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Naven. Eine Übersicht über die Probleme, die sich aus einem aus drei Blickwinkeln zusammengesetzten Bild der Kultur eines Stammes aus Neuguinea ergeben

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Sachliteratur

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Geographie / Länderkunde / Ethnologie

Das 1936 erschienene Buch, das heute als eines der Hauptwerke der ethnologischen Literatur gilt, basiert auf einer 21-monatigen Feldforschung, die Bateson zwischen 1929 und 1933 während zweier Aufenthalte bei den Iatmul in der Sepik-Region des heutigen Papua-Neuguinea durchgeführt hat. Bei dem zweiten dieser Aufenthalte war Bateson mehrfach mit den in der Nähe arbeitenden Reo Fortune und Margaret Mead zu einem intensiven Austausch zusammengetroffen.

Im Mittelpunkt von Naven steht ein gleichnamiger Komplex von Ritualen, mit denen ein Mutterbruder (‚wau‘) die Tatsache zelebriert, dass sein Schwestersohn (‚laua‘) zum ersten Mal bestimmte, für die Welt der erwachsenen Iatmul typische Handlungen vollbracht hat. Diese Rituale können unter anderem Formen von Transvestismus und Homosexualität beinhalten, wenn zum Beispiel der ‚wau‘ in Frauenkleidung auftritt, in grotesker Übertreibung als weiblich geltendes Verhalten imitiert und dem ‚laua‘ sein Gesäß darbietet. Im rituellen Kontext, aber auch im Alltagsleben artikulieren sich laut Bateson kulturspezifische emotionale und kognitive Einstellungen, die durch den Prozess der „Schismogenese“ erlernt bzw. verinnerlicht werden. Mit diesem Begriff, den er zum Teil auf seine Diskussionen mit Fortune und Mead zurückführt, bezeichnet Bateson die wechselseitige Verstärkung von gegensätzlichem oder gleichem Verhalten in der Beziehung zwischen zwei Individuen oder Gruppen: Besteht zum Beispiel in einer Kultur die Erwartung, dass auf Dominanz mit Unterwürfigkeit zu reagieren ist, dann, so Bateson, ist es wahrscheinlich, dass diese Unterwürfigkeit verstärkte Dominanz nach sich zieht und dass die verstärkte Dominanz wiederum noch mehr Unterwürfigkeit evoziert (komplementäre Schismogenese). Nicht um gegensätzliches, sondern um gleiches Verhalten handelt es sich indes, wenn eine Gruppe auf das Prahlen einer anderen Gruppe hin ebenfalls prahlt und dadurch einen Wettstreit des gegenseitigen Übertrumpfens in Gang setzt (symmetrische Schismogenese). In einer Art Selbstregulierung hindert jede der beiden Formen von Schismogenese die jeweils andere daran, zu einer immer größeren Differenzierung und damit letztlich zur Desintegration der Gesellschaft zu führen, so dass ein, wie Bateson schreibt, „dynamisches Gleichgewicht“ aufrechterhalten wird. Dabei verweist der etwas sperrige Untertitel des Buches auf Batesons Absicht, den Prozess der Schismogenese gleichermaßen aus einer kulturellen, einer soziologischen und einer psychologischen Perspektive zu untersuchen.

Naven verbindet Einflüsse des britischen Strukturfunktionalismus und der US-amerikanischen Kultur- und Persönlichkeitsforschung. Ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Ethnologen seiner Zeit versuchte Bateson jedoch, die Entwicklung seiner Schlussfolgerungen Schritt für Schritt transparent zu machen und über das Erklären der ethnographischen Daten auch den Vorgang des Erklärens selbst in den Blick zu nehmen. Dies war in den 1930er Jahren noch völlig unüblich, erscheint aber aus heutiger Sicht ebenso als visionär wie das im Begriff der Schismogenese zum Ausdruck kommende relationale bzw. systemische Denken, das auf anderen Feldern auch Batesons weiteren Forschungsweg bestimmen sollte.

Während Bateson, der seine Arbeit bei den Iatmul als „bruchstückhaft und zusammenhanglos“ bezeichnete, in Bezug auf die Rezeption von Naven von einem „glatten Reinfall“ sprach, behauptete Edmund Leach, dass führende Fachvertreter das Buch durchaus zur Kenntnis genommen hätten. Es sei zwar, so Leach, im Wesentlichen nicht lesbar, enthalte aber genug eigenständige Ideen, um eine ganze Bibliothek zu füllen. In jedem Fall erfreute sich die 1958 von der renommierten Stanford University Press publizierte Neuauflage von Naven einer vergleichsweise größeren Resonanz, aber obwohl Bateson als ein Vordenker der sogenannten Gender Studies bezeichnet wurde und nicht nur die Symbolische Ethnologie im Allgemeinen, sondern auch die auf Melanesien bezogene Forschung von Roy Wagner und Marilyn Strathern im Besonderen beeinflussen sollte, blieb er zeitlebens für viele seiner Kollegen eine eher randständige oder gar verwirrende Figur. Dabei stieß Batesons Kritik an seiner eigenen Feldforschung durchaus auf die Zustimmung späterer Iatmul-Ethnographen: Sie stellten fest, dass die in Naven thematisierten Rituale tatsächlich sehr viel umfassender und flexibler waren und dass die Frauen bei ihnen eine weitaus zentralere Rolle spielten, als Bateson angenommen hatte.