Sanft, jähzornig und ein Klassiker: Peter Handke wird 80 | BR24
Der Schriftsteller Peter Handke bei einer Lesung. Der Literaturnobelpreisträger wird am 6.12. 80 Jahre alt.
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Literaturnobelpreisträger Peter Handke wird 80

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Sanft, jähzornig und ein Klassiker: Peter Handke wird 80

Mit "Wunschloses Unglück" und "Die linkshändige Frau" schrieb Peter Handke moderne Klassiker, seine Grabrede auf Slobodan Milošević brachte ihm heftige Kritik ein. Heute feiert der umstrittene Literaturnobelpreisträger seinen 80.

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"Das Kunstwerk als die sanfte Lebensohrfeige, als die Backpfeife hin zum Leben. Es muss ja nicht immer die Axt für das gefrorene Meer in uns sein." So heißt es in Peter Handkes Aufzeichnungen "Gestern unterwegs" einmal in Anspielung an Franz Kafkas berühmte Wendung in einem Brief vom 27. Januar 1904, ein Satz, der übrigens damit beginnt, dass Bücher uns aufwecken sollten wie "ein Faustschlag auf den Schädel".

Sanftmut und Jähzorn in einer Person

Mit solchen Hieben hat es Peter Handke nicht. Er ist Sanftmut und Jähzorn in einer Person, und wenn er in seinem in diesem Frühjahr erst veröffentlichten großartigen Aufzeichnungen "Innere Dialoge an den Rändern" die Maxime formuliert "Widersprich dir selbst entschiedener als deinem Nächsten", dann ist das Handke in nuce. Seine "Ethik des Lesens" hat der Nobelpreisträger zuletzt in die Aufforderung gefasst: "Sich zum friedlichen Wilden lesen." Als einen solchen friedlichen Wilden im Hader mit sich selbst erlebte man Handke schon lange bevor er 2019 in Stockholm die höchste Ehrung erhielt, die einem Schriftsteller zuteilwerden kann: zum Beispiel als er 2008 voller Widerwillen den Thomas-Mann-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München in Empfang nahm.

"Ich habe einen Überdruss gehabt. Haben Sie keine Angst – einen Überdruss gehabt hier zu sein, einen Überdruss vor mir selber", bekannte Handke damals. "Ich weiß nicht, ich kann’s nicht erklären, warum ich es nicht geschafft habe, Freude zu empfinden an Preisen. Den Überdruss, den ich an meiner Existenz empfinde, empfinde ich besonders totalitär oder total, wenn’s um einen Scheißpreis geht. Entschuldigung. Franz Kafka hätte das sicherlich besser ausgedrückt als ich und Thomas Mann hätte sicherlich nicht das Problem gehabt, das ich habe."

Politischer Irrfahrer par excellence

Was jeder, der keine Zeile von Peter Handke gelesen hat, weiß, das ist, dass er sich 2006 als Grab- und Lobredner des serbischen Despoten Slobodan Milošević als politischer Irrfahrer par excellence gezeigt hat. So groß diese Dummheit auch war, sie wird niemals in Vergessenheit geraten lassen können, ein wie großartiger Erzähler Handke ist, der mit "Wunschloses Unglück" und "Die linkshändige Frau" moderne Klassiker und mit sprichwörtlich gewordenen Dramen wie seiner "Publikumsbeschimpfung" oder "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" Theatergeschichte geschrieben hat.

Seine wahre Könnerschaft entfaltet Peter Handke in der kurzen Form. "Seine Politik der kleinen Schritte", wie er sie in seinem soeben erst zu seinem 80. Geburtstag erschienenen Notizbuch "Die Zeit und die Räume" von 1978 nennt, ließ ihn immer wieder lange Strecken zu Fuß gehen, ob in Spanien, Jugoslawien, Griechenland oder Frankreich. Wenn man nun bei ihm liest: "Dieser Gang war die große Lehre", dann hat man eben auch darin den ganzen Handke: den "Weltweite" suchenden Entdeckungslustigen, voll "Fußstapfenlust" und "Wegfreude".

Nicht umsonst schrieb er in seinem Meisterwerk "Gestern unterwegs": "Ich habe mir das schwankende Herz gerade gegangen und werde dies heute tun und morgen wieder ... Es ist unmöglich, ein erfahrener Reisender zu werden. Mißtraue denen, die das vorgeben. Lernen, zum Lernen gebracht werden kann ich nur durch Aufschnappen – eines Wortes, eines Satzfragments, dann suche und sehe ich selber, allein, auf eigene Faust weiter."

Wir haben einen, der auch immer viel zu Fuß unterwegs gewesen ist und der heuer ebenfalls seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, gebeten, seinen Generationsgenossen Handke zu würdigen. Werner Herzog hat uns geantwortet: "Handke hat sicherlich sehr viel von seiner Kraft, seinem Sprachvermögen aus dem Gehen heraus ... und ich schätze den Handke sehr dafür, und ganz im Übrigen finde ich es entsetzlich, was das deutsche Feuilleton ihm angetan hat und immer noch antut, fast wie bei einer mittelalterlichen Hexenjagd. Das hat er nicht verdient, der ist ein großer, wichtiger Schriftsteller und ich glaube auch, dass er mit Recht den Nobelpreis hat, und wir sollten ihn genauer wieder ins Visier nehmen, er muss rehabilitiert werden – oder ich wünsche es mir zumindest."

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