Mein Vater ist vaterlos aufgewachsen. Sein Erzeuger war ein am Niederrhein stationierter Soldat, von dem nur eine Fotografie blieb. Mehr nicht. Interessanterweise hat meine Mutter die gleiche Biografie. Diese Leerstelle im Stammbaum verbindet sie.
Für beide ist das bis heute ein wundes Thema. Einmal habe ich meine Großmutter beim Weihnachtsessen nach dem Opa gefragt. Da klirrten die Löffel ins Festtagsgeschirr, die Stimmung war versaut. Ich insistierte, merkte aber, dass alle Beteiligten nur ungern an dieses Tabu rühren.
Mein Vater hat mit viel Kraft versucht, seine Familie anders zu gestalten. Er hat Maler gelernt, später wurde er Versicherungsmakler. Den Job betrieb er mit viel Fleiß und Anständigkeit. Ein Vater, der keinen Vater hat, sichert Familien ab gegen alles, was schiefgehen kann im Leben: schon kurios.
Im Sommer machten wir oft Campingurlaub in Italien. Mein Vater fotografierte dann viel, am liebsten die Familie mit Selbstauslöser. Im Rückblick fällt mir das heile Familienbild auf, das er mit seinen Fotos zeichnete. Eine Kompensation für das, was ihm gefehlt hatte? Ich muss ihn mal danach fragen. Wir sind nun beide in einem Alter, in dem solche Gespräche möglich sind.
In „Sommerhäuser“ spiele ich einen Mann, der sich mit seinem Vater aussprechen will, doch beiden fehlen die Worte. Das berührte mich, denn diese Sprachlosigkeit herrscht nun ein bisschen auch zwischen mir und meinem Vater.
Meine Eltern respektieren meine Arbeitswelt und stören ungern. Irgendwann ist dann aber diese Nachricht auf dem Anrufbeantworter: „Hier ist dein Vater, ruf mal deine Mutter an.“ Womit er natürlich sich meint.
„Schwierig“, sagt mein Vater, wenn er mit einem Stück nichts anfangen kann. Da kommt dann auch nicht mehr viel. Es ist interessant, dass man sich auch als Erwachsener noch vom Urteil der Eltern irritieren lässt. Es ist wichtig zu fühlen, dass der Vater stolz ist. Aber er könnte mehr darüber reden, finde ich.
Doch auch wenn unsere Beziehung nicht diese emotionale Nähe hat: Ich hatte eine gute Kindheit. Meine Eltern kennzeichnet eine große Herzlichkeit. Und ich könnte anstellen, was ich wollte, sie würden mir nie das Vertrauen entziehen. n
Aufgezeichnet von Beate Strobel
Vater
Der gelernte Anstreicher Helmut Loibl, 78, stammt aus dem niederrheinischen Brüggen. Bevor er in Rente ging, arbeitete er als selbstständiger Versicherungsmakler
Sohn
In Bochum studierte Thomas Loibl, 48, Schauspiel. Er ist Ensemblemitglied im Münchner Residenztheater. Regelmäßig übernimmt er TV-Rollen („Charité“). Ab 26. Oktober ist er im Kinodrama „Sommerhäuser“ zu sehen