Entstehung und biografische Bezüge | Der Tod in Venedig

Entstehung und biografische Bezüge

Die tragische Novelle

Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig zählt zu den bekanntesten und meistgelesenen Werken der deutschen Literatur. Der Dichter arbeitete ein Jahr lang an der Novelle (1911-1912), die dann zunächst in zwei Teilen in der „Neuen Rundschau“ abgedruckt wurde. Außerdem wurde sie als Buch in einer kleinen Auflage vom Hyperionverlag in München veröffentlicht, bevor sie im Februar 1913 bei S. Fischer, dem Stammverlag Thomas Manns, erschien.

Zu dieser Zeit war Thomas Mann nach der Publizierung seines ersten Romans „Die Buddenbrooks“ (1901) bereits ein berühmter und erfolgreicher Schriftsteller. Ursprünglich wollte der Dichter in seinem neuen Werk die späte leidenschaftliche Beziehung des 70-jährigen Johann Wolfgang von Goethe zu der erst 16-jährigen Ulrike von Levetzow in Marienbad erzählen. Stattdessen entschied er sich für die Darstellung des alternden Schriftstellers Gustav Aschenbach und seiner unerfüllten Leidenschaft für den Knaben Tadzio.

Ferien am Lido

Sowohl der Schauplatz der Novelle als auch der größte Teil der darin vorkommenden Figuren haben ihren Ursprung im realen Umfeld des Schriftstellers: Ende Mai 1901 fährt Mann mit seiner Familie zu einem einwöchigen Ferienaufenthalt in ein Luxushotel am Lido von Venedig.

Während des Urlaubs erfährt der Dichter über die Zeitung vom Tod des Komponisten Gustav Mahler. Ein Foto des Musikers inspiriert Mann zur Gestaltung seines Hauptprotagonisten Gustav Aschenbach, der auch den Vornamen des Komponisten erhält (vgl. Kapitel „Charakterisierungen“).

Der schöne Knabe Tadzio hat ein historisches Vorbild in dem damals dreizehnjährigen bildhübschen Wladyslaw Moes, welcher zur gleichen Zeit wie Thomas Mann mit seiner Familie, der Baronin Moes und ihren drei Töchtern im Grand Hotel des Bains am Lido seinen Urlaub verbrachte. Er trug damals die in der Novelle beschriebene Kleidung. Auch Tadzios Spielgefährte gehörte zu den zwei polnischen Familien, die sich im Hotel aufhielten. Sein richtiger Name war Jan Fudakoski. Er konnte selbst später bestätigen, dass er in der Tat „Jaschu“ oder „Jaschiu“ gerufen wurde, was an dem Strand vom Autor verstanden wurde.[1]

Thomas Mann selbst verweist darauf, dass er viele der Figuren und Ereignisse der Novelle nicht erfunden, sondern der Wirklichkeit entnommen hat: Der Wanderer am Münchner Nordfriedhof, das Polesaner Schiff, der greise Geck, der Gondoliere und auch der Mitarbeiter im Reisebüro sind Dinge und Personen, denen der Schriftsteller selbst begegnet ist.[2]  Auch der Ausbruch der Cholera in Venedig ist historisch belegt: Die Familie Mann musste ihren Ferienaufenthalt nach einer Woche abbrechen, da die Epidemie bereits zahlreiche Opfer gefordert hatte.3

Die Choleraepidemie und die Haltung der venezianischen Behörden waren tatsächliche Ereignisse, mit denen Thomas Mann in seiner Zeit konfrontiert wurde.  Nachdem im August 1892 in Hamburg eine Cholera-Epidemie ausgebrochen war, versuchte zunächst der Senat, vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen die Angelegenheit zu vertuschen. Die Ausbreitung der Cholera wurde durch verunreinigtes Elbwasser, das ungefiltert als Trinkwasser verwendet wurde, hervorgerufen.

Alltag des Schriftstellers

Neben Manns privatem Aufenthalt in Venedig und seinen Bekanntschaften zu einigen der Novellenfiguren gibt es weitere Parallelen zur Biografie des Schriftstellers. Ähnlich wie sein Protagonist Gustav Aschenbach führte auch Thomas Mann ein sehr geregeltes und diszipliniertes Leben. Jeden Morgen widmete er sich einige Stunden dem Schreiben und hatte ähnlich wie Aschenbach noch viele Ideen, die er verwirklichen wollte.

Wie Aschenbach war auch Thomas Mann ein fleißiger und berühmter Schriftsteller. Wie er beschrieb er in seinen Werken die Gegensätze von Kunst und Leben, wie er fühlte er sich sein Leben lang einsam, obwohl er eine Frau und sechs Kinder hatte.

Ebenso wie die Hauptfigur der Novelle hat auch Thomas Mann sich mit der Biografie von Friedrich von Preußen beschäftigt und über ihn geschrieben (S. 18). Außerdem plante der Schriftsteller, einen Roman mit dem Titel „Maja“ sowie eine Erzählung „Ein Elender“ zu schreiben. Beide Werke kamen nicht zustande, Aschenbach hingegen hat sie veröffentlicht (ebd.).

Kunst und Ästhetik

Thomas Mann hat sich zeit seines Lebens für Kunst interessiert und sich vor allem auch theoretisch in seinen Werken mit ihr beschäftigt. Gustav Aschenbachs künstlerische Studien haben sich sogar in seinem Aussehen niedergeschlagen: „(…) und doch war die Kunst es gewesen, die hier jene physiognomische Durchbildung übernommen hatte, (…)“ (S. 30).

Sowohl Thomas Mann als auch sein Protagonist bewerten die Kunst als eine große Bereicherung ihres Lebens: „Auch persönlich genommen ist ja die Kunst ein erhöhtes Leben. Sie beglückt tiefer, sie verzehrt rascher“ (ebd.). Zudem enthält die Novelle auch Hinweise auf bedeutende Werke der bildenden Kunst.

Gustav Aschenbach erwähnt die Figur des christlichen Märtyrers Sebastian als „das schönste Sinnbild (…) der Kunst“ (S. 24), da sie die „Haltung im Schicksal“ und „Anmut in der Qual“ (ebd.) darstellt. Thomas Mann hatte in seiner Stockholmer Nobelpreisrede die Figur der Sebastian-Gestalt als seine Lieblingsfigur der bildhauerischen Werke bezeichnet.

Homoerotik

Die Hauptfigur der Novelle Der Tod in Venedig, Gustav Aschenbach, offenbart mit ihrer Verliebtheit in den Knaben Tadzio eine homoerotische Neigung. Auch der Autor Thomas Mann fühlte sich zeit seines Lebens zu Männern hingezogen, was Eintragungen seiner späten Tagebücher offenbaren.[3] Eine Äußerung seiner Ehefrau Katia verdeutlicht, wie der 36-jährige Thomas Mann seine eigenen Empfindungen dem Protagonisten seiner Erzählung zuschreibt. Während des Aufenthalts der Familie Mann im Hotel-des-Bains am Lido von Venedig beobachtete Katia Mann „diese polnische Familie die genauso aussah, wie mein Mann sie geschildert hat (…)“[4]

Die Ehefrau Thomas Manns erinnert sich außerdem noch gut an den „sehr reizenden, bildhübschen, etwa dreizehnjährigen Knaben, der (…) meinem Mann sehr in die Augen stach. Er hatte sofort ein Faible für diesen Jungen, er gefiel ihm über die Maßen, und er hat ihn auch immer am Strand mit seinen Kameraden beobachtet.“[5]

 


[1] „Der Zauberer: Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann”, Band 2, Fischer Verlag, Peter de Mendelssohn

[2] Katia Mann, Meine ungeschriebenen Memoiren, Fischer Verlag

[3] www.zeit.de/1982/49/doppelleben-eines-einzelgaengers

[4] Katia Mann, Meine ungeschriebenen Memoiren, Fischer Verlag

[5] Ebd., S. 40