Eine Frau in der Midlife-Krise hat eine Aff�re mit dem Lehrer ihrer Tochter. Ihre Familie steht dabei unter Beobachtung eines seltsamen Nachbarn. Als ihr Ehemann get�tet wird, werden sowohl der Liebhaber als auch der Sonderling von nebenan verd�chtigt. Charlotte Links 650-Seiten-Bestseller „Der Beobachter“ bietet die Vorlage f�r 90 unterhaltsame Fernsehkrimi-Minuten. Noch etwas mehr Mut zur L�cke w�re in dieser verwickelten Roman-Verfilmung jedoch sinnvoll gewesen, die Psychologie der T�ter-Figur und die Polizei-Ermittler k�nnen nicht �berzeugen. Stark Karoline Eichhorn und Michael Stange, Christiane Paul dagegen wirkt fehlbesetzt. Au�erdem: Manchester und das Umland bieten keine „Steilk�stenromantik“.
Foto: Degeto / Wolfgang AichholzerNach dem Tod ihres Mannes hat Gillian (Karoline Eichhorn) die Polizei im Nacken.
England als Krimi-Kulisse, das funktioniert in Deutschland pr�chtig, wie man zum Beispiel an den Verkaufszahlen der B�cher von Charlotte Link sieht. Jahrelang hatte das ZDF die Fernsehrechte, doch der eher zuckrige Beigeschmack gefiel am Ende auch der hessischen Bestseller-Autorin nicht mehr. Nun versucht sich die Produktionsfirma UFA Fiction im Auftrag der Degeto an den popul�ren Vorlagen. Nach dem Zweiteiler „Das andere Kind“ folgt jetzt mit einigem Abstand die Verfilmung des Romans „Der Beobachter“. Das 650 Seiten starke Buch mit seiner Vielzahl an Figuren auf einen 90-min�tigen Fernsehfilm zu komprimieren, ist keine geringe Herausforderung. Dass die Autoren Stefan Wild und Benjamin Benedict auf einige Nebenfiguren und deren Handlungsstr�nge verzichten, ist nachvollziehbar und den Erfordernissen des Mediums geschuldet. F�r die filmische Adaption w�re eher noch mehr Mut zur L�cke und zur Konzentration auf die Hauptpersonen sinnvoll gewesen.
Foto: Degeto / Wolfgang AichholzerGillian (Karoline Eichhorn) findet Zuflucht bei der besten Freundin (Christiane Paul).
So geht die psychologische Tiefe zugunsten des TV-typischen Wunsches, Krimi-Spannung durch eine Vielzahl an Spuren aufzubauen, etwas verloren. Gleichzeitig verwandelt sich die kalte Winterkulisse aus dem Roman in eine einsame, aber verlockende Landschaft aus gr�nen Wiesen und sanften H�geln. Auch das Szenenbild mit den h�bschen Landh�usern und dem Hausboot des Sportlehrers wirkt etwas herausgeputzt. Doch eher d�stere Gro�stadtbilder aus dem n�chtlichen Manchester verhindern, dass die Atmosph�re in der Inszenierung von Andreas Herzog allzu hell und folkloristisch wird. Charlotte Link freut sich jedenfalls laut Presseheft der ARD dar�ber, dass hier ein „England jenseits aller Steilk�stenromantik“ abgebildet wird. Das stimmt allein schon deshalb, weil hier keine Steilk�sten zu sehen sind.
"Rachethrillermurks im Pilcher-Gewand: Lieblos zerf�llt die haneb�chene Story in unglaubw�rdige Klischeebruchst�cke. Und die groteske Aufl�sung ist wirklich frech." (TV-Spielfilm)
Zur Schmonzette wird die ARD-Degeto-Produktion allerdings auch dadurch nicht, dass die Aff�re von Gillian Ward (Karoline Eichhorn) mit John Burton (Andreas Pietschmann), dem neuen Sportlehrer ihrer Tochter Becky (Georgia Hehir), im Mittelpunkt steht. Eichhorn spielt �berzeugend diese hin und her gerissene Frau in der Midlife-Krise, der die Ehe mit ihrem Mann Tom (Lloyd Owen) zum faden Trott geworden ist. Weniger �berzeugend die Besetzung der Rolle ihrer besten Freundin Tara, einer Staatsanw�ltin, mit Christiane Paul. Die Strenge und K�hle dieser Figur wird �u�erlich �berdeutlich betont, und Christiane Paul scheint sich in dieser Haut nicht wohl zu f�hlen. F�r die unheimlichen Momente sorgt zu Beginn die Titelfigur: Samson Segal (stark: Michael Stange) ist der seltsame Nachbar, der die Familie Ward beobachtet und bei jeder Gelegenheit fotografiert. Was der alleinstehende Mann denkt, h�ren wir aus dem Off – ein reizvoller Kunstgriff, der bei keiner anderen Figur angewandt wird und der Samson wohl erst recht als psychopathischen Stalker erscheinen lassen soll.
Das eigentliche Verbrechen scheint mit all dem jedoch nichts zu tun zu haben: Eine �ltere Dame wird in ihrem Haus ermordet aufgefunden. Das Muster passt zu einem fr�heren Mord. Das Opfer wurde angeschossen, dann gefesselt und mit einem Handtuch erstickt. Erst als mit derselben Waffe auch Tom Ward erschossen wird, werden beide Handlungsstr�nge miteinander verkn�pft. Nun ger�t der zwielichtige Samson ins Visier der Polizei, ebenso wie Sportlehrer John, der einst bei der Polizei war, aber den Dienst wegen eines Vergewaltigungs-Vorwurfs quittiert hatte. Dass sich beide schlie�lich zusammentun, um auf eigene Faust zu ermitteln, ist zwar schwer nachvollziehbar, gibt der Handlung aber im letzten Drittel neuen Schwung. Die Aufl�sung kommt dann – jedenfalls im Film – wie aus heiterem Himmel und ist etwas unbefriedigend. Das Motiv der T�ter-Figur ist zwar nachvollziehbar, die Entwicklung zu einer Person, die Rache �bt und schlie�lich sogar aus Lust t�tet, weniger.
Foto: Degeto / Wolfgang AichholzerDas Ermitteln ist "very british": Inspector Christy McMarrow (Sarah Quintrell) st��t bei ihren Ermittlungen auf ein Puppenhaus, das dem Haus der Wards gleicht.
Bis zu dieser �berraschenden Wende ist der Zuschauer meist einen Schritt weiter als die Polizei. So wei� er l�ngst von Liza Stanford (Helen Latham), einer von ihrem Ehemann misshandelten Frau, die der alten Dame kurz vor dem Mord einen Besuch abgestattet hatte. Auch wird ein zentrales Motiv aus der Vergangenheit, der Missbrauch an einem Kind, bereits in der Eingangsszene als R�ckblende angedeutet. So werden gem�� der Krimi-Konventionen verschiedene F�hrten gelegt, ohne dass die ohnehin wie Fremdk�rper wirkenden Ermittler-Figuren dabei an Profil gewinnen k�nnten. Die Polizei-Rollen um den knurrigen Chef und seine junge, zielstrebige Assistentin sind englischen Schauspielerinnen und Schauspielern vorbehalten. Dieses Kuddelmuddel aus „deutschen Gesichtern“ in England sowie englischen Darstellern, die zwar „very british“ wirken, aber zugleich deutsch synchronisiert werden, bleibt auch bei der zweiten ARD-Verfilmung eines Link-Stoffes eher befremdlich.
Foto: Degeto / Wolfgang AichholzerInspector Peter Fielder (William Houston) verd�chtigt einen seiner Ex-Kollegen.
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.