mein Vater irgendein falsches Wort vor den falschen Leuten oder am falschen Ort gesagt, hätten ihm das Zuchthaus, meiner Mutter das Gefängnis und mir die Erziehung im nationalsozialistisch geführten Kinderheim gedroht. Eine Tante von mir sagte in einem Geschäft, dass unter den Nazis auch viele Verbrecher wären. Am Abend kamen zwei Leute der Geheimen Staatspolizei; sie wurde verhaftet und ihre Familie hörte nie wieder etwas von ihr.

Nach der Zerschlagung des Hitler-Regimes wurde 1946 in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und auch im sogenannten Ostsektor Berlins die Zwangsvereinigung zwischen SPD und Kommunistischer Partei (KPD) zur SED angestrebt. Wilhelm Pieck, Mitgründer der KPD, und Walter Ulbricht, ebenfalls KPD-Funktionär, waren auf Geheiß der Sowjetunion dafür. Dennoch war es auch für die sowjetische Besatzungsmacht zunächst gar nicht so einfach, die Vereinigung durchzusetzen. Ein prominentes Mitglied der SPD, der spätere Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl, sprach sich nachdrücklich dagegen aus.

Grotewohl hatte sich in jungen Jahren dem linken Flügel der Sozialdemokratie angeschlossen. Während der Weimarer Republik stieg er vom Landtagsabgeordneten zum Minister für Justiz und Inneres auf. Schließlich wurde er Reichstagsabgeordneter bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. In Bezug auf die Vereinigung von SPD und KPD vertrat er den Standpunkt, dass ein Einparteiensystem schon dem Nationalsozialismus als Instrument zur Gleichschaltung der Bevölkerung, der politischen Organisationen und nicht zuletzt der Abgeordneten gedient habe. Es müsste daher stets eine intakte Opposition zur Regierung geben, argumentierte er.

Händedruck zwischen dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck (l.) und dem SPD-Vorsitzenden Otto Grotewohl (r.) auf dem sogenannten Vereinigungsparteitag zur SED am 21. April 1946 im Berliner Admiralspalast.
Händedruck zwischen dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck (l.) und dem SPD-Vorsitzenden Otto Grotewohl (r.) auf dem sogenannten Vereinigungsparteitag zur SED am 21. April 1946 im Berliner Admiralspalast.dpa

In der sowjetischen Militärkommandantur in Berlin-Karlshorst sah man das anders. Man zitierte Otto Grotewohl zu einem längeren Gespräch. Er kam danach als Anhänger eines Bündnisses zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wieder auf freien Fuß. Es war damals kein Geheimnis, dass man Otto Grotewohl, in welcher Form auch immer, die Pistole auf die Brust gesetzt hatte.

Es kam zur Zwangsvereinigung. Mein Vater musste sein SPD-Mitgliedsbuch abgeben. Für ein neues Mitgliedsbuch war wohl kein Geld vorhanden, daher wurde unter SPD ein SED-Stempel gesetzt, der den Übertritt bestätigte. Mein Vater gehörte zunächst zur Parteigruppe im klassischen Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg. Er konnte gut und ruhig argumentieren, war ein guter Redner mit kräftiger Stimme, was ihm bei seinen vielen Vorträgen in den Hinterhöfen zugutekam.

Lenin sagt: Wer nicht arbeitet, darf auch nicht essen

Nicht zuletzt der furchtbare Zweite Weltkrieg trieb ihn dazu, sich politisch zu betätigen. Viele Menschen lebten jahrelang in Angst, verloren Hab und Gut, hatten schwere Verletzungen, Amputationen der Gliedmaßen davongetragen. Viele Soldaten, Zivilisten und Kinder verloren ihr Leben. Krankheiten wie TBC, Typhus, Ruhr waren nicht selten. Die Folgen des Krieges bestimmten das Leben danach. Sie waren im Westen genauso schlimm wie im Osten, allerdings ging im Westen der Wiederaufbau durch den Marshallplan der USA schneller voran.

Parteiausweis
Parteiausweisprivat

Mein Vater kannte Hermann Martern und Alfred Neumann, beide gehörten in der DDR dem Zentralkomitee der SED an. Er kannte auch den später in der DDR sehr gefürchteten Minister für Staatssicherheit Erich Mielke sowie Herbert Wehner, den späteren Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Bundesrepublik Deutschland, der nur kurze Zeit diesem Kreis angehörte.

Bei den allerersten Zusammenkünften wurden einfache Fragen diskutiert: „Lenin sagt: Wer nicht arbeitet, darf auch nicht essen.“ – „Was Lenin sagte, müssen wir unbedingt einhalten.“ Mein Vater steuerte nur den Kommentar bei, dass es viele alte und gebrechliche Leute gebe, die nicht arbeiten könnten, sodass man solche Regeln nicht stur handhaben dürfe.

Meine Mutter musste an den Wasserpumpen wie alle anderen Schlange stehen, bis sie sich zwei Eimer mit Trinkwasser abfüllen konnte. „Wann ändert sich denn endlich alles?“ – „Wann bekommen denn wir wieder fließendes Wasser?“ – „Wann gibt es Fensterscheiben, Strom und elektrisches Licht?“, waren die beißenden Kommentare.

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Nach einem verlorenen Krieg ging es nur schwer voran. Die später als ruhmreich und hilfreich dargestellte Sowjetunion hatte selbst nicht viel und stellte nicht etwa Maschinen zur Verfügung, sondern demontierte noch gut erhaltene Maschinenparks und transportierte diese in die Sowjetunion. Das bedeutete weiteren industriellen Kahlschlag in der Ostzone zugunsten der „Freunde“.

Die Meinung innerhalb der Partei war sehr uneinheitlich: Es gab unter den Genossen wie auch unter den russischen Soldaten viele anständige Menschen. Aber es gab auch welche mit weniger guten Eigenschaften. Diese meinten, sie hätten aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit das Recht, sich mit zehn Lebensmittelkarten zu versorgen; einer jungen Frau mit drei Kindern, deren Mann im Krieg gefallen war, billigten sie nur eine einzige Karte zu.

Eintreffen von Kohlrüben und Verteilung durch Mitglieder des FDGB in Berlin 1947
Eintreffen von Kohlrüben und Verteilung durch Mitglieder des FDGB in Berlin 1947United Archives/imago

Der Parteiaustritt war ein enormes Risiko

Derartige Vorkommnisse und viele andere Ungerechtigkeiten bewogen meinen Vater schließlich dazu, das Handtuch zu werfen. Er trat, wie man dem Mitgliedsbuch entnehmen kann, schon 1946 wieder aus der SED und verabschiedete sich mit den Worten: „Und wenn ich auf der Straße schippen muss, mit eurem Verein möchte ich nichts mehr zu tun haben!“

Aus dieser Partei auszutreten war ein enormes Risiko. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, hieß es schon damals. Mein Vater hatte sich oft mit Hermann Matern unterhalten. Der fuhr mit dem Auto zu meinem Vater und riet ihm dringend, seinen Austritt zurückzunehmen und sich für seine Äußerung zu entschuldigen. Er sagte: „Du weißt ja wohl, wer Erich Mielke ist!“ Mein Vater war klug genug, sich zu entschuldigen. Er schob persönliche Gründe vor, blieb aber beim Austritt.

Er musste später tatsächlich schippen gehen. Als Elektromeister hatte er einen kleinen Stand in der Markthalle Ackerstraße im Prenzlauer Berg eröffnet, dort bekam er von einigen Genossen Besuch, die ihm zynisch sagten, er wäre doch jetzt ein reicher Mann. Ware bekam er im Gegensatz zu anderen sehr wenig. Er war vielleicht auch nicht geschäftstüchtig. Er musste den Stand aufgeben, bekam dann trotz sehr guter Beurteilungen in keinem Betrieb eine Stellung.

Erst nach Jahren konnte er bei der Berliner S-Bahn Fuß fassen. Er musste mit der körperlich sehr schweren Arbeit als Gleisbauarbeiter beginnen, war dann in einem Schaltwerk angestellt und wurde später im Dreischichtsystem zum Schaltobermeister befördert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Parteiaustritt die Ursache für seine enormen Schwierigkeiten war.

Mein Vater hat die Wende nicht mehr miterlebt. Den Staatssicherheitsdienst hielt er zeit seines Lebens für eine verbrecherische Organisation und den Bau der Berliner Mauer für ein großes Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Klaus Erich ist heute 81 Jahre alt. In der DDR war er wegen seines Ausreiseantrags lange strafversetzt.

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