Sigmar Gabriel zum Nahost-Konflikt

Sigmar Gabriel: „Mir bricht es das Herz”

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 © The Pioneer

Exklusiv für The Pioneer hat der ehemalige deutsche Außenminister und Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel seine Perspektive auf den Nahost-Konflikt aufgeschrieben. Gabriel betont dabei die steigenden zivilen Opferzahlen im Gazastreifen und spricht sich für einen Waffenstillstand aus.

Die englische Variante des Artikels können Sie hier nachlesen.

Die arabische Variante des Artikels können Sie hier nachlesen.

Der barbarische Terrorismus der Hamas auf Israel und der dabei sichtbare Vernichtungswille allen jüdischen Lebens hat in Deutschland zu einer Welle der Solidarisierung mit den Opfern dieses Überfalls, der israelischen Bevölkerung und auch mit den hier lebenden Jüdinnen und Juden geführt.

Daran ändert auch der gleichzeitig in Deutschland sichtbare Antisemitismus und Hass auf Israel nichts, sei er nun „home grown“ oder Ergebnis einer arabischen Einwanderer-Community, die den Antisemitismus quasi mit der Muttermilch eingeflöst bekommen hat.

So inakzeptabel und häufig auch strafbar vieles war, was sich da auf Deutschlands Straßen in den letzten Wochen abspielte, war es trotzdem nie geeignet, die Solidarität einer überwältigen Mehrheit der deutschen Gesellschaft mit Israel ernsthaft zu konterkarieren.

Die Rede des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck vom 1. November hat das in beeindruckender Klarheit zum Ausdruck gebracht.

Und doch gibt es vor allem hier in Deutschland eine Leerstelle in diesem erneut aufgeflammten Konflikt im Nahen Osten – im öffentlichen Diskurs der Politik und auch in einigen wichtigen Leitmedien.

Diese Leerstelle betrifft die dramatische Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und zunehmend auch in der Westbank, also dem Gebiet zwischen dem Jordantal und der Staatsgrenze Israels, in dem formal eigentlich weitgehend eine palästinensische Autonomiebehörde die Geschicke der dort lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser bestimmen soll – diese Autonomie tatsächlich aber weitgehend nur auf dem Papier existiert.

Eine Infografik mit dem Titel: Der Nahostkonflikt: das geteilte Land

Israel, der Gazastreifen und das Westjordanland mit Detailansicht des Gazastreifens

Wir sehen zwar die Bilder der massiven Zerstörungen im Gazastreifen, die Menschen, die versuchen, aus Trümmern ihre Angehörigen zu bergen, hören von Säuglingen, die aufgrund fehlenden Stroms in den Brutkästen der Krankenhäuser sterben, und schauen auf die wachsende Zahl von Toten, die längst ein Vielfaches der israelischen Opfer erreicht hat, die durch den Terror der Hamas ermordet wurden.

Es stimmt: Anders als die Hamas unternimmt die israelische Armee vieles, um zivile Opfer zu vermeiden. Aber in einer der am dichtesten besiedelten Hochhaussiedlungen der Welt kann man keine massive Militäraktion durchführen, ohne auch Unschuldige an Leib und Leben zu gefährden. Wohin sollten die 1,2 Millionen Menschen auch fliehen, die mit einer Frist von 24 Stunden über Flugblätter zum Verlassen ihrer Wohngebiete aufgefordert wurden?

Ich kenne niemanden, an dem diese Bilder spurlos vorbeigehen. Mitleid und Hilflosigkeit wechseln sich ab angesichts dieser furchtbaren Folgen des Terroranschlags der Hamas am 7. Oktober 2023. Und ich gebe für mich persönlich zu:

Mir bricht es das Herz, wenn ich Kinder sterben sehe – ganz egal ob es jüdische oder palästinensische sind.

Sigmar Gabriel

Und niemand, der so wie ich empfindet, ist ein „Relativierer“ des Terrors der Hamas oder setzt gar Israel mit der Hamas gleich. Man kann den Terror der Hamas verabscheuen und trotzdem Mitleid mit den Kindern und Familien des Gazastreifens haben.

Und doch sprechen wir Deutschen nur zaghaft darüber. Die Gründe dafür sind gar nicht so schwer zu identifizieren: Zumindest die politischen, medialen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger wollen zeigen, dass das von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März 2008 anlässlich des 60. Jahrestages der Staatsgründung Israels im israelischen Parlament gesetzte Diktum, die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen Staatsräson, tatsächlich ernst gemeint war und sich in dieser für Israel bedrohlichen Lage bewähren muss.

Und wer der Nation angehört, die im 20. Jahrhundert den Versuch unternommen hat, jüdisches Leben möglichst weltweit auszulöschen, der hat auch im 21. Jahrhundert die Pflicht, den einzigen Staat zu unterstützen, in dem die Nachfahren derjenigen sicher leben sollen, die diesem Vernichtungswillen entkommen konnten.

Deshalb verteidigen wir Deutschen besonders und zu Recht das Selbstverteidigungsrecht Israels und müssten – wenn uns der Staat Israel darum bitten sollte – dafür auch die entsprechenden Mittel bereitstellen.

Aber muss dieses klare Bekenntnis zugleich dazu führen, dass wir uns in den Augen der arabischen und muslimischen Welt deshalb gegenüber dem Leid der Palästinenser verhärten? Reicht das durchaus zutreffende Argument aus, dass schließlich die Hamas auch an diesen zivilen Opfern im Gazastreifen schuld ist, weil sich ihre Führung feige hinter und unter zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern versteckt?

 © dpa

Und trägt das Argument wirklich auf Dauer, dass die Vernichtung der Hamas ein so existenzielles Ziel Israels sein muss, dass es die vielen Tausend zivilen Opfer rechtfertigt? Zwingt uns die Härte der Realität im Nahen Osten, diese Gewalt als unvermeidlich zu akzeptieren?

Die Politik der Vereinigten Staaten und ihres Präsidenten Joe Biden zeigt gerade, dass beides möglich ist: Sich klar zum Schutz Israels zu positionieren und zugleich das Leiden der Palästinenser in Gegenwart und Vergangenheit klar zu benennen. Wir Europäer und auch wir Deutschen täten gut daran, ihn dabei zu unterstützen. Denn so sehr die Vernichtung der Hamas und ihrer dschihadistischen Verbündeten zu wünschen wäre, so wenig spricht dafür, dass aus einem fortgesetzten Krieg im Gazastreifen mit noch mehr Leid und noch mehr Blutvergießen am Ende etwas Neues und Besseres entstehen kann – für Israelis wie für die Palästinenser.

Wer die Hamas besiegen will, braucht neben Waffen und Militär vor allem die Bereitschaft, ihr den Nährboden ihrer menschenfeindlichen Ideologie zu entziehen. Diese Bereitschaft dazu gab es schon einmal, indem man den Palästinenserinnen und Palästinensern das Versprechen auf einen eigenen demokratischen Staat neben Israel gab. Die sogenannte „Zweistaaten-Lösung.“

Die bittere Wahrheit aber ist, dass wir alle – die Europäische Union, die internationale Gemeinschaft, die arabischen Nachbarstaaten Israels, die israelische Regierung und ihre Siedlerbewegung und auch die zerstrittene Führung der Palästinenser – diese „Zweistaaten-Lösung“ haben zum Lippenbekenntnis verkommen lassen. Es war die Idee einer friedlichen Koexistenz eines demokratischen jüdischen sowie eines demokratischen palästinensischen Staates nebeneinander.

Niemand hat in den letzten zwei Jahrzehnten ernsthaft daran gearbeitet, sondern im Gegenteil: Mehr und mehr schien es möglich, die Aussöhnung Israels mit seinen arabischen Nachbarstaaten auch ohne eine Antwort auf das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser geben zu können.

Die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu ging sogar so weit, dass sie glaubte, die Hamas ohne wirkliche Gefahr für Israel fördern zu können, um damit zugleich die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland zu schwächen. Der israelische Journalist Meron Rapoport zitierte Netanyahu wörtlich aus einer Rede vor seiner Likud-Partei

Jeder, der die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Stärkung der Hamas unterstützen. (…) Dies ist Teil unserer Strategie, die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern in Judäa und Samaria zu isolieren.

Benjamin Netanjahu

Deshalb floss kein einziger katarischer Dollar ohne Billigung der israelischen Regierung an die Hamas. Denn das eigentliche Ziel der Regierungen Netanjahus war die vollständige Annektion der Westbank als Staatsgebiet Israels. So zeigte es auch die vor wenigen Wochen in der Generalversammlung der UN von ihm präsentierte Karte Israels, auf der es keine Westbank mehr gab. Auch diese Illusion des „Teile und Herrsche“ ist vorerst mit dem Terrorangriff der Hamas geplatzt.

Benjamin Netanjahu © imago

Erst dieses gemeinsame internationale Versagen hat es der Hamas und ihren islamistischen Fanatikern ermöglicht, sich zu den Vertretern der palästinensischen Sache zu machen, obwohl sie genau das weder früher noch heute gewesen sind. Sie kämpfen nicht für einen demokratischen Staat der Palästinenser, sondern für die Vernichtung jüdischen Lebens und die Errichtung eines „Kalifats“, was nichts anderes wäre als ein mittelalterliches Gewaltregime, in dem jede freie Meinungsäußerung, jeder Widerspruch, jede Frau und jeder Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben mit dem Tode bedroht wäre.

Weil niemand die Sache der Palästinenser mehr ernsthaft vertreten hat und die säkulare palästinensische Führung dem weitgehend hilflos gegenüberstand und zudem in Korruption und Nepotismus zu ersticken drohte, konnte die Hamas diese Lücke füllen, obwohl sie alles andere im Sinn hat als einen demokratischen Staat der Palästinenser.

Voller Hohn und Zynismus wiesen in diesen Tagen Vertreter der Hamas darauf hin, dass erst durch ihren Terrorüberfall die palästinensische Frage wieder auf der internationalen Tagesordnung stünde.

Das alles auch in Deutschland laut auszusprechen, ist weder eine Täter-Opfer-Umkehr noch eine Relativierung des Hamas-Terrors. Es ist die notwendige Kontextualisierung, um zu verstehen, warum selbst mit einem militärischen Niederringen der Hamas der lange Schatten der Vergangenheit nicht verschwindet und mit ihm nicht das Gewaltpotenzial des Nahen Ostens.

Gerade Deutschland hat in der Vergangenheit viel Kapital in der Region des Nahen Ostens aufgebaut. Jeder dort weiß um unsere Haltung zu Israel. Und trotzdem galten wir als fairer Vermittler auch für die palästinensischen Interessen. Wir dürfen diese Kapital nicht in kurzer Zeit aufzehren, weil wir gegenüber den Palästinensern und der arabischen Welt trotz der wachsenden Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen den Eindruck der Sprachlosigkeit vermitteln.

Dass die beiden europäischen Führungsnationen Frankreich und Deutschland bei einer Resolution zum Nahost-Konflikt in der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterschiedlich abstimmen, wird im Rest der Welt als Zeichen für die weitere Provinzialisierung Europas gewertet. Selten lagen der Anspruch Europas, ein „geopolitischer Machtfaktor“ zu sein, und die Wirklichkeit so sichtbar auseinander.

Angesichts der Zerstrittenheit der Europäischen Union in ihrem außen- und geopolitischen Blick auf Israel, die Palästinenser und die arabische Welt kann man nur froh sein, dass es immer noch die Vereinigten Staaten gibt, die trotz ihres engen Bündnisses mit Israel auch wissen, welche Gefahren in der Fortsetzung militärischer Gewalt im Gazastreifen lauern.

Es war kein europäischer Staats- oder Regierungschef, sondern US-Präsident Joe Biden, der bis hin zur Bereitschaft des Einsatzes eigenen Militärs zur Verteidigung Israels gegen mögliche Angriffe des Iran oder seiner Stellvertreter im Libanon und Syrien bereit war, Israels Sicherheit nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu verteidigen.

Im Ernstfall wäre dies ein großer Unterschied zu der Unterstützung der Ukraine, wo die Vereinigten Staaten zwar Waffen, Ausbildung und Informationen liefern, aber alles vermeiden, was sie selbst zum Kriegsbeteiligten gegenüber Russland machen würde. Im Nahen Osten wäre das anders: Die USA würden selbst militärisch gegen die Feinde Israels vorgehen. Ein großer Krieg in der Nachbarschaft Europas stünde bevor, dessen Gefahren die des Ukraine-Konflikts noch weit übertreffen würden.

Joe Biden und Benjamin Netanjahu © imago

Und vermutlich deshalb war der Präsident der USA auch die erste westliche Führungspersönlichkeit, die Israel davor warnte, zu viele zivile Opfer bei ihrem Gegenschlag in Gaza in Kauf zu nehmen. Die eigenen Fehler der USA im Irak und in Afghanistan vor Augen, warnte der US-Präsident davor, durch die verständlichen militärischen Reaktionen gegen die Hamas nicht auf Dauer ein noch größeres Monster in der Region zu erschaffen und sich zugleich in den Augen der Weltöffentlichkeit als gegenüber dem Schicksal der Palästinenser erbarmungsloser Kolonialstaat darzustellen.

Biden sieht offensichtlich weit klarer als seine europäischen Verbündeten, dass aus dem scheinbar auf Gaza begrenzten Konflikt ein weiterer großer Baustein für die wachsende Konfrontation des Globalen Südens gegen die westlichen Demokratien werden kann oder es längst geworden ist.

Ob es uns gefällt oder nicht: Die westliche Unterstützung Israels in seiner militärischen Operation in Gaza und das weitgehende Schweigen über tausende tote Zivilsten ist für viele Staaten des Globalen Südens ein weiteres Beispiel für die „doppelten Standards“ des Westens, der den Tod von Zivilisten und die Zerstörung von Wohnhäusern und Krankenhäusern durch Russland in der Ukraine als Kriegsverbrechen bezeichnet, das gleiche in Gaza aber mit dem Hinweis auf das Selbstverteidigungsrecht Israels legitimiert.

 © dpa

Natürlich ist es völkerrechtlich ein zentraler Unterschied, ob ein Land wie die Ukraine grundlos angegriffen wird oder sich ein Land wie Israel gegen einen Aggressor wehrt und ihn zu besiegen sucht. Aber glaubt in Deutschland wirklich jemand, dass dieser zugegeben politisch und völkerrechtlich wichtige Unterschied die Bilder von tausenden toten Kindern, Familien und anderen Unschuldigen in den zerbombten Häusern Gazas verdrängen könnte?

Die Weltpolitik wird bekanntlich nicht vor einem Amtsgericht verhandelt und nicht Juristen entscheiden am Ende, was Menschen bereit sind zu ertragen und was nicht. Es geht im Krieg am Ende nicht nur um die Legalität. Eine Lehre aus der Zeit nach den Anschlägen des 11. September 2001 ist, dass man nicht Juristen erlauben darf, die äußeren Grenzen des Verhaltens eines Staates in bewaffneten Konflikten festzulegen.

Israel sollte sich bei seinen Handlungen nicht nur von dem leiten lassen, was seine Anwälte ihm sagen, sondern auch von dem, was der gesunde Menschenverstand ihm darüber sagt, wie sich sein Verhalten auf Menschen auswirken wird, die keine Schuld trifft.

In der arabischen Welt und weit darüber hinaus wird diese westliche Argumentation als Fehlen jeder Empathie und als Kaltblütigkeit gegenüber den palästinensischen Opfern empfunden. Der Konflikt im Gazastreifen ist längst zur neuen Abbruchkante zwischen den westlichen Demokratien und dem Globalen Süden geworden. Die politische Drift zwischen den immer noch wohlhabenden Ländern des Globalen Nordens und Westens und dem Globalen Süden wird immer größer. Wachsende Instabilität, Unsicherheit und auch weitere Kriege, wie die im Putschgürtel Westafrikas, prägen dieses Jahrzehnt. Es sind die Autokratien und Diktaturen dieser Welt, die davon profitieren.

Denn der einstige Führungsanspruch des Westens in der Welt hat längst Konkurrenz erhalten und ist als Formation im Globalen Süden längst nicht mehr unumstritten. Der Westen wird in einer zukünftigen Welt nur noch dann als relevant respektiert, wenn er die legitimen Interessen der neuen starken Länder des mittleren und fernen Ostens und des Globalen Südens als gleichberechtigt ansieht und neue Allianzen auch über den gleichen Wert von Leid und Leben von Menschen und ihrer Lebensverhältnisse begründet.

Nur ein solcher neuer Politik-Entwurf schafft die Voraussetzungen für Frieden in der betroffenen Region und für den inneren Frieden bei uns. Das Leid von Zivilisten bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung auf das absolut Notwendige zu minimieren, war schon Ende des 19. Jahrhunderts ein Bestandteil der „Haager Landkriegsordnung” als Element eines humanitären Völkerrechts.

Das kollektive Mitgefühl des Westens für jedes Leid von Zivilisten wird nicht nur in der arabischen Welt sehr aufmerksam beobachtet. Es ist im Interesse Israels, auch selbst eine starke Unterscheidung zu machen zwischen der Hamas und der Zivilbevölkerung in Gaza.

Joe Biden, dessen Möglichkeiten auch nicht unbegrenzt sind, versucht der Tendenz der globalen Drift zwischen dem Westen und dem Globalen Süden entgegenzuwirken. Daher sein Engagement, mit China zumindest eine stabile Form des Austausches über globale Fragen zu finden und Mechanismen zu vereinbaren, die eine direkte militärische Konfrontation dieser beiden Supermächte verhindern. Und daher auch seine doppelte Botschaft an Israel: Wir stehen für eure Sicherheit ein, aber wir erwarten Schritte der Deeskalation und der Suche nach einer politischen Zukunft für Gaza.

Das zerstrittene und handlungsunfähige Europa kann froh sein, dass im Weißen Haus ein „alter weißer Mann“ sitzt, der aber im Gegenzug zu vielen Jüngeren ganz offensichtlich alle seine Sinne beieinander hat.

Die beste Option ist jetzt, dass die USA und hoffentlich auch ihre europäischen Verbündeten Israel dazu drängen, die Bombardierungen einzustellen und die Zusage einzuhalten, humanitären Hilfsorganisationen Zugang zum Gazastreifen zu gewähren sowie die Bedingungen für einen Waffenstillstand festzulegen. Die Hamas und die militanten Palästinenser müssten im Gegenzug den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen einstellen und die Geiseln freilassen.

Israelische Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen © imago

Wenn das nicht gelingt, droht die Zahl unschuldiger Opfer so groß zu werden, dass auch die israelischen Helden unter dem Berg unschuldiger Opfer zu verschwinden drohen. Und mit jedem Tag wächst die Gefahr der Ausweitung des Krieges erst auf die Westbank und dann auf den Libanon, Syrien und den Iran. Ein solcher Krieg würde alles in den Schatten stellen, was wir derzeit in der Ukraine bereits an Schrecklichem erleben.

Der amerikanische Präsident wagt, was hierzulande inzwischen oft verhöhnt und verachtet wird: Er hat Mut zur Diplomatie. Sein Außenminister reist fast täglich durch die Region und in China waren in einem Monat mehr US-Spitzenpolitiker bis hin zum CIA-Chef als aus ganz Europa in einem Jahr. Biden weiß, dass die dringlichste Aufgabe darin besteht, Zeit für eine humanitäre Pause in Gaza und für eben diese Diplomatie zu gewinnen. Die Europäer täten gut daran, ihn darin gemeinsam zu unterstützen.

Sollte das gelingen, steht uns die schwierigste Aufgabe noch bevor, denn die Hamas und ihre Verbündeten verkörpern leider neben vielem anderen auch eine Idee – die des Todes. Den Tod für alle Juden und den angeblichen Märtyrertod für alle, die sich daran beteiligen. Wer aber eine Idee besiegen will, braucht vor allem eines: eine bessere Idee.

Eine Idee des Lebens für Juden wie für Palästinenser in ihren eigenen demokratischen und selbstbestimmten Staaten. Mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin waren wir auf dem Weg zur der Realisierung dieser Zwei-Staaten-Lösung – damals mordete ein extremistischer Israeli nicht nur den eigenen Ministerpräsidenten, sondern auch den Friedensprozess.

Heute stehen wir kurz vor der Paraphierung des israelisch-saudischen Abkommens, von dem Joe Biden sagt: „there is something in it for the Palestinians” und dieses Mal wird diese winzige Chance für Verbesserungen von einer radikalen Palästinenser-Organisation zerschossen. Das zeigt die große Tragik: Die Radikalen auf beiden Seiten brauchen den anderen als Feind, denn Frieden, schon Annäherung, macht sie überflüssig.

Der Schlüssel zur Einhegung des Konflikts liegt jetzt in der schrittweisen Lösung der Geiselfrage bei gleichzeitiger Verbesserung der humanitären Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Die Verantwortung dafür werden viele tragen müssen, allen voran die arabischen Nachbarn Israels, die gemeinsam mit den USA und Europa die Sicherheit Israels garantieren und die gewaltbereiten Fanatiker bekämpfen müssen.

Das mag sich angesichts der Realität im Nahen Osten wie ein naiver Traum anhören. Aber so ähnlich dürfte es sich angefühlt haben, als mutige Männer, wie der Franzose Schumann und der Italiener De Gasperi, nur wenige Jahre nach den Verheerungen und dem Völkermord in Europa ausgerechnet uns Deutsche einluden, ein gemeinsames Europa aufzubauen.

Nicht mal ein Menschenleben später waren wir von Auschwitz bis nach Straßburg und Brüssel gekommen. Das zeigt, was möglich ist, wenn Menschen wirklich etwas verändern wollen.