Vor der Pleite gerettet: „Titanic ist längst eine Legende“
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Vor der Pleite gerettet: „Titanic ist längst eine Legende“

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Titanic-Cover zur deutsch-deutschen Verständigung: Zonen-Gaby im Glück.
Titanic-Cover zur deutsch-deutschen Verständigung: Zonen-Gaby im Glück. © Selin Verger/dpa

Der Gründer der Satirezeitschrift Titanic, Peter Knorr, über die Anfänge des Magazins, die größten Gags und die Rettung vor der Pleite. Ein Interview.

Herr Knorr, Sie sind einer der Gründer der Satirezeitschrift „Titanic“. Das Blatt stand vor ein paar Wochen kurz vor dem Ruin und scheint nun fürs Erste tatsächlich gerettet zu sein. Blenden wir zurück zu den Anfängen, in die Zeit vor bald 45 Jahren. Damals traf sich in Frankfurt eine Gruppe von Zeichnern und Autoren. Die hatten ein Ziel.

Ja. Wir wollten eine neue, unsere eigene Satire-Zeitschrift gründen. Die Zeitschrift Pardon, für die wir bis dahin alle gezeichnet oder geschrieben hatten, entsprach mit ihren autoritären Strukturen und ihren törichten, zum Teil esoterischen Inhalten in keiner Weise mehr unseren Vorstellungen. Unser alternatives Geheim-Projekt lief unter dem Codewort „Großmutter“. Wir trafen uns bei mir in der Wohnung in der Sophienstraße in Frankfurt. Nach langen, auch sehr kontroversen Vorbereitungsgesprächen im größeren Kreis, waren wir schließlich zu fünft die eigentlichen Gründer: Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, Hans Traxler, Friedrich Karl Waechter und ich.

Wie ließ sich das Projekt „Großmutter“ technisch und finanziell realisieren?

Schwierig. Aber tatsächlich hat jeder von uns sage und schreibe 50.000 Mark aufgebracht und damit hatten wir im neuen Verlag eine Sperrminorität. Niemand konnte uns mehr inhaltliche oder personelle Vorschriften machen. Das hat prima geklappt. Unsere Hoffnung, unsere Investitionen wieder heraus zu bekommen, uns womöglich ein wenig zu bereichern, haben sich allerdings nicht erfüllt. Das hat gar nicht geklappt. Bis heute. Aber! Wir hatten uns unser eigenes Forum geschaffen! Und das war ja das eigentliche Ziel.

Im Herbst 1979, zur Frankfurter Buchmesse, erschien dann die erste Ausgabe von Titanic mit dem Untertitel „Das endgültige Satireblatt“ in einer Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren. Der Rest ist Geschichte.

Ja, eine erfolgreiche und wider Erwarten sehr lange Geschichte.

Wodurch ist es Ihnen gelungen, das Blatt so populär zu machen?

Naja, wie könnte man das zusammenfassen? Grundsolide Frechheiten, zuverlässiges Überschreiten der Grenzen des guten Geschmacks, tüchtige Arbeit im Scherzbergwerk, gekonnte Polemik, pfiffiger Zynismus, jede Menge Ironie, das ganze Repertoire uneigentlichen, unangemessenen Publizierens. Satire jedenfalls, mit aufklärerischen Hintergedanken. Entscheidend war, dass da schon bald eine tolle Truppe großartiger Zeichner und Autoren zusammenkam, die monatlich das Heft belieferte.

Können Sie ein paar Höhepunkte nennen?

Ich selbst habe Kanzler Kohl als „Birne“ vorgeführt. „Birne, das Buch zum Kanzler“ mit den Illustrationen von Hans Traxler war ein großer Erfolg. „Genschman“ der Superheld oder auch „Die roten Strolche“ kamen sehr gut an.

Zur Person

Peter Knorr, geboren 1939 in Salzburg, ist neben Robert Gernhardt, F. K. Waechter, Hans Traxler und Chlodwig Poth einer der Mitgründer der Satirezeitschrift Titanic. Zuvor hatte er mit Robert Gernhardt und Chlodwig Poth lange bei der legendären Satirezeitschrift „Pardon“ gearbeitet. In den 1960er Jahren hatte er als Kabarettist gearbeitet.

1988 hat das Titanic-Team eine Ikone der Samstagabend-Fernsehunterhaltung in Deutschland, die Show „Wetten, dass..?“, lächerlich gemacht.

Ja, der sagenhafte „Buntstiftlutscher“ bei Gottschalk in „Wetten dass“ war eine absolute Sensation. Da trat der damalige Titanic-Chefredakteur Bernd Fritz bei einer Wette als angeblicher Grafiker auf, der Buntstifte am Geschmack erkennen konnte. Wir saßen damals alle gemeinsam und hypernervös vorm Fernseher. Wir waren die Einzigen unter 20 Millionen Zuschauern in Deutschland, die wussten, was passieren würde. In Wahrheit hat er ja einfach unter seiner Maske hindurchgeschaut. Als sich Fritz dann in der Show selbst enttarnte, war der Moderator Thomas Gottschalk völlig perplex. Aber als jetzt die Titanic in existenzielle Finanznöte geriet, hat auch dieser Thomas Gottschalk für das Überleben gespendet. Sehr souverän.

Später wurde Titanic auch berühmt für seine Aktionen.

Ja, das ist dem erstaunlichen Martin Sonneborn zu verdanken. Der hat als Redakteur und dann als Chefredakteur mit Fake-Telefonaten oder Undercover-Aktionen mächtig für Wirbel gesorgt. Mit einem Bestechungsfresskorb hat er die Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland geholt. Rudi Völler hat das bestätigt. Er hat als Tony Blair mit Kanzler Schröder telefoniert und vieles mehr.

2004 gründete Titanic eine sogenannte Spaß-Partei.

Eine der erfolgreichsten Parteigründungen aller Zeiten. „Die Partei“ ist der politische Arm der Titanic, heute in zahllosen Parlamenten und durch ihren Vorsitzenden Martin Sonneborn seit neun Jahren selbst im Europaparlament vertreten.

Aber Titanic hat auch bitterböse Sachen gemacht.

Es gab viele Gerichtsverfahren gegen Titanic. Wegen Beleidigung, Verächtlichmachung und ähnlichem. Allein achtmal durch die katholische Kirche angestrengt. Zum Beispiel, als Papst Benedikt XVI. mit einem gelben Fleck vorne auf seiner Soutane gezeigt wurde und dem Text „Halleluja im Vatikan – die undichte Stelle ist gefunden.“ Aber mit der richterlichen Begründung „Wo Satire draufsteht, ist auch Satire drin; damit mussten die Kläger rechnen“ haben wir keinen Prozess verloren. Außer dem einen. Björn Engholm hatte geklagt, weil Titanic seinen Kopf auf den Körper des toten Uwe Barschel in der Badewanne montiert hatte („Sehr witzig, Herr E.“). Das ging ins Geld.

Warum ist Titanic nun in Existenznot geraten? Was hat sich verändert gegenüber früher?

Das ist jetzt ein großer Schritt in die Gegenwart. Es hat sich einfach zu viel verändert seit der Gründerzeit. Ich war 30 Jahre lang Mitherausgeber des Blattes und habe lange für Titanic geschrieben.

Aber nun nicht mehr.

Nein. Ich bin 84 Jahre alt. Ich komme gar nicht mehr dazu, alles zu verfolgen und satirische Anlässe wahrzunehmen. Aus den sozialen Medien habe ich mich mit Freuden verabschiedet. Ich lese Zeitungen und Bücher, genieße ein erfreuliches Familienleben unter anderem als Großvater und schreibe auch weiterhin Kurzgeschichten, Gedichte und kleinere Scherzartikel. Und die werden auch veröffentlicht. Aber nicht in Titanic.

Sie haben sehr viele Texte für Otto Waalkes geschrieben und sind damit sehr erfolgreich und bekannt geworden. Aber heute werden manche dieser Texte als rassistisch und unsensibel kritisiert.

Ja. Der Westdeutsche Rundfunk hat in seiner Mediathek sogar eine Trigger-Warnung eingebaut vor den alten Aufzeichnungen der Otto-Shows. Das ist lächerlich. Das ist der abwegige Zeitgeist, von dem keiner weiß, wer ihn steuert. Wer bestimmt, welche Worte ich nicht mehr benutzen darf? Wer gibt das vor? Und warum richten sich manche danach und andere nicht.

Wie halten Sie es mit dem Gendern?

Sollen sie machen! Wenn’s dem Fortschritt dient – ich wehre mich nicht dagegen, aber sprachlich finde ich es schon ein bisschen eklig. Jedenfalls, wenn ich „liebe Freunde“ sage, meine ich alle. Und wenn ich „liebe Freundinnen“ sage, meine ich die drei.

Hat sich Titanic mit den Zeitgeist-Bewegungen gemein gemacht?

Der drohende Untergang der Titanic hat andere, handfestere Gründe. Da ist vor allem der allgemeine Niedergang der Printmedien. Diese Entwicklung ist womöglich nicht aufzuhalten. Papier, Druck, Gehälter, Honorare – es ist alles so teuer geworden, dass ein Blatt wie Titanic mit inzwischen sehr geringer Auflage das nicht mehr stemmen kann. Und das hängt natürlich mit dem Netz und den sozialen Medien zusammen. Da hat „Titanic“ zwar einen guten Auftritt, aber es wird dort kein rettendes Geld verdient. Es ist ein Jammer.

Kann eine satirische Monatsschrift überhaupt noch in Zeiten des Internets bestehen, kann sie etwas bieten, was andere nicht haben?

Optisch vielleicht. Cartoons, Karikaturen, Fotoromane, das funktioniert ja noch ganz gut.

Und die Satire an sich? Geht Satire in Kriegszeiten, angesichts tausender Toter überhaupt noch? In der Ukraine, nicht weit von uns entfernt, sterben die Menschen. Ist Satire in Zeiten des Krieges möglich?

Natürlich. Satire ist nötig auch in Zeiten des Krieges. Die Titanic hat unlängst das Titelblatt gemacht: „Ukraine verpatzt Gegenoffensive. Wir wollen unser Geld zurück“. Das haut immer noch rein. Das entlastet. Satire hat auch eine Ventil-Funktion.

Nun ist das Blatt offensichtlich erstmal gerettet. Sind Sie glücklich?

Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Titanic betteln gegangen. Das ist allen Beteiligten sehr schwergefallen. Aber die Aktion war ein großer, ja überwältigender Erfolg. Es kamen sehr schnell sehr viele neue Abonnements, eine schöne Stange Geld und reichlich aufmunternde, durchaus auch materielle Solidaritätsbekundungen in die Redaktion. Großartig.

Haben Sie eine Erklärung für diesen Erfolg?

Das Ganze erscheint mir als eine große emotionale Zuwendung an ein Satireblatt, dass sich über Jahrzehnte verdient gemacht hat um Freiheit und Frechheit in diesem unserem Lande. Titanic ist noch zu Lebzeiten Legende geworden. (Claus-Jürgen Göpfert)

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