FDP 12-Punkte-Papier

„Wir brauchen eine Kulturwende“

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Das 12-Punkte-Papier der FDP weise den richtigen Weg, jetzt müsse ihn die Partei aber auch gehen, kommentiert der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Linde, Wolfgang Reitzle.

Geschichte wiederholt sich nicht. Und Vergleiche hinken. Immer. Das gilt auch für den Vergleich des jüngsten 12-Punkte-Papiers der FDP mit den Lambsdorff-Thesen von 1982, von dem dieser Tage viel zu lesen ist. Sie stammen aus einer Welt vor Globalisierung, Digitalisierung und Transformation. Richtig aber ist, dass die genuin liberalen Forderungen nach weniger Bürokratie und mehr Markt, nach mehr Leistung und weniger Anspruchsdenken, schon damals einen schweren Stand hatten. Völlig zu Recht sehen Historiker im Lambsdorff-Papier deshalb nicht nur ein „Schlüsseldokument zur deutschen Geschichte“. Sie bewerten es auch als „Schlüsseldokument für die Beharrungskraft des westdeutschen Gesellschaftsmodells“.

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff auf dem FDP-Parteitag in Berlin am 5. November 1982 © imago

Christian Lindner will nun offenbar seinerseits die Agenda setzen. Er will die Wirtschaftswende und das ist gut so. Aber natürlich geht es längst nicht mehr nur um die Wirtschaft. Die Frage ist vielmehr: Wie leistungsfähig sind wir als Land überhaupt noch? Ohne verlässliche Infrastruktur? Ohne funktionstüchtige Armee? Und ohne jene Innovationskraft, für die wir einmal weltweit bewundert wurden?

Stattdessen hat sich die politische und gesellschaftliche Agenda komplett gedreht: Gefragt sind nicht mehr Leistung und Wettbewerb, sondern Wokeness und politisches Wunschdenken. An die Stelle von Wohlstand und Wachstum treten Verzichts- und „Degrowth“-Ideologie. Gleichzeitig sollen immer mehr Menschen vom Staat alimentiert werden, ohne selbst einen Beitrag leisten zu müssen.

Während die Welt immer komplexer wird und technologische Entwicklungen immer schneller vonstattengehen, werden die Anforderungen in Schulen und Universitäten kontinuierlich nach unten geschraubt. Statt des deutschen Exportschlagers „Diplom-Ingenieur“ produzieren die Hochschulen Bachelor-Absolventen mit Halbwissen. Unternehmen jedenfalls müssen an allen Ecken und Enden nachschulen. Wo das enden soll, mag unklar sein. Klar ist: Gut kann es so nicht werden. Schon gar nicht besser.

Im Gegenteil: Geht es mit dieser Politik so weiter, wird es bald sehr dunkel in Deutschland – nicht nur wegen der vergeigten Energiewende, die uns durch die wahrscheinlich dümmste Klimapolitik der Welt sehenden Auges in eine doppelte Sackgasse führt. Weil sie dem Klima nichts bringt, aber die Wirtschaft stranguliert.

Es ist deshalb alles richtig, was die FDP in ihrem sogenannten „Scheidungspapier“ vorschlägt: Selbstverantwortung, Leistung, Wettbewerb und freier Markt. Das sind die Zutaten für den Fortschritt, in dessen Namen die Koalition ja angeblich unterwegs ist. Und es müssen auch die Grundlagen sein für eine politische Kulturwende.

Zum Download: FDP-Beschlussentwurf 12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende

Allerdings: Wer die Scheidungspapiere einreicht, der muss in letzter Konsequenz auch den Mut haben, zu gehen. Und sich selbst vertrauen. Mit der einen Hand auf den Tisch schlagen und mit der anderen an der 5-Prozent-Hürde klammern – das verträgt sich nicht. Und es ist auch nicht nötig. Schon die Absage an Jamaika hat gezeigt: Klare Kante wird von den Wählern honoriert, denn danach gab es für die FDP mehr Stimmen als zuvor. Außerdem vertritt die Partei mit ihren zwölf Punkten ja keine Minderheitsmeinung: Viele Menschen wollen Deutschland wieder vorne sehen. Mit stabilen Wachstumsraten, niedrigen Schulden und geringer Inflation. Ein Land, in dem sich Leistung lohnt und Wohlstand nicht verteufelt wird.

Lindner, Habeck, Scholz © imago

Wer den Missbrauch der Sozialsysteme stoppt; wer bei der Migration dafür sorgt, dass Fachkräfte kommen und Kriminelle gehen; wer für gute Schulen und weltweit angesehene Universitäten eintritt; wer effizienten Klimaschutz nicht herbeifördern, sondern kreativen Marktkräften überlässt; wer Umweltschutz und technologische Innovation miteinander smart verbindet – der kann in Deutschland ganz andere Mehrheiten bilden. Und seinen Teil dazu beitragen, dass daraus eine Fortschrittsregierung entsteht, die diesen Namen auch verdient.

Eine Regierung, die endlich jene „Beharrungskräfte“ überwindet, die schon so lange verhindern, dass Deutschland das wird, was es doch seit jeher vorgibt zu sein: ein liberaler Freiheitsstaat, in dem der politische Wille der Mehrheit zählt. Und das sind nicht jene, die sich um „kulturelle Aneignung“ sorgen oder mit dem Lastenrad in den Urlaub fahren wollen. Es sind jene, die täglich zur Arbeit gehen, die für sich selbst und andere sorgen und ganz selbstverständlich ihren Beitrag leisten. Es sind weit mehr als fünf Prozent. Auf sie sollte Christian Lindner jetzt bauen.

Dieser Text stammt von unserem Pioneer-Expert Wolfgang Reitzle. Möchten auch Sie Ihre Expertise einbringen? Hier erklären wir, wie Sie ein Pioneer-Expert werden können.