19 Jahre nach der Premiere des ersten Falls f�r Guido Brunetti hat die ARD-Tochter das Ende der Donna-Leon-Verfilmungen beschlossen. Kein Wunder, dass eine gewisse Melancholie �ber der 26. Episode liegt. W�re „Stille Wasser“ (UFA Fiction) nicht der letzte Film der Reihe, w�rde er allerdings kaum herausragen. Die Geschichte �ber einen toten Bienenz�chter, der ein alter Freund von Brunettis Vater war, ist zwar interessant, aber sehenswert ist auch diese Folge vor allem wegen der sch�nen Bilder. F�r zus�tzliche Abschiedsstimmung sorgt die angeschlagene Gesundheit des Commissarios, der nach einem Kreislaufkollaps dringend k�rzer treten muss und sich eine Auszeit auf der als „Garten Venedigs“ bekannten Insel Sant’Erasmo nimmt. Nat�rlich h�lt der Krankenstand nicht lange an: Er ist �berzeugt, dass der Bienenz�chter einem Umweltskandal auf der Spur war und deshalb ermordet worden ist.
Als die Degeto im November das Ende der Donna-Leon-Verfilmungen bekanntgab, las sich die Pressemitteilung eher wie eine Sammlung von Argumenten f�r eine Fortsetzung. Auf die Nachfrage, warum diese „besondere Erfolgsgeschichte“ denn nun beendet werde, gab es von der ARD-Tochter wie auch vom Produktionsunternehmen die reichlich unbefriedigende Antwort, es handele sich um eine gemeinsame Entscheidung von ARD Degeto, Donna Leon und UFA Fiction. Eine Begr�ndung erfolgte nicht.
Foto: Degeto / Nicolas MaackMit der 26. Episode geht die "Donna-Leon"-Reihe zuende: Kockisch war ihr Gesicht.
Tats�chlich lie�en sich eine ganze Reihe von Gr�nden finden, warum die Filme mit Uwe Kockisch als Commissario Brunetti nicht mehr zeitgem�� sind, aber f�r die ARD z�hlen erfahrungsgem�� in erster Linie die Einschaltquoten, und die waren nach wie vor respektabel. Obwohl die etablierten Programme durch die Konkurrenz neuer Sender und erst recht der Streamingdienste seit Jahren kontinuierlich Zuschauer verlieren, lagen die Krimis regelm��ig und zum Teil deutlich jenseits der Sechs-Millionen-Marke; das ist mit Ausnahme des „Tatort“ weit mehr, als sonstige Reihen erreichen. Andererseits sind die Filme schon seit geraumer Zeit eine Art „Sightseeing mit Krimifaktor“; viele Menschen schauen sich die Produktionen vermutlich in erster Linie wegen der garantiert sch�nen Venedigbilder an.
„Meine erste Begegnung mit Venedig, kurz vor dem Drehbeginn 2002, war eine Mischung aus Staunen und Ablehnung, aus Nichtverstehen: Was ist das? Eine Stadt im Wasser, sehr alt, schief, morbid, angefressen vom Zahn der Zeit, und doch steht sie da und zeigt ihren Reichtum aus längst vergangenen Jahrhunderten noch heute – und sie lebt. So war der Anfang und dann, mithilfe der Rolle Guido Brunetti, das Kennenlernen und der Respekt. Respekt und Zuneigung. Nirgendwo anders kann man Verg�nglichkeit so direkt erleben wie in Venedig. Und das ist sehr befreiend.� Ciao Commissario! Wir sehen uns wieder!“ (Uwe Kockisch)
Foto: Degeto / Nicolas MaackBrunetti (Uwe Kockisch) & Capitano Dantone (Kai Schumann) bergen eine Leiche.
Auch „Stille Wasser“, der 26. und letzte Film, erf�llt diese Erwartungen, selbst wenn die Handlung gr��tenteils auf der Laguneninsel Sant’Erasmo spielt: Brunetti ist nach einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus eingeliefert und krank geschrieben worden; Aufregung soll er tunlicht vermeiden. Also hat er sich f�r zwei Wochen im Landhaus der Familie seiner Frau einquartiert und verbringt seine Zeit beim entspannten Rudern mit dem Bienenz�chter Casati (Hermann Beyer), der sich als fr�herer Freund und Ruderpartner seines Vaters entpuppt. Als der Mann w�hrend eines Sturms verschwindet, �berredet Brunetti die K�stenwache zu einer Suchaktion. Tats�chlich finden sie Casatis Leiche, und damit ist f�r den Commissario der Urlaub beendet: Der Bienenz�chter war �berzeugt, dass die einheimischen Biobetriebe heimlich mit Pestiziden arbeiten, er hat regelm��ig Bodenproben eingeschickt und hatte st�ndig �rger mit den Gem�sebauern. Nat�rlich will Brunetti der Sache auf den Grund gehen; da kann er allerdings noch nicht ahnen, dass es sich dabei um den Grund der Lagune handelt.
Im Fr�hjahr hat Uwe Kockisch in einem Interview noch versichert, ein Ende der Reihe sei „nicht in Sicht“. Ob er da schon wusste, dass der bereits 2018 gedrehte Film der letzte gewesen ist, sei dahingestellt; es ging ohnehin mehr um die Frage, wie glaubw�rdig er mit seinem 75 Jahren noch eine Figur verk�rpern k�nne, die deutlich j�nger ist. Mag sein, dass das Alter des Hauptdarstellers in den �berlegungen der Degeto ebenfalls eine Rolle gespielt hat, aber der scheinbar unverw�stliche Kockisch wirkt keineswegs wie ein alter Mann. Action-Szenen wie Verfolgungsjagden oder gar Schl�gereien geh�ren ohnehin nicht zum Markenkern der Donna-Leon-Verfilmungen, und auch das d�rfte ein Teil des Erfolgsgeheimnisses sein, weshalb in „Stille Wasser“ eine R�ckblende, in der mehrere M�nner nach einer Explosion wie Fackeln brennen, v�llig aus dem Rahmen f�llt. Kockisch selbst hat im Grunde nicht mehr zu tun, als w�rdevoll durch die Stadt zu schreiten, Verd�chtige zu befragen und sich zum Abendessen auf der traumhaft gelegenen Dachterrasse der Brunettis einzufinden.
Foto: Degeto / Nicolas MaackDie Umweltsch�tzerin Patrizia Minati (Suzanne von Borsody) hat ein Geheimnis.
„Vor �ber zwanzig Jahren begann f�r uns mit ‚Donna Leon‘ eine ganz besondere Reise. Mit 26 F�llen am einzigartigen Drehort Venedig und mit einem �beraus leidenschaftlichen Team vor und hinter der Kamera haben wir gemeinsam eine Krimireihe etabliert, die mit ihrer Mischung aus Kriminalpsychologie, Emotion und aktuellen Themen genau die Herzen der Zuschauer getroffen und regelm��ig �ber sechs Millionen Menschen begeistert hat.“ (Die Produzenten Benjamin Benedict und Marc Lepetit)
Der Drehort d�rfte auch eine ganz wesentliche Erkl�rung daf�r sein, warum sich von Anfang an prominente Mitwirkende mit zum Teil eher kleinen Rollen begn�gt haben. Die bekanntesten Gastdarsteller des 26. Films sind Roman Knizka als Justiziar eines Chemiekonzerns, Suzanne von Borsody als Umweltaktivistin und Kai Schumann als Offizier der K�stenwache, der nicht gut auf Brunetti zu sprechen ist, weil der einen seiner M�nner verd�chtigt: Der junge Gianluigi Zanirato (Anton Spieker) ist der Sohn just jenes Gem�seproduzenten (Paul Fa�nacht), mit dem Casati immer wieder aneinandergeraten ist. Der �rger des Biobauern ist allerdings verst�ndlich: Die Bodenproben waren regelm��ig negativ, aber der Bienenz�chter war drauf und dran, f�r einen Skandal zu sorgen; das w�re das Ende des „Gartens von Venedig“ gewesen.
Uwe Kockisch im Interview �ber seinen Brunetti & die "Donna-Leon"-Reihe
Kockisch spielte den Brunetti seit 2003, Sigi Rothemund und sein treuer Kameramann Dragan Rogulj sind sogar noch l�nger dabei; das Duo hat seit der dritten Episode, „In Sachen Signora Brunetti“ (2002), s�mliche Folgen gedreht. Eine gewisse Routine konnte da fast nicht ausbleiben, etwas mehr Tempo h�tte den Krimis sicher gut getan, aber auch das geh�rte zum Markenzeichen, selbst wenn die Inszenierungen auf diese Weise etwas aus der Zeit gefallen wirkten. Andererseits gilt das ja auch f�r den besonderen Stil Donna Leons. Die Herausforderung der Drehbuchautoren bestand nicht zuletzt darin, Tonfall und Atmosph�re der Vorlagen treu zu bleiben, was in der Regel sehr gut gelungen ist. Das Drehbuch zu „Stille Wasser“ ist von Stefan Holtz und Florian Iwersen, die seit knapp zehn Jahren regelm��ig f�r die Reihe arbeiten. Der amerikanischen Schriftstellerin wiederum war wom�glich am wichtigsten, dass sich die jeweiligen Anliegen ihrer Romane auch in den Filmen widerspiegelten. Neben einem ausgepr�gten Unrechtsbewusstsein waren das immer wieder �kologische Themen; im aktuellen Film geht es unter anderem um das Bienensterben.
Die Zuschauerzahlen der letzten f�nf Jahre:
„Ewige Jugend“ (18.04.2019): 5,99 Mio / 20,5 %
„Endlich mein“ (29.03.2018): 6,69 Mio / 21,8 %
„Tod zwischen den Zeilen“ (13.04.2017): 6,32 Mio / 20,4 %
„Das goldene Ei“ (31.03.2016): 6,63 Mio / 20,8 %
„Tierische Profite“ (23.04.2015): 5,08 Mio / 16,3 %
Foto: Degeto / Nicolas MaackFederica Casati (Marie Leuenberger) trauert mit ihrem Sohn Pietro um ihren Vater.
Den Machern ging es dagegen neben interessanten Krimis mit starken Pers�nlichkeiten vor allem um Schauwerte. Auch „Stille Wasser“ wirkt mit h�ufigen Szenenwechseln, vielen Au�enaufnahmen und Hochglanzbildern wieder sehr aufw�ndig. Da Brunetti auf der Insel weilt, sorgt nun beispielsweise ein Telefonat mit Tochter Chiara (Laura-Charlotte Syniawa), die zuf�llig gerade �ber den Markusplatz geht, f�r die Sehensw�rdigkeit. Zu den optisch eindrucksvollsten Einstellungen geh�ren diesmal die Bilder von Venedig in der beginnenden D�mmerung, wenn es noch nicht dunkel ist, aber bereits viele Lampen an sind. Nat�rlich hat eine gewisse Melancholie, die �ber dem Film liegt, auch mit dem Wissen um den Abschied zu tun; dieser Hintergrund hat zur Folge, dass einige Bilder zu Beginn nach Brunettis Ankunft auf Sant’Erasmo in der Tat nach Lebensabend aussehen. Eindrucksvoll und sehr friedlich sind auch die aus gro�er H�hle fotografierten Aufnahmen der beiden Ruderer, deren Schweigen nicht etwa f�r Distanz, sondern f�r gro�e N�he steht: weil der alte Casati, wie der anders als sonst diesmal in einen hellen Anzug gekleidete Brunetti sp�ter von dessen Tochter (Marie Leuenberger) erf�hrt, sonst stets allein gerudert ist.
Der Film beginnt mit dem Fund der Leiche und blendet dann zur�ck; ohne diesen Prolog w�re „Stille Wasser“ zun�chst gar kein Krimi. F�r weitere nachdenkliche Momente sorgt eine Schachtel, die Brunetti bekommt. Sie enth�lt Fotos, Zeitungsausschnitte und eine Gold-Medaille aus der Jugendzeit seines Vaters, als Brunetti senior und Casati im selben Ruderclub waren. Zusammen mit den in ein jenseitig glei�endes Licht getauchten Erinnerungen des Commissarios an seinen Zusammenbruch, die Einlieferung ins Krankenhaus und die dringende Ermahnung einer �rztin, dass er sein Leben gef�hrde, wenn er nicht k�rzertrete, sorgen diese Szenen f�r eine Stimmung, die in der Tat sehr nach Abschied schmeckt. F�r den Romanhelden gilt das nicht: Im Fr�hjahr erscheint im Diogenes-Verlag der 29. Band.
Ein Trailer der Degeto-Krimi-Reihe "Donna Leon" mit Uwe Kockisch
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.