FILMANALYSEN / 2001: Odyssee im Weltraum

2001: Odyssee im Weltraum

2001: A Space Odyssey

Stanlay Kubrick, USA/GB 1968

Kubrick lässt gleich zu Beginn von 2001 keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich den ganz großen Themen widmet. Pathetischer kann kein Film beginnen: In einer Ouvertüre zu den Klängen von György Ligetis Athmosphères mutet er dem Zuschauer drei Minuten eine schwarze Leinwand zu, ehe zu Richard Strauss‘ Also sprach Zarathustra Sonne, Mond und Erde in Konjunktion stehen und über diese majestätisch wirkende, achsensymmetrische Einstellung der Filmtitel eingeblendet wird. Über einer weiteren ruhenden Einstellung wird dann ein nicht minder pompöser Satz eingeblendet: The Dawn of Man. Ähnlich gravitätisch beginnen sonst nur Filme wie Ben Hur oder Die 10 Gebote. Ein Hinweis, dass hier ähnliche Themen verhandelt werden.

Ein pompöser Beginn: Nach drei Minuten schwarzer Leinwand stehen Mond, Erde und Sonne in Konjunktion untermalt von Richard Strauss‘ Also sprach Zarathustra. Dann die Titeleinblendung.
The Dawn of Man. Das geballte Pathos in Bildersprache und Zwischentiteln lässt keinen Zweifel aufkommen: Hier geht es um die ganz großen Themen.

Im ersten Teil erzählt der Film die Menschwerdung des Affen, vermittelt über einen schwarzen Monolithen, der eines Morgens vor der Affenhöhle steht. Die Tiere sind verängstigt und aufgeregt, schließlich berühren sie den Monolithen ehrfürchtig, Sonne und Mond treten lotrecht über dem Monolithen in Konjunktion zur Erde. Die von nun an mit Vernunft begabten Primaten erlernen den Werkzeuggebrauch: Sie nehmen Knochen, um Beutetiere und Artgenossen zu erschlagen. Als der nach dem Mord in Luft geschleuderte Knochen bereits wieder herabfällt, wird er über den vielleicht berühmtesten Schnitt der Filmgeschichte einem Raumschiff analogisiert. Von der tiefsten Vergangenheit des Menschen, springt der Film in die fernste Zukunft: Das Weltall ist kolonisiert. Raumschiffe kreisen schwerelos durch den Orbit untermalt von Johann Strauss‘ An der schönen blauen Donau. In einem Raumgleiter sitzt Dr. Heywood Floyd. Der Raumgleiter dringt am Ende eines minutenlangen Balztanzes zu Walzerklängen in die Raumstation ein. Erst nach 25 Minuten wird das erste Wort gesprochen. Der Film vertraut ganz auf die Macht der Bilder und der Musik.1 Die in der Filmgeschichte seinesgleichen suchende Bildgewalt des Films beruht dabei auf dem von Kubrick immer wieder angewandten Trick der visuellen Simplifizierung. Statische, oftmals streng symmetrische Einstellungen mit wenigen Farben. Da der Film überwiegend im All spielt, fällt es Kubrick und seinem Kameramann Geoffrey Unsworth leicht, das Prinzip der Farbreduktion im Bild konsequent anzuwenden. Oftmals sind nur zwei oder drei dominante Farbtöne in einer Einstellung auszumachen. Die lange stehenden Bilder, in denen sich kaum etwas bewegt, also kaum Handlung passiert, gepaart mit einer eindringlichen Tonspur – wahlweise pompöse Musik, Atemgeräusche der Astronauten oder einfach nur Stille – verbürgen das Kinoerlebnis.

Die Bildkomposition ist typisch für Kubrik. Statische, oftmals streng symmetrische Einstellungen mit wenigen Farben verbürgen die Bildgewalt des Films.

Heywood Floyd ist unterwegs zum Mond. Dort haben die Amerikaner einen schwarzen Monolithen gefunden, der im Mondkrater Tycho vergraben wurde, und deuten dies als Beweis bewussten, intelligenten Lebens außerhalb der Erde. Das Alter des Quaders haben die Forscher mit vier Millionen Jahren bestimmt. Demnach stammt er ungefähr aus der Periode des Australopithecus, des nach damaligem Forschungsstand frühesten Vorläufers des Homo sapiens, der im ersten Kapitel des Films den Werkzeuggebrauch erlernt hat. Um den Fund vor der Welt und ganz besonders vor den Russen – der Film entstand zur Zeit des Kalten Kriegs – geheim zu halten, verbreiten sie das Gerücht von einer Epidemie auf der Mondstation Clavius. Floyd und fünf weitere Astronauten begutachten den Monolithen. Sie bestaunen den schwarzen Quader in einer Sequenz, die analog zur Begegnung der Affenmenschen mit dem Monolithen konzipiert ist. Der Monolith sendet ein Signal aus, das den Astronauten laut und schrill in den Ohren dröhnt. Wieder treten lotrecht über dem Monolithen Erde und Sonne zum Mond in Konjunktion.

Das nächste Kapitel beginnt, überschrieben mit Jupiter Mission, 18 Monate später. Das Raumschiff Discovery One wird zum Jupiter entsandt, dem größten Planeten des Sonnensystems, benannt nach dem höchsten Gott der Antike. An Bord die beiden Astronauten Dave Bowman und Frank Poole sowie drei weitere Besatzungsmitglieder, die in sarkophagähnlichen Kühlboxen in Dauerschlaf versetzt worden sind. Zudem der Supercomputer HAL 9000, der alle Funktionen des Raumschiffes steuert. Das Wort HAL erinnert phonetisch an das englische `hell´ (Hölle) und setzt sich aus den Nachbarbuchstaben des Computerriesen IBM zusammen. HAL verfügt über ein Sprachprogramm und ist stimmlich humanisiert, um die Kommunikation zu erleichtern. Der Computer HAL ist neben Menschenaffen und einem kleinen Kind das einzige Wesen, das im Film Gefühle zeigt. Als der Astronaut Bowman zeichnet, nutzt er diesen Moment der privaten Muße, um ein persönliches Gespräch anzufangen. Er versucht, die eigentliche Mission der Expedition zu ergründen, denn die strikte Geheimhaltung, mit der das Projekt behandelt wird, erweckt sein Misstrauen. Als Bowman ihn abblockt mit der rhetorischen Frage, ob er an einem psychologischen Bericht arbeite, meldet der verunsicherte Computer einen Fehler an einer technischen Einheit. Eine Fehlermeldung, die sich als falsch erweist. Die beiden Astronauten beschließen, den Computer abzuschalten, doch HAL errät ihre Absicht und tötet alle Besatzungsmitglieder. Nur Dave Bowman überlebt HALs Attacken und schaltet ihn ab. Diese Auseinandersetzung mit dem Computer bildet den Mittelteil des Films.

Unmittelbar nach der Abschaltung des Computers offenbart dieser den wahren Grund der Mission. Auf einem Bildschirm erscheint eine Ansprache vom Leiter des Unternehmens, Heywood Floyd, die vor Beginn der Expedition aufgezeichnet wurde aus. Er berichtet von der Entdeckung des Monolithen auf dem Mond und dessen Strahlung zum Jupiter. Nun beginnt das Schlusskapitel des Films, eingeleitet mit der Überschrift Jupiter und dahinter die Unendlichkeit / Jupiter and Beyond the Infinite. Der schwarze Monolith schwebt durchs All, vorbei am Raumschiff und stellt sich dabei in eine Achse mit der Konjunktion von Jupiter, Mars, Erde und Venus. Bowman verlässt in einer Raumkapsel das Raumschiff, um den Monolithen zu bergen. Die Handlung des Films bricht an dieser Stelle ab. Was nun folgt ist zum einen eine Reminiszenz an optische und akustische Halluzinationen, wie sie durch LSD hervorgerufen werden können – diejenige Droge, die zur Entstehung des Films erstmalig in großen Mengen den Markt überschwemmte und in den damaligen Medien mit geballter Aufmerksamkeit bedacht wurde. Zum anderen kann man auch eine rudimentäre Handlung aus den abstrakten Bildern herauslesen.

Der Monolith erscheint in kosmischen Zusammenhängen, lotrecht über ihm treten Planeten und Sterne in Konjunktion: Der Stein fungiert als Gottessymbol.

Knapp zehn Minuten rast Bowman in einer rauschhaften Vision durch Lichtströme und über Landschaften, die durch farbliche Verfremdung stark abstrahiert sind. Die visuelle Tour de Force wird jeweils kurz unterbrochen von Naheinstellungen seines verzerrten und vibrierenden Gesichts oder einer Großaufnahme seines Auges, gleichfalls farblich verfremdet. Nachdem er die ersten zwei Minuten erst durch einen vertikalen, dann durch einen horizontalen Lichttunnel rast, kommen leuchtende Gebilde vor seine Augen, die an Galaxien erinnern. Eine dreiviertel Minute später erinnern die Gebilde an organische Strukturen. Nach vier Minuten taucht eine weiche rundliche rote Struktur auf, die in ihrer Form ein wenig an eine Fruchtblase oder an ein Ei erinnert. Im nächsten Schnitt scheint deren Gewebe in der Nahaufnahme dargestellt. Einen Schnitt weiter, ungefähr in der zeitlichen Mitte der halluzinogenen Visionen fliegt ein weißes Objekt mit einem tropfenartigen Schweif durchs Bild, ähnlich einem Kometen oder einem Spermatozoon. Erneut wird das Auge in Großaufnahme zwischengeblendet. Anschließend funkeln auf einer rötlich illuminierten Ebene Diamanten. Es ist das vielleicht schönste Bild der gesamten visionären Bilderstrecke und mag angesichts der vorherigen Bilder so etwas wie die Befruchtung oder Zeugung symbolisieren. Nochmals ist das Auge in Nahaufnahme zu sehen, nach einem kurzen horizontalen Lichttunnel werden die Bilder konkreter. Anstelle der Lichter oder der diffusen, wabernden abstrakten Gebilde ist nun eine farblich verfremdete Schlucht zu sehen, vermutlich eine Aufnahme aus dem Grand Canyon. Anschließend folgen weitere farblich verfremdete Landschaftsaufnahmen. Die Bildstrecke hat also eine Ordnung: Erst nur Licht, keine feste Materie, dann galaxienartige Gebilde, die von weichen organischen Strukturen abgelöst werden, die schließlich in einem Zeugungsakt zu münden scheinen. Anschließend verfestigt sich die gezeigte Materie und verdichtet sich zu konkreten, wenn auch verfremdeten Landschaften. Man kann eine hochgradig abstrahierte Andeutung eines Zeugungs-, eines Schöpfungsaktes aus der Bildstrecke herauslesen.

Der Lichttunnel wird abgelöst von Gebilden, die an organisches Gewebe erinnern. Das weiße Objekt wirkt wie ein Spermatozoon auf dem Weg zur Eizelle.
Das vielleicht schönste Bild der gesamten visionären Bildstrecke: Funkelnde Diamanten auf einer rötlich illuminierten Ebene – eine Metapher der Zeugung?

Die nun folgende Sequenz stützt diese Lesart. Die Raumkapsel ist in einem Raum mit dem Interieur des späten 18. Jahrhunderts angekommen. Der Boden ist von unten erleuchtet. Hier sieht Dave Bowman sich selbst als alter Mann, schließlich als sterbender Greis in einem Bett, an dessen Fuß nun wieder der Monolith aufragt. Bowman streckt seine Hand aus, als wolle er den Monolithen berühren, wie zuvor die Affen und die Astronauten auf dem Mond. Es ist der Moment seines Todes, der hier dargestellt wird. In der Schlussszene treibt Dave Bowman wiedergeboren als Embryo in einer Fruchtblase auf die Erde zu. Die Musik greift dabei wieder die musikalische Pathosformel von Also sprach Zarathustra auf und kehrt somit an den Anfang des Filmes zurück.

Der Monolith erscheint in kosmischen Zusammenhängen, lotrecht über ihm treten Planeten und Sterne in Konjunktion. Kaum dass die Affen ihn berühren, transformieren sie sich in eine andere Spezies und werden zu Menschen. Als Dave Bowman ihm begegnet, stirbt er und wird wiedergeboren. – Der Monolith ist eine Gottesmetapher. Die Reise zu Jupiter ist eine Reise zu Gott.2 Zugleich ist sie damit eine Reise zu den eigenen Ursprüngen. Kubricks grandioses Epos von der Reise in den Kosmos ist eine Analogie zu einer Reise ins Ich und zu Gott. Der Film berührt die größten Themen: die Geschichte des Menschen, die Gestalt des Universums – und der beschreibt dabei das Leben, das All als Ausdruck Gottes.

Bibliographie (Auswahl)

Belser, Lorenz: 2001 – A Space Odyssey. In: Filmstellen VSETH & VSU (Hrsg.): Science Fiction. Andrzej Wajda. Dokumentation. Verband Studierender an der Universität VSU, Zürich 1990, S. 121–131.
Bizony, Piers: 2001. Filming the future. With a foreword by Arthur C. Clarke. Aurum Press, London 1994.
Bizony, Piers, M/M (Paris): The Making of Stanley Kubrick’s ’2001: A Space Odyssey’. Taschen, 2015.
Clarke, Arthur C.: 2001: Odyssee im Weltraum. Der Roman zum Film (= Heyne-Bücher 01, Heyne allgemeine Reihe 20079). (OT: 2001: A Space Odyssey). Vorwort Stephen Baxter. Mit der zugrundeliegenden Kurzgeschichte Der Wächter. Taschenbuchausgabe, überarbeitete Neuausgabe. Heyne, München 2001.
Clarke, Arthur C.: 2001, Aufbruch zu verlorenen Welten. Das Logbuch der Kapitäne Clarke und Kubrick (= Goldmann-Taschenbuch. Goldmann-Science-fiction. 23426). (OT: The Lost Worlds of 2001). Goldmann, München 1983.
Esser, Michael: It's so very lonely...: 2001: A Space Odyssey. In: Lars-Olaf Beier u.a. (Red. Dieter Bertz): Stanley Kubrick. Berlin, Bertz-Verlag 1999.
Fischer, Ralf Michael: Raum und Zeit im filmischen Œuvre von Stanley Kubrick (= Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst. Band 7). Gebr. Mann, Berlin 2009, (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 2006).
Frayling, Christopher: The 2001 File: Harry Lange and the Design of the Landmark Science Fiction Film. Reel Art Press, London 2015.
Peiler, Nils Daniel: 201 x 2001. Fragen und Antworten mit allem Wissenswerten zu Stanley Kubricks Odyssee im Weltraum. Schüren, Marburg 2018.
Walter, Stephan: 2001: Mythos und Science im Cinema. Eigenverlag, Denzlingen 2002. 2. Auflage. Books on Demand, Norderstedt 2012.

Abbildungsnachweis

Die Abbildungen stammen aus 2001 Odysee im Weltraum, USA 1968, Produktion: Stanley Kubrik. Regie: Stanley Kubrik. Kamera: Geoffrey Unsworth. Drehbuch: Stanley Kubrik, Arther C. Clarke. MGM, Warner Bros. Pictures, a Warner Bros. Entertainment Company.

  1. Ursprünglich hatte Kubrick den US-amerikanischen Komponisten Alex North, mit dem er schon bei Spartacus zusammengearbeitet hatte, beauftragt, eine Originalmusik für den Film zu komponieren. Dass Kubrick später dann Norths Arbeit zugunsten des Temp Tracks verworfen hatte, zeigt, wie stark Kubrick im Schnitt die Bilder an die Musik bereits angepasst hatte. Im weiteren Verlauf seiner Karriere sollte er diese Technik, die Kamerabilder gewissermaßen als Choreographie bereits vorhandener ausdrucksstarker Musikstücke zu inszenieren, beibehalten.
  2. In dem Buch 2001: Odyssee im Weltraum von Arthur C. Clarke spielt die Handlung nicht vor dem Planeten Jupiter, sondern vor Saturn. Der antike Gott Saturn besitzt als Verkörperung der Zeit ebenfalls großes metaphorisches Potenzial. Dass Kubrick die Handlung zum Jupiter hin verlegte, mag nicht nur mit dessen Funktion als oberster Gott der Antike zusammenhängen, sondern auch damit, dass der für Spezialeffekte zuständige Douglas Trumbull die Saturnringe noch nicht realistisch darstellen konnte. Vgl. Bild der Wissenschaft 3/2013, S. 49.

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