Zwangskollektivierung – was war das eigentlich? – Klaus Peter Krause

Zwangskollektivierung – was war das eigentlich?

Rund 850 000 Bauern in der DDR sind bis 1960 in eine LPG gepresst worden – Elf Autoren dokumentieren und analysieren das einstige Geschehen

Was in der ostdeutschen Landwirtschaft vorgeht, steht nicht gerade im Brennpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. So hat auch eine Fachtagung über die einstige Zwangskollektivierung der DDR-Landwirtschaft nur wenig Beachtung gefunden. Ihr äußerer Anlass war der Abschluss dieser Kollektivierung im Frühjahr 1960, also fünfzig Jahre zuvor, und ihr Veranstaltungsort die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin. Das Thema lautete „50 Jahre Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in Ostdeutschland. Die Folgen der kommunistischen Agrarpolitik als eine aktuelle Herausforderung“. Wer von dieser Tagung nichts oder zu wenig erfuhr, kann die dort gehaltenen Vorträge inzwischen in einem Buch nachlesen. Die elf Beiträge verschiedener Autoren dokumentieren und analysieren, wie es zur Zwangskollektivierung in der damaligen DDR kam, wie sie ablief, welche Folgen sie hatte – und immer noch hat. Im Vorwort heißt es zutreffend: „Erst in dieser Zusammenschau wird die Dimension des Untersuchungsgegenstands richtig erkennbar.“

Verkappter Vorläufer der Kollektivierung – die „Bodenreform“

Ein erster Schritt zur Kollektivierung war 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone bis zur Gründung der DDR 1949 die „demokratische Bodenreform“ gewesen, in Wahrheit eine politische Verfolgung als „Klassenkampf“ gegen die „Junker“ und alle Großlandwirte mit 100 Hektar und darüber. Sie alle wurden verhaftet, verschleppt, zu Tode gebracht, vertrieben oder konnten sich diesem Schicksal Hals über Kopf durch Flucht entziehen, sie alle wurden entschädigungslos von allem enteignet.

Von 1952 an wurden alle in die LPG gepresst

Schon 1947/48 nahmen die kommunistischen Machthaber die Betriebe mit über 20 Hektar ins Visier, um diese „Großbauern“ ebenfalls auszuschalten. So bereiteten sie schon früh den zweiten Schritt zur sozialistischen Landwirtschaft vor: die Kollektivierung schließlich sämtlicher Bauern, die zur Täuschung bis 1952 sogar nachdrücklich dementiert worden war. Dann im Juli 1952 ließen die DDR-Kommunisten das Visier herunter: Sie erklärten die Kollektivierung der gesamten Landwirtschaft zum Staatsziel und unternahmen alles, um die Bauern samt ihren Flächen bis 1960 in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zu pressen, also deren Betriebe aufzulösen und damit faktisch zu enzeignen.

Starker bäuerlicher Widerstand

Einen in dieser Kürze guten Überblick über die Vorgehensweise und das Geschehen bis zum Mauerbau 1961 gibt der Historiker Jens Schöne, der auch Stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin ist. Wie sehr sich die Bauern zur Wehr gesetzt haben und dass 1953 der Aufstand gegen die DDR-Machthaber an erster Stelle von der Landbevölkerung ausging, ist wenig bekannt, findet bei Schöne aber die notwendige historische Würdigung.

Warum die Klein- und Neubauern meist freiwillig mitmachten

Vertiefend dargestellt werden die Methoden der Kollektivierung von dem Soziologen Falco Werkenthin. Dabei erinnert er daran, dass es in der ersten Phase der LPG-Gründungen fast ausschließlich Klein- und Neubauern mit nur 1 bis 10 Hektar waren, die dem SED-Aufruf zur LPG-Gründung folgten. Meist taten sie es – anders als die übrigen – sogar freiwillig, weil sie mit ihren zu kleinen Betrieben wirtschaftlich zu schwach waren. Eben deswegen hatten die Neubauern (Vertriebene aus dem deutschen Osten und Landarbeiter) bei der Landzuteilung im Zuge der „Bodenreform“ hinterhältig nur 7 bis 9 Hektar erhalten; absichtsvoll sollten ihre Betriebe lebensfähig gar nicht sein, sondern sie für die schon damals geplante Kollektivierung leichter sturmreif machen. Widerstand jedoch leisteten die Mittelbauern (10 bis 20 Hektar) und die Großbauern (20 bis 100 Hektar). Er setzte sich auch noch einige Jahre nach dem Mauerbau fort, wurde aber mit drastischen Haftstrafen brutal niedergedrückt.

Die aus Verzweiflung vielen bäuerlichen Selbstmorde

Im engen Zusammenhang mit dem Auflehnen gegen die Zwangskollektivierung steht der Beitrag des Historikers Udo Grashoff (Universität Leipzig) über die bäuerlichen Selbstmorde als verzweifelte Reaktion auf die Ausweglosigkeit, dieser Kollektivierung zu entrinnen. Genaue Zahlen darüber, wie viele sich selbst umgebracht haben, gibt es allerdings nicht. Aber die Indizien sprechen dafür, wie Grashoff schreibt, dass es mehrere hundert Bauern waren, die sich das Leben nahmen, weil sie ihre Höfe verloren. Der SED-Machtapparat habe diese Opfer des „Klassenkampfes auf dem Lande“ billigend in Kauf genommen und versucht, sie als krank und geistig gestört hinzustellen oder ihnen private Konflikte unterzuschieben. Solche hat es zwar ebenfalls gegeben, aber in der Regel waren sie verzweifelt über den Verlust der Selbständigkeit.

Der Terror von Agitatoren, Volkspolizei und Stasi

Um sie gefügig zu machen, wurde ihnen der Zugang zu Maschinen erschwert, der Verkauf von Zuchtvieh und die Saatgutvermehrung behindert, nichterfüllbare Auflagen für Produktablieferungen gemacht und ihnen mit absurden Gerichtsprozessen und Haftstrafen zugesetzt. Werbekolonnen belagerten ihre Höfe, strahlten diese nachts mit Scheinwerfern an oder dröhnten sie mit Lautsprechern zu. Diesem psychischen und physischen Terror tausender Agitatoren, von Volkspolizei und Stasi und der Willkür staatlicher Macht und der weisungsgebundenen Justiz waren die Bauern auf die Dauer nicht gewachsen. Die „Vollkollektivierung“ der DDR-Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild verkündete SED-Parteichef Walter Ulbricht am 25. April 1960. Rund 850 000 Bauern sind mit ihrem Agrar- und Forstland in die LPG-Kollektive gepresst worden.

Die „roten Barone“ sind wieder obenauf

Wirtschaftlich, sozial, kulturell und für das Landschaftsbild wurde damit eine Veränderung in Gang gesetzt, die katastrophale Folgen hatte und immer noch hat. Mit diesen bis in die Gegenwart weitreichenden Folgen befasst sich der Privatdozent und Landwirt Jörg Gerke in seinem Beitrag über die Auswirkungen der DDR-Agrarstrukturen auf Landwirtschaft und ländliche Regionen in Ostdeutschland nach 1990. Hier prangert er unter anderem die Subventionierung der agrarischen Großbetriebe an. Es sind umgewandelte LPG, die sich listenreich die einstigen DDR-Agrarkader angeeignet haben. Diese „roten Barone“ sind weiterhin einflussreich und mächtig. Sie baden in den Subventionen und sonnen sich in der Unterstützung der politischen Führung und des Deutschen Bauernverbandes. Ausführlicher hat Gerke das schon in seinem Buch „Nehmt und euch wird gegeben“ getan (siehe https://kpkrause.de/?p=622 )

Flächenproduktivität der Großen weit unter dem Durchschnitt

Der Beitrag des Geographen Helmut Klüter, Professor an der Universität Greifswald, stellt die wirtschaftlich und sozial schädliche Großbetriebsstruktur der ostdeutschen Landwirtschaft heraus, besonders die in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Flächenproduktivität liege weit unter dem deutschen Durchschnitt. Extrem sind auch die von Klüter zwischen Ost und West festgestellten Unterschiede bei den Investitionen je Hektar. Trotz aller Fördermaßnahmen mit der Wiedervereinigung sei die Flächenintensität der Investitionen in der ostdeutschen Agrarwirtschaft weit unterdurchschnittlich. In Ostdeutschland gebe es zu wenig von den im Westen üblichen Haupt- und Neben erwerbsbetrieben. Flexible, über die Dorfbevölkerung mit anderen Wirtschaftsbereichen verknüpfte Nebenerwerbsbetriebe seien im Vergleich zum Westen völlig unterrepräsentiert.

Die schädliche Großbetriebsstruktur

In Mecklenburg-Vorpommern gleicht die Besitzstruktur, wie Klüter hervorhebt, einer spätfeudalen umgestülpten Pyramide. Für die regionale Wirtschaft sei sie schädlich. Wohl seien die Gewinne dieser Großbetriebe hoch, aber nur, weil sich mit solchen Betrieben die EU-Subventionen „optimieren“ ließen: „Nicht der Gewinn aus der direkten landwirtschaftlichen Produktion, sondern die Mitnahmeeffekte stimulieren die Betriebsgröße.“ Die Gewinne stiegen zwar, nicht aber die Bruttowertschöpfung. Die hohen betriebswirtschaftlichen Gewinnmargen hätten wenig mit landwirtschaftlicher Produktivität, umso mehr aber mit erfolgreicher Lobbyarbeit, Bevorzugung durch die staatliche BVVG mit Agrarflächen und Subventionierungseffekten zu tun. Die großbetriebliche Monostruktur sei nicht mehr in der Lage, in den ländlichen Raum ausreichendes Wachstum zu tragen.

„Ein Großgrundbesitz wie noch nie in der deutschen Geschichte“

Daniela Münkel schildert den Abschluss der Kollektivierung im Spiegel der Stasi-Berichte an die SED-Führung. Sie ist Projektleiterin beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin. Der Biologe Hans Dieter Knapp beschreibt die Auswirkungen der Kollektivierung auf ostdeutsche Kulturlandschaften. Die agrarische Kulturlandschaft sei zum agrar-industriellem Produktionsraum geworden. Der Sozialwissenschaftler Uwe Bastian befasst sich mit den Folgen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes von 1991/92 am Beispiel des Peenelandes. Mit diesem Gesetz konnten die LPG-Mitglieder ihre Familienbetriebe wiederherstellen – theoretisch. Doch konnten sich die bisherigen LPG auch umwandeln in Kapitalgesellschaften wie GmbH, GmbH & Co. KG, Aktiengesellschaft oder eingetragene Genossenschaft. Aber die LPG-Kader tricksten die unkundig gehaltenen Mitglieder aus und eigneten sich das Land selbst an. So kam es, dass heute über 1600 Agrarunternehmen überwiegend den einstigen SED-Kadern gehören. Bastian: „In der Geschichte Deutschlands gab es noch nie einen derartigen Großgrundbesitz.“

Die meisten der Landbevölkerung sind die Verlierer

Jörg Gerke konstatiert, die große Mehrheit der ostdeutschen Landbevölkerung gehöre nach der Wiedervereinigung anders als die DDR-Agrarkader zu den Verlierern. Rund 1,5 Millionen Betroffene und Familienangehörige seien rechtswidrig um ihre Vermögensteile an der LPG zugunsten einer kleinen Minderheit gebracht worden. Mehrere zehntausend wiedergründungswillige Bauern hätten keine Betriebe oder nur Nebenerwerbsbetriebe aufbauen können, weil ihnen der Zugang zu den Flächen verwehrt worden sei.

Die Schieflage kein öffentlich behandeltes Thema

In ihrem Vorwort schreiben die Herausgeber, es gebe „in Deutschland wohl kaum einen Ost-West-Unterschied, der so nachhaltig von den Folgen der kommunistischen Diktatur geprägt ist wie die durch die verschiedenen Agrarstrukturen bedingten gegenläufigen Entwicklungen in den ländlichen Räumen West- und Ostdeutschlands. Und es gibt wohl nur wenige Themen, bei denen das Missverhältnis zwischen der Dimension der Problemlage und der öffentlichen Aufmerksamkeit so groß ist wie auf dem Feld der historischen und der aktuellen Landwirtschaftssituation in Ostdeutschland.“ Oder weniger umständlich ausgedrückt: Die politische, wirtschaftliche und soziale Schieflage in der „ostdeutschen“ Landwirtschaft ist gewaltig, aber ein dem angemessen öffentlich behandeltes Thema ist sie nicht. Gerke klagt die Medien deswegen an.

Michael Beleites, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringsdorf, Robert Grünbaum (Hrsg.): Klassenkampf gegen die Bauern. Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute. Metropol Verlag 2010, Berlin. 167 Seiten. 16 Euro.

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