Interview | Fallschirmsport-Unfälle - "Unerfahrene Springer reagieren da manchmal mit Panik"

Mo 20.05.24 | 11:43 Uhr
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Ein Fallschirmspringer kurz nach dem Absprung aus einem Flugzeug. (Quelle: privat)
Bild: privat

In Brandenburg haben sich am Himmelfahrtstag zwei schwere Flugsportler-Unfälle ereignet. Warum die Beteiligten abgestürzt sind, ist noch unklar. Ein Fallschirmsport-Lehrer erklärt, was beim Springen trotz Sicherheitsvorkehrungen schief gehen kann.

Ein 45-jähriger Fallschirmspringer kommt am Himmelfahrtstag schwer verletzt in ein Krankenhaus, nachdem ihm beim Landen auf dem Flugplatz Cottbus/Neuhausen ein Manöver missglückt. Auf einem anderen Cottbuser Flugplatz faltet sich am selben Tag der Flugschirm eines 25 Jahre alten Paragliders kurz nach dem Start zusammen. Der Mann stürzt aus etwa 20 Metern zu Boden und kommt scher verletzt in eine Klinik. Wie kann es im Flugsport zu solchen Unfällen kommen?

Zur Person

Fallschirmsprung-Lehrer Axel Bachert nach der Landung. (Quelle: privat)
privat

Fallschirmsport - Axel Bachert

Der 62-Jährige Bachert ist Fallschirmsportlehrer an der DeSi-Akademie mit Standort in Brandenburg/Dallgow-Döberitz. Er trainiert ausgebildete und lizenzierte Fallschirmspringer im Bereich Schau und Öffentlichkeitsarbeit und arbeitet auch international. Bachert ist seit 1985 in diesem Sport tätig und hat mehr als 7.300 Fallschirmsprünge absolviert.

Herr Bachert, am Himmelfahrtstag haben sich in der Nähe von Cottbus zwei Unfälle ereignet, ein Paraglider und ein Fallschirmspringer haben sich schwer verletzt. Über die Gründe ist noch nicht viel bekannt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Meldung gelesen haben?

Axel Bachert: Wir kennen über diese Fälle keine Details, aber wahrscheinlich waren die Unfälle vermeidbar. Welche Ursache genau dahinter steht, das wird jetzt von Gutachtern ermittelt. Wenn sich auf unserem Trainingsflugplatz ein Unfall ereignet, ist das jedes Mal ein Schock. Wir stellen uns dann jedes Mal die Frage: Was können wir verbessern, was machen wir zukünftig anders?

Auf Sicherheitsfachtagungen werten Verbände, die Industrie, Berufsfallschirmspringer aus dem Militär, die Polizei und Unfallgutachter aus, was bei Unfällen schiefgelaufen ist. Dabei zeigt sich, dass Unfälle fast immer auf menschliche Fehler zurückzuführen sind. Springer, die sich überschätzen, die riskante Manöver ausprobieren, physisch oder psychisch nicht fit genug in das Flugzeug steigen, kurzum, die sich aus irgendwelchen Gründen nicht so verhalten, wie wir es in der Ausbildung vermitteln.

Jeder Fallschirmsprung muss in Deutschland dokumentiert werden – genauso jeder Zwischenfall. Sie haben in Ihrer Fallschirm-Karriere mehr als 7.300 Sprünge absolviert. Wie viele außergewöhnliche Vorkommnisse mussten Sie melden?

Bei mir kam es in 40 Jahren in diesem Sport achtmal vor, dass ich den Reserveschirm auslösen musste. Die Abbremsungen in der Luft mit dem Öffnungen der Reserveschirme sind sehr hart, weil die Schirme schon nach ein bis zwei Sekunden voll entfaltet sind. Das starke Abbremsen ist schon ziemlich unangenehm, weil es bei einer sehr hohen Freifallgeschwindigkeit von rund 180 km/h passiert. Ich war in den Momenten froh, dass ich mich auf die Fallschirmtechniker verlassen konnte, die die Ausrüstung regelmäßig warten und kontrollieren. Der Fallschirmsport lebt ja von internationalen Standards und vielen Fachleuten, nicht nur denen, die in die Flieger steigen.

Können Sie einen Fall schildern, in dem Sie den Reserveschirm nutzen mussten?

Ich habe mir als junger Fallschirmsportler mit rund 100 Absprüngen Erfahrung eine gebrauchte Fallschirmausrüstung gekauft. Der Hauptfallschirm war für mich unbekannt und trotzdem war ich bei der Packeinweisung etwas unaufmerksam und hatte nicht nachgefragt an Stellen, die eigentlich missverständlich waren. Nach dem Motto: Das klappt schon.

Normalerweise ist es so, dass ein Fallschirm wegen seiner speziellen Bauart immer das Bedürfnis hat, im freien Fall aufzugehen. Bei meinem Schirm gab es eine leichte Verdrehung der Leinen. Das heißt, dass der Schirm sich erst ein- bis zweimal in der Luft drehen musste, bevor er eine normale Fahrt vorwärts gemacht hat. Ich habe zwar andere erfahrene Fallschirmspringer nach den Gründen gefragt, aber da hieß es, dass es eventuell an einer falschen Körperhaltung beim Öffnungsvorgang lag.

Nach meinem Absprung öffnete ich dann nach einem toll verlaufenden Freifall am Anfang wie immer den Hauptschirm. Kurz nach dem Öffnungsvorgang hatte ich eine komplette Fangleinenverdrehung und der Schirm drehte sich so sehr ein, dass er nicht mehr steuer- oder bremsbar war. Hinzu kam dann eine Rotationsbewegung. Man kann sich das vorstellen wie in einem Kettenkarussel, nur ohne Glückshormone. Mir war dann aber relativ schnell klar, dass sich diese Situation bis zur Landung nicht lösen lässt. Deshalb habe ich den Hauptschirm abgetrennt und den Reserveschirm ausgelöst.

Und der Reserveschirm war richtig gepackt?

Genau, ein Reserveschirm darf ausschließlich von ausgebildeten und geprüften Fallschirmtechnikern gepackt werden. Während ich einen Hauptfallschirm durchaus entspannt in circa zehn Minuten packe, dauert das bei einem Reservefallschirm bei gleicher Bauart und Größe bis zu zwei Stunden. Der Reserveschirm öffnete sich sehr schnell und ich konnte unbeschadet landen.

Ist das ein Bestandteil der Ausbildung für Fallschirmsportler?

In der Ausbildung beschäftigen wir uns eingehend mit dem Thema "Verhalten in besonderen Fällen". Alle möglichen Szenarien in der Luft werden durchgespielt, Lösungsansätze gewissermaßen drillartig trainiert. Nur die ständige Wiederholung und Auffrischung der möglichen Ereignisse beim Fallschirmsport sorgt dafür, dass Springer in besonderen Fällen den richtigen Ablauf einhalten.

Ich erkenne, dass ich ein Problem habe. Ich erkenne, um welches Problem es sich handelt und muss entscheiden, ob ich die Situation lösen kann, ohne dass ich den Reservefallschirm auslösen muss. Die Entscheidung muss in wenigen Sekunden bei maximal ein bis zwei Lösungsversuchen fallen. Sollte die Entscheidung für das Auslösen des Reservefallschirmes fallen, muss ich sofort meinen Hauptschirm trennen und umgehend den Reservefallschirm auslösen. Das muss nacheinander geschehen - und niemals zeitgleich.

Sie kennen die Unfallstatistiken der vergangenen Jahre gut, welches sind häufigsten Unfallursachen im Fallschirmsport?

Die meisten Unfälle passieren beim Landevorgang, weil Fehler gemacht worden sind. Die Fehler können aber sehr unterschiedliche Gründe haben. Dass der Springer unkonzentriert ist oder sich überschätzt und dabei noch wenig Erfahrung hat oder gar eine sehr lange Pause in diesem Sport eingelegt hat.

Manchmal sind ruckartige, hastige Steuerbewegungen in Erdbodennähe der Grund, wenn etwa die Springenden unbedingt an einem ganz bestimmten Punkt landen wollten. Wenn ich mich da verschätze und eine zu starke Lenkbewegung mache, kann der Schirm nicht mehr ausreichend bremsen. Und wenn ich mit 80 oder mehr km/h auf dem Boden aufschlage, habe ich kaum eine Chance, das zu überleben.

Man sollte aber auch erwähnen, dass es in der Praxis extrem selten zu Unfällen kommt. Die Unfallquote liegt weit im unteren Promillebereich.

Muss ich als Fallschirmspringer bestimmte Voraussetzungen erfüllen?

Eine Lizenz brauchen Sie dafür jedenfalls erstmal nicht. Sie brauchen ein Attest, dass sie weder körperlich noch psychisch so eingeschränkt sind, dass ein Sprung nicht infrage kommt. Sie müssen einen bestandenen Sehtest vorweisen und sie sollten kein Drogenproblem oder Herzprobleme haben. Dann können sie in der Regel eine Freigabe bekommen und eine Lizenz erwerben.

Ohne eine solche Lizenz sind die Möglichkeiten zum Springen schon relativ eingeschränkt, da der Springer immer einen Schülerstatus behalten wird. Da muss dann immer eine ausgebildete Lehrkraft dabei sein, die ein Auge auf den Springenden hat. Für mich wäre es keine Option, so unflexibel zu sein, ich würde auf jeden Fall eine Ausbildung empfehlen.

Wie läuft so eine Ausbildung ab?

Man macht mindestens 23 Sprünge und muss im theoretischen Teil sieben Fächer abdecken: Meteorologie, Luftrecht, Technik, Verhalten in besonderen Fällen, Aerodynamik, menschliches Leistungsvermögen und Freifall. Dann folgt eine schriftliche und eine praktische Prüfung bei einem bestellten Prüfungsrat. Der DFV [Deutscher Fallschirmsportverband] ist als Fachverband vom Bundesinnenministerium beauftragt, bestimmt die Lehrinhalte und überwacht die Durchführung der Prüfungen.

Bis zum Ende der 80er Jahre gab es eigentlich nur die konventionelle Ausbildung. Da ist man aus 800 bis 1.000 Metern mit einer Aufziehleine am Flugzeug gesprungen und der Schirm hat sich dabei nach wenigen Metern geöffnet. Die heute deutlich verbreitete Ausbildung ist die beschleunigte Freifall-Ausbildung [AFF - Accelerated Freefall]. Die Schülerinnen und Schüler springen direkt aus 4.000 Meter Höhe, zusammen mit zwei Lehrern in den freien Fall.

Wenn ich als Schüler dann stabil in einer sogenannten X-Haltung bäuchlings in der Luft liege, werden mich die Lehrer dann auch loslassen. Dann wird mit Handzeichen gearbeitet und die Lehrer prüfen, ob der Schüler den Höhenmesser am Handgelenk ablesen, oder Blickkontakt zu den Lehrern halten und auf Zeichen reagieren kann.

Dann halten Lehrer und Schüler sich nur mit den Händen fest? Was, wenn der Griff sich einmal löst und unerfahrene Schüler alleine in der Luft sind?

Alle Schüler und Schülerinnen, die in ein Flugzeug steigen, wissen eigentlich, was sie beim Springen zu tun haben. Trotzdem kann es theoretisch sein, dass sie nicht richtig reagieren. Dafür sind die Lehrer besonders ausbildet und werden den Schüler in jedem Fall wieder "einfangen". Darüber hinaus ist in jeder Fallschirmausrüstung mittlerweile verpflichtend ein sogenannter Öffnungsautomat verbaut. Das Gerät erkennt, ob jemand mit Freifallgeschwindigkeit eine gewisse Höhe unterschreitet. Dann wird der Reserveschirm automatisch ausgelöst. So werden schwerere Unfälle im Zweifel verhindert.

In Sozialen Netzwerken gibt es Videos, in denen Menschen mit dem Fallschirm relativ riskante Manöver fliegen. Wie gehen Sie um mit Schülern, die mehr als den normalen Fallschirm-Kick wollen?

Die sozialen Medien sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits lässt sich mit Bildern und Videos super zeigen, was das Faszinierende am Fallschirmspringen ist. Andererseits ist klar, dass solche Videos auch eine risikobereite Klientel anlocken können. In dem Moment, in dem ich so wie mein Ausbildungsteam jemanden betreue, merke ich, ob jemand die Sicherheitsaspekte ernst nimmt. Unser komplettes Lehrpersonal hat da ein Auge drauf. Wenn wir das Gefühl haben, dass jemand die Vorgaben nicht berücksichtigt, dann werden keine Sprünge durchgeführt.

Herr Bachert, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Roberto Jurkschat

15 Kommentare

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  1. 15.

    Nun, so betrachtet können Sie von jeder Sportart sagen, dass sie unnötig ist. Jegliche sportliche Betätigung beruht schließlich auf einer freiwilligen Entscheidung.

    Gruß
    Navan

  2. 14.

    Die Kommentare derer mit gefährlichem Halb - bzw. Unwissen ist schon erschreckend. Denen empfehle ich, sich auf den entsprechenden Webseiten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen umzusehen und sich mal richtig zu informieren, anstatt hier mit wirren Scheinargumenten hier als "Fachgleute" auftreten zu wollen. Ich fliege seit meinem 14. Lebensjahr ohne Unfälle und Verletzungen, habe auch in meinem direkten Umfeld nur eine außerplanmäßige Sicherheitsaußenlandung miterlebt. Ja, ich habe eine Schulkameradin durch einen bis heute ungeklärten Unfall, bei der auch der Pilot (Motortrike) zu Tode kam, verloren, aber deshalb sind Fliegerei und Fallsachirmspringen nicht gefährlicher als Auto- Motorradfahren, Fußball oder andere Leistungs- oder Klettersportarten. Ich habe manchmal mehr Angst auf dem Moppet als im Flieger. Auf der Straße sind bedeutend mehr Idioten unterwegs. Die Fahrt zum, Flugplatz ist weitaus gefährlicher als unser Hobby im Allgemeinen und Fehler sind immer individuell.

  3. 13.

    Fast noch schlimmer könnte Heißluftballonfliegen sein, wenn das Wind sich in Richtung Wasser dreht und nach oben..

    Es gibt doch sichere Sportarten etwa Langsamrad (oder besser Dreirad) fahren.

  4. 12.

    Es hat eben alles seinen Preis.

  5. 11.

    Beim Freifall liegt das Ex-Risiko bei 0,0013 Prozent, beim Tandemhosper 0,0004 Prozent. Die Gefahr eines Unfalls überhaupt liegt bei 0,026 Prozent. Fußball hat mit das höchste Verletzungsrisiko. Fallschirmspringen ist noch nicht mal unter den "Top Ten" - glücklicherweise - erfordert aber eine hohe Selbstdisziplin. Man nur diesen einen Versuch - der lohnt jede Sekunde.

  6. 10.

    Doch doch, es gab schon viele Tote durch Fallschirmsprünge! Mal recherchieren.

  7. 8.

    Ich glaube die ungefährlichste Sportart ist Schach, oder?
    Nun gut, da kann man sich den Kopf bei zerbrechen.

  8. 6.

    Alles in allem scheint es sich aber um einen sicheren Sport zu handeln!
    Ich habe noch nie gehört, dass sich jemand beschwert hätte, dass seine beiden Fall- oder Gleitschirme sich nicht geöffnet hätten.
    Und im Gegensatz zum Sporttauchen, wo ab und zu mal ein Sportler nicht mehr auftaucht, ist beim Fallschirmspringen bisher noch keiner obengeblieben...

  9. 5.

    Naja! Für unbeteiligte am Boden hält sich das Risiko wohl sehr in Grenzen. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, dass ein Fallschirmspringer einem unbeteiligten beim Wurstessen auf den Kopp geknallt ist ;-)

  10. 4.

    Gibt es eigentlich auch ein Sicherheitssystem gegen das vergessen des Fallschirms? Ich glaube, mir könnte soetwas passieren,
    man denkt an alles und vergisst dabei das wichtigste … Vielleicht ein Hinweisschild an der Flugzeugtür oder so

  11. 3.

    Man liest es tgl das ein Fallschirmspringer in Menschenmassen gesprungen ist und für 100 Verletzte gesorgt hat

  12. 2.

    Wenn sie so an diese Sachen angehen, dann sollten Sie vor allem das Hunde ausführen verbieten. Das ist für unbeteiligte weit gefährlicher!

  13. 1.

    Doch wieder ein Sport der recht gefährlich auch für unbeteiligte (etwa am Boden)und ziemlich unnöthig ist.

    Etwa wie Motorrennen, Pferdesport (verletzte Pferden werden oft gleich ins Jenseits gefördert) und etliche mehr.

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