Italo Disco: Die trashige Popkultur in einer ARTE-Doku

Italo Disco: Die trashige Popkultur in einer ARTE-Doku

In den 80er-Jahren war Italo Disco der Soundtrack der Sommerferien. Italien war ein beliebtes Reiseziel und deutsche Touristen bevölkerten so ziemlich jede Küstenregion, die der Stiefel im Mittelmeer zu bieten hatte. ARTE hat der „Sensationell uncoolsten“ Musikrichtung nun die Dokumentation „Italo Disco – Der Glitzersound der 80er“ gewidmet. Längst überfällig, wie ich finde, denn das oft belächelte und noch lauter verschriene Genre hat eine treue Fangemeinde, auch in der Wave-Szene. Mich zum Beispiel. Schön, dass Caro die Doku in einem Kommentar erwähnte.

Wie ich in den Italo Disco Topf gefallen bin

1984 war ein tolles Jahr. Ich war gerade 10 Jahre alt geworden, da bot mir meine Mutter eine Alternative zum rituellen Schwarzwald-Urlaub an. Womöglich spürte sie, dass der Sohnemann gegen den tristen Brei aus wiegenden Tannen, felsigen Bergen und plätschernden Flüssen aufbegehrte. Wir flogen nach Italien!An der östlichen Küste zu Mittelmeer buchten wir uns in ein klassisches Halbpension-Hotel ein und erkundeten die Umgebung. Strand, bunte Plastiksandalen und Eiscreme. Highlight war allerdings eine Art Miniaturrummel, direkt gegenüber des Hotels. Dort dröhnte Italo-Disco den ganzen Tag über die Lautsprecher, während Videospiel-Automaten und Flipper um das Kleingeld der Touristen buhlten. Auch ein Autoscooter gehörte zur Ausstattung. Mit einer Münze aktiviert, bot er zeitlich begrenzten Fahrspaß mit Gummiringen. Ich war begeistert. Mutti auch, denn so nervte Sohnemann nach dem Abendessen nicht herum und fiel dann todmüde ins Bett.

Ein italienischer Polizist (links im Bild) musste als Statist herhalten, den Sohn (rechts unten, blond) in dieser fremden Umgebung zu verifizieren.

So verdrückte ich die allabendliche Portion Pasta in Rekordtempo, ohne mich dabei zu bekleckern und drängte meine Mutter dann mit braunen Rehaugen dazu, ihren Sohn endlich gegenüber Autoscooter fahren zu lassen.

Es war ein lauer Sommerabend im August 1984 als ich die Münze des Schicksals in die Schlitz steckte, die nicht durchfiel, sondern den Mechanismus blockierte und so unbegrenzten Fahrten freischaltete. Und ich fuhr. Erst aufgeregt, dann lässig, ja fast schon anmutig. Neidische Gleichaltrige mussten Münze um Münze ausgeben, um mit mir auf Augenhöhe zu bleiben. Dem Platzwart in seinem Häuschen war das freilich egal, denn der beeindruckte die weibliche Jugend mit Krachern von den Tanzflächen der örtlichen Diskotheken. „Tarzan Boy“ „Comanchero“ oder „Mad Desire„. Ich war in dem Alter, in dem Mann Mädchen noch doof fand und Autoscooter viel interessanter. Ich glaube, ich habe mich damals in Trance gefahren, ins Autoscooter-Italo-Disco-Delirium. So wie Obelix, der als Kind in den Topf mit Zaubertrank gefallen ist.

Der Rest ist Geschichte. Urlauber, die den Sound aus Italien mitnehmen wollten, machten die Musik in Deutschland bekannt, die dann letztendlich sogar in den Charts landete, Sampler hervorbrachte und Dan Harrow in die Bravo. Die Dokumention bringt die Geschichte auf den Punkt, weckt jugendliche Erinnerung und treibt mich in die Arme, merkwürdiger Etsy-Shops.

Ich nehme an, Italo-Disco hat viele Gruftis beeinflusst, wenn auch nicht offensichtlich, sondern eher ungewollt. Als Kind oder Jugendlicher der 80er-Jahre konntest du dieser Art von Musik kaum entgehen. Nur so ist zu erklären, dass dieses Genre als „Trash-Wave“ auch heutzutage regelmäßig die Tanzflächen kleiner Nischenveranstaltungen füllt. Die Shockwave-Party im Rahmen der Gothic-Pogo-Party ist prominentes Beispiel, die die Tanzfläche auch mit Italo-Disco-Krachern wie zum Beben bringt.

Der „Waver“, wenn man diese Subkultur so bezeichnen kann, ist ein „Synthie-Addict“. Süchtig nach eingängigen Melodien, breiten Synthie-Teppichen und fordernden, tanzbaren Beats. Das findet sich auch der Musikrichtung Italo-Disco oder auch der Neuen Deutschen Welle wieder, die im Grunde für alles das stehen, was die schwarze Szene vermeintlich ablehnt. Grelle Farben, bunte Lichter und unbeschwerte Leichtigkeit. Alternative Erklärungsversuche bitte in den Kommentare hinterlasse, ich bin gespannt.

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Norma Normal
Norma Normal(@normanormal)
Vor 1 Jahr

„Synthie Addict“ trifft bei mir den Nagel auf den Kopf!
Synthie Sounds docken bei mir ganz tiefverwurzelt in mein Hörzentrum und lösen etwas aus, was ganz schwer zu beschrieben ist. Als würde gleichzeitig eine wohlige Wärme und erfrische Kühle meinen Körper durchströmen. Ob Italo Disco, NDW oder auch mal Euro Dance, ein Song von Frozen Autumn oder ‚Fantasy Girl’ von Johnny O, bei einem flotten Synthie Beat schlägt mein Herz schneller, schlägt es höher ; )
Früher habe ich mich echt für meinen zuweilen indifferenten Musikgeschmack geschämt, weil zu uncool. Heute hab ich andere Sorgen, als meine Liebe zu poppigen und seltsamen Liedern zu rechtfertigen. Aber ich habe mich wirklich selbst schon gefragt woher diese Vorliebe herrührt. Prägung in der frühen Kindheit? Gut möglich. 
Eine so prägnante Geschichte wie deine schöne Urlaubserinnerung habe ich ad hoc allerdings nicht parat.

Tanz(fleder)maus
Tanz(fleder)maus (@guest_61533)
Antwort an  Norma Normal
Vor 1 Jahr

Synthie Sounds docken bei mir ganz tiefverwurzelt in mein Hörzentrum und lösen etwas aus, was ganz schwer zu beschrieben ist. Als würde gleichzeitig eine wohlige Wärme und erfrische Kühle meinen Körper durchströmen.

Während ich noch lange hin- und herüberlegt habe, wie ich das Gefühl beschreiben könnte, das mich bei Synthiemusik packt, hast Du es schon wunderbar in Worte gefasst!

Ich bin ja derselbe Jahrgang wie Robert und daher in meiner Jugend denselben musikalischen Einflüssen ausgesetzt gewesen (auch wenn ich nie in Italien war).

Außerdem bin ich von Seiten meines Vaters mit Klängen von Jean Michel Jarre, Michael Garrison, Tangerine Dream und Klaus Schulze groß geworden, später hat er auch viel New Romantic gehört (Visage, Ultravox). Und Filmmusik, u.a. von Das Boot und Miami Vice. Also sehr viel Synthiekram. Seit 1987 haben wir beide dann excessiv die Pet Shop Boys gehört, das ging diesmal von meiner Seite aus und ich hab meinen Vater damit angesteckt.

Und ich hab mich seit ca. 1982/83 zunehmend für NDW begeistert, genauer gesagt war (und bin) ich ein großer Fan der früheren Werke von Peter Schilling.

Vieles aus den 80ern ist mir aus Fernsehen und Radio sehr vertraut, und damals lief halt sehr viel poppiger Synthiekram – das hat auch einen Nostalgiebonus für mich.

Falls jemand nach Tips für neuere Klänge dieser Art sucht, hört mal in Timecop 1983 oder 23rd Underpass rein! Auch Confrontational (selbst wenn diese sich selbst als Horror Synth bezeichnen) passen in diese Schublade.

Letzte Bearbeitung Vor 1 Jahr von Tanz(fleder)maus
Eldin
Eldin (@guest_61536)
Antwort an  Tanz(fleder)maus
Vor 1 Jahr

… sowie den wunderbaren Tobias Bernstrup:
https://youtu.be/PgDLjFgeplc

John Doe
John Doe(@arno-siess)
Antwort an  Norma Normal
Vor 1 Jahr

Ich weiss genau, was du meinst.
In unserem favorisierten Club damals lief als Opener immer „Pulstar“ von „Hypnosis“.
Wenn mit den ersten Klängen des Songs die Lightshow und der Trockeneisnebel eingesetzt haben, das war immer Gänsehautfeeling pur… 😊

Hoshy
Hoshy (@guest_61531)
Vor 1 Jahr

Damals wurde mir der Italo-Disco-Sound von meinem Bruder um die Ohren gehauen. Zudem war er im Radio sehr präsent und ich stand auf die fetten Synth-Klangteppiche und eingängigen Melodien. Das war prägend für meinen heutigen Musikgeschmack, der inzwischen irgendwo zwischen Covenant, VNV Nation und Frontline Assembly hin und her schwankt.

Wobei ich heute noch Fan der „Band“ Radiorama (Aliens, Desire, Vampires…) bin, die dem ganzen Italo-Pop-Gedudel eine leicht düstere Note hinzufügten. Allein für ihren Song „Aliens“ (gesungen: Aaahliens) aus dem Jahre 1987 gebührt ihnen Ehre.

Außerdem war Dan Harrow ne Marke, so eine Art Love-Crash mit Fönfrisur, dem ich mal kurz verfallen war. Hui, da werde ich direkt nostalgisch.

Markus
Markus (@guest_61534)
Antwort an  Hoshy
Vor 1 Jahr

Sorry, aber da muß ich deinen nostalgischen Rückblick entzaubern: Du meinst Den Harrow alias Stefano Zandri, ein italienischer Dressmann, der bei diesem Italo-Disco-Projekt nur die Vorzeige-Marionette auf der Bühne war und keinen Ton selbst gesungen hat, wie er heute selbst zugibt. Den Synthie-Sound hat ein Musiker im Studio ausgetüftelt, die Vocals kamen von vier verschiedenen Sängern.

Das wirklich ganz ungezogene am Projekt Den Harrow war aber nicht, daß es An- und Aufziehpuppen mit Lippensynchronität bereits deutlich vor dem späteren Milli-Vanilli-Skandal gab, sondern vielmehr die Namenswahl:

Den Harrow, in italienisch ausgesprochen, klingt wie denaro = Kohle, Knete und zeigt, worauf man mit diesem „Projekt“ damals aus war. Wird auch in der ArteTV-Doku erklärt. 😉

Letzte Bearbeitung Vor 1 Jahr von Markus
Markus
Markus (@guest_61535)
Vor 1 Jahr

Die ARTE-Doku ist wirklich sehenswert und bringt denen, die das damals live mit erlebt haben eine kleine Zeitreise zurück in die 80er – keine Schülerdisco ohne Italo-Disco. Richtig interessant fand ich die mir ganz neue Info, daß Italo-Disco die Vorlage und Inspiration für den sich später entwickelnden Chicago House war.

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