FDP und ihre Regierungswechsel: Die Umfaller
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FDP und ihre Regierungswechsel: Die Umfaller

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Im Jahr 1982 beendete der Ausstieg der FDP aus der Regierung mit der SPD die sozialliberale Ära. Es war nicht der erste Wechsel der Liberalen. Viele glauben, sie versuchen es gerade wieder.

Berlin – „Der Wirtschaftsminister hat recht“, hieß es in einem internen Vermerk des Finanzministers Manfred Paul Lahnstein. Der SPD-Politiker hatte das Schreiben vor sich liegen, welches Otto Graf Lambsdorff auf Bitten des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD) verfasst hatte. Angesichts der weitgehenden Einigkeit und des Auftrags aus dem Hause eines sozialdemokratischen Kanzlers ist es umso erstaunlicher, dass das sogenannte Lambsdorff-Papier bereits 1982 zur Scheidungsurkunde der sozialliberalen Koalition heraufgestuft wurde.

Doch die Zentrifugalkräfte hatten das kritische Maß bereits überschritten. Die Koalition aus SPD und FDP platzte Anfang der 1980er Jahre – nicht wegen des Nato-Doppelbeschlusses, den hatten die SPD-Mitglieder auf einem Parteitag durchgewunken. Sondern wegen der Wirtschaftspolitik, in der man mit dem Koalitionspartner dann doch massiv über Kreuz lag.

Die Opposition wittert Morgenluft - eine „Scheidungsurkunde“ für die aktuelle Koalition?

Nicht wenige glauben, dass die FDP auch heute mit ihrem Wirtschaftspapier einen ähnlichen Weg wie in den 1980er Jahren einschlägt. Die jüngsten Forderungen der FDP unter ihrem Vorsitzenden Christian Lindner werden von SPD und Grünen wie zu erwarten abgelehnt, doch die Opposition wittert Morgenluft. Das sei die „Scheidungsurkunde“ für die aktuelle Koalition. Doch welche Option hat die FDP, fragen sich viele. Zumindest keine, die der in den 1980er Jahren ähnelt.

Am Ende der sozialliberalen Ära: FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher und Hans Matthöfer.
Am Ende der sozialliberalen Ära: FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher und Hans Matthöfer. © IMAGO/United Archives

Damals hatte Lambsdorff „die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die veränderten Wachstumsmöglichkeiten“ als Leitsatz seiner Schlussfolgerungen formuliert. Anders gesagt: Der wirtschaftspolitische Vordenker der FDP forderte Kürzungen bei den Sozialleistungen. Und das bedeutete konkret: weniger Urlaubsgeld, weniger Arbeitslosengeld, Kürzungen bei den Renten sowie bei den Krankenversicherungen und auch der Sozialhilfe. Bei Lohnerhöhungen sollte von nun an Zurückhaltung geübt werden. Überdies waren in mehreren Bereichen „Liberalisierungen“ angesagt.

Flexiblere Löhne und Arbeitszeiten - Sozialversicherungssysteme waren Schmidt Dorn im Auge

Lahnstein sah es grundsätzlich nicht anders. Auch der Finanzminister trat für flexiblere Löhne und Arbeitszeiten ein. Die Belastungen durch die Sozialversicherungssysteme waren bereits Helmut Schmidt ein Dorn im Auge. Sie waren vor allem unter seinem Vorgänger, Willy Brandt, in die Höhe geschnellt. Doch nun, unter den neuen internationalen Bedingungen, stellten sie ein zunehmendes Problem dar.

Die damalige Regierung unter Schmidt stand unter erheblichem Druck. Mehrere Landtagswahlen waren verloren gegangen. Die Koalition war ins Wanken geraten. Die Schuld lag nicht allein bei den Koalitionären und deren Politik. Vielmehr hatte sich die wirtschaftliche Großwetterlage in den 1970er Jahren erheblich verändert, nicht nur in Deutschland.

Dank Strauß hatten sich SPD und FDP 1980 durchgesetzt - Doch in der Welt rumorte es

Auch dank der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß hatten sich SPD und FDP 1980 noch einmal durchgesetzt. Doch schon wenige Monate nach der erfolgreich bestrittenen Bundestagswahl folgte eine Negativnachricht nach der anderen. Die Welt machte politisch einen wesentlich unstabileren Eindruck als zuvor. Die Spannungen zwischen Ost und West waren stark angewachsen.

Aber auch in anderen Teilen der Welt rumorte es. So führte die islamische Revolution im Iran 1979 zu weltweit steigenden Erdölpreisen. Die Auswirkungen waren bereits im Winter 1980 spürbar, da die Exportnachfrage einbrach, was wirtschaftlich für Deutschland massive Folgen hatte. Zunächst brach das Wachstum ein, die Bundesrepublik taumelte in eine Rezession.

Schieflage im Staatshaushalt in den 1980er Jahren - die Nachfrage stärken oder Steuern senken?

Das hatte auch Folgen für den Arbeitsmarkt. 1981 lag die Arbeitslosenquote bei 5,3 Prozent, 1982 schon bei 7,6 Prozent, nur ein Jahr später waren fast zwei Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen arbeitslos gemeldet, was einer Quote von 9,3 Prozent entsprach. Damit verbunden war ein Einbruch der Steuereinnahmen, was zu einer Schieflage im Staatshaushalt führte. Demgegenüber stand eine enorm gestiegene Sozialleistungsquote, die sich aus dem Verhältnis aller Sozialleistungen zum Sozialprodukt ergibt.

Die Reaktion darauf wurde zur Gretchenfrage: Sollte man die Nachfrage stärken und also mehr Geld ausgeben – wie es die Amerikaner mit ihrer exorbitanten Rüstungspolitik vorgemacht hatten? Oder war der bessere Weg eine angebotsorientierte Politik, mit der man die Unternehmen- und Einkommensteuern senken würde? Darüber geriet der sich gern als Weltökonom gebende Helmut Schmidt mit seinem Koalitionspartner in die Haare.

Eine Rezession durch die Aufhebung des Goldstandards - Erdölembargo ließ Wirtschaft einbrechen

Dabei hatte Schmidt schon zuvor Versuche gestartet, den Anstieg der Sozialleistungen abzubremsen. Denn schon zu Beginn der 1970er Jahre lief diese Politik auf eine höhere Staatsverschuldung hinaus, da die weltpolitische Lage auch die Ökonomie erheblich getroffen hatte. 1981 war die Situation der Bundesrepublik schlimmer als im Jahre 1970. Im Rückblick auf die letzte Dekade hatte das Land bereits eine Rezession erleben müssen, ausgelöst durch die Aufhebung des Goldstandards in Bretton Woods und die Folgen des Jom-Kippur-Krieges. Mit Bretton Woods war das alte internationale Währungssystem zerfallen.

Und das Erdölembargo der arabischen Staaten hatte zur Folge, dass weltweit die Wirtschaftsleistungen einbrechen sollten. Die deutsche Gesellschaft, die bis dahin nur den Aufstieg gekannt hatte mit steigenden Einkommen und wachsendem Wohlstand, sah nun das Ende dieser Leiter. Die Lebensweise war ohnehin schon durch Proteste der 1968er-Bewegung infrage gestellt worden. Nun kamen noch eine galoppierende Inflation, höhere Haushaltsdefizite und eine steigende Arbeitslosigkeit hinzu.

Thatcher und Reagan brachten den Neoliberalismus - die Stimmung unter den Liberalen war gekippt

Dies führte auch in anderen Ländern zu harten Veränderungen. In Großbritannien erklomm Margaret Thatcher das Amt der Premierministerin. Gemeinsam mit Ronald Reagan, der die Wahl zum US-Präsidenten für sich entschied, leitete sie das Zeitalter des Neoliberalismus ein, das auf den Ideen von Wirtschaftswissenschaftlern wie Milton Friedman von der Chicago School beruhte. Die Bundesrepublik kam unter der sozialliberalen Regierung vergleichsweise gut durch die 1970er. Man hatte eine Politik mit Bedacht betrieben. Doch die erneute Rezession zu Beginn der 1980er Jahre sorgte für das Aus der Koalition von SPD und FDP.

Mit der Veröffentlichung des Lambsdorff-Papiers war die Stimmung unter den Liberalen bereits gekippt. Die Mehrheit sprach sich für eine Koalition mit den Christdemokraten aus, die nun unter der Leitung von Helmut Kohl einen erneuten Anlauf aufs Bundeskanzleramt nehmen wollten. Das Lambsdorff-Papier hatte trotz einiger gemeinsamer Positionen die Risse in der Koalition deutlich gemacht. Besonders die massiven Einschnitte hätte die SPD nicht gegenüber der eigenen Wählerschaft durchsetzen können. Davon war die SPD überzeugt.

Schmidt sprach offen über „den Verrat“ der FDP - doch alles Geklapper half nicht mehr

Es kam zu Verhandlungen zwischen dem FDP-Vorsitzenden Genscher und Kohl. Er erschien im Vergleich zum ungestümen Strauß als der Verlässlichere. Helmut Schmidt sprach offen über „den Verrat“ der FDP. Doch alles Geklapper half nicht mehr. Die sozialliberale Ära war an ihr Ende gelangt. Am 1. Oktober 1982 wurde Kohl im Zuge eines konstruktiven Misstrauensvotums mit den Stimmen der Union und der FDP zum Kanzler gewählt.

Wer nun dachte, die geistig-moralische Wende, von der Kohl vor der Wahl gesprochen hatte, würde nun zu einer völlig neuen Politik führen, sah sich getäuscht. Die Pfeiler der sozialliberalen Ära tastete auch er nicht an. (Michael Hesse)

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