Humboldt-Universität zu Berlin

Marie Elisabeth Lüders

Sozialpolitikerin – Frauenrechtlerin – Liberale

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Marie Elisabeth Lüders

Marie Elisabeth Lüders
Foto: bpk / Kunstbibliothek,
SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer

Marie Elisabeth Lüders‘ Biografie ist geprägt durch die bürgerliche Frauenbewegung, den politischen Kampf um Anerkennung der Rechte der Frauen, das politische Engagement für Sozialreformen und die Entwicklung eines freiheitlichen und demokratischen Sozialstaates.

Sie ist zugleich eine der großen liberalen Politikerinnen in der deutschen Geschichte.

Marie-Elisabeth Lüders kam am 25. Juni 1878 als sechstes Kind eines Geheimen Oberregierungsrates im Preußischen Kulturministerium in Berlin auf die Welt und starb am 23. März 1966 ebenda. Mit 16 verließ sie die Höhere Töchterschule, nahm Kunstunterricht (Gesang und Zeichnen) und lernte im Lette-Verein fotografieren.

Ab 1887 besuchte sie in Nieder-Ofleiden in der Nähe von Homburg die gerade neu eröffnete „Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande“. 1901 ging sie nach Weimar, um an einem Pensionat „Backfische“ zu unterrichten und zu beaufsichtigen. In Weimar kam Lüders das erste Mal in Kontakt mit dem Bund Deutscher Frauenvereine, was „meinen ganzen ferneren Lebensweg bestimmt“ hat, wie sie in ihrer Autobiografie schreibt. Ab 1902 arbeitete sie, nachdem sie vorher à Alice Salomon kennengelernt hatte, ehrenamtlich für die Berliner „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ als – wie man heute sagen würde – Sozialarbeiterin.

 

Erste Studentin an der Berliner Universität

1909 konnte sie ihren Traum realisieren: Ein Jahr, nachdem Preußen die Universitäten auch für Frauen geöffnet hatte, wurden Lüders und Agnes von Harnack als die ersten beiden Frauen an der Berliner Universität immatrikuliert. Sie musste gleichzeitig ihr Abitur nachholen und lernte dabei wie an der Universität auch die Vorurteile der Männer gegenüber dem Studium von Frauen kennen. In den juristischen Kollegs war sie zunächst die einzige Frau. Es handelte sich um eine heute kaum mehr vorstellbare Konstellation: „Dem Berliner Senat hatte ich die Anrechnung aller Semester vor dem Abitur (1910) zu verdanken, so daß ich schon knapp vier Semester nach dem Abitur im Februar 1912 promovieren konnte.“ Ihre Promotion befasste sich mit der „Fortbildung und Ausbildung der im Gewerbe tätigen weiblichen Personen und deren rechtliche Grundlagen. Ein Beitrag zur Untersuchung der Ausführung des neuen Innungs- und Handwerkskammergesetzes“. Sie wurde von Max Sering (1857-1939) und Gustav Schmoller (1836-1917) betreut und mit magna cum laude bewertet. Mit Agnes von Harnack gründete sie später, 1926, den Deutschen Akademikerinnenbund. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als erste „Wohnungspflegerin“ in Charlottenburg – zum halben Gehalt der männlichen Beschäftigten. In dieser Zeit begann sie sich immer stärker in der Frauenbewegung zu engagieren. Während des Ersten Weltkrieges ging sie zunächst für ein Jahr nach Brüssel, um danach in Berlin die Leitung der neu eingerichteten „Frauenarbeitszentrale“ im Preußischen Kriegsministerium zu übernehmen.

Mitgliedschaft in der DDP

Lüders wurde nach 1918, wie viele andere Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und im Juni 1920 über die Liste der DDP zusammen mit Gertrud Bäumer in den Reichstag gewählt. Von den 469 Mitgliedern des Reichtages waren 36 Frauen. Ein Schwerpunkt ihrer parlamentarischen Arbeit war neben den sozial-, familien- und frauenpolitischen sowie den arbeitsrechtlichen Fragen bis hin zum Arbeitsschutz die Beteiligung an der Ausarbeitung des „Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt“, das am 1. April 1924 in Kraft trat. Sie war außerdem an den Debatten um die verschiedenen Jugendschutzgesetze involviert. Nachdem die DDP als Deutsche Staatspartei mit dem rechtsradikalen Jungdeutschen Orden kooperierte, kandidierte sie 1930 nicht mehr. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Lüders 1937, nachdem sie alle Ämter verloren und Vernehmungen und Hausdurchsuchungen erlebt hatte, von der Gestapo wiederholt verhaftet. Im Oktober 1937 wurde sie entlassen; es folgte ein Rede- und Schreibverbot. Lüders flüchtete zunächst in eine badische psychiatrische Universitätsklinik. 1938 kehrte sie nach Berlin zurück und versuchte durch wissenschaftliche und sozialpflegerische Arbeiten sich über Wasser zu halten. Ihr Verhältnis zu zentralen Persönlichkeiten der Frauenbewegung wurde angesichts deren Bereitschaft, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren, schwieriger.

Nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem Krieg war sie ab 1948 Vorstandsmitglied der neu gegründeten LDP/FDP. Am 5. Dezember 1948 wurde sie zum Mitglied des West-Berliner Parlaments gewählt und gleichzeitig als Stadträtin, später Senatorin, für die Abteilung Sozialwesen berufen. Vom 6. September 1953 bis zum August 1961 gehörte sie als Vertreterin von Berlin dem Deutschen Bundestag an, dessen konstituierende Sitzungen sie 1953 und 1957 als Alterspräsidentin eröffnete. Die Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit lagen im Bereich Familienrecht, Gleichstellung, Inneres und gesamtdeutsche Fragen; wiederum war sie an der Gesetzgebung des Jugendwohlfahrtsgesetzes beteiligt. Bekannt geworden ist auch die so genannte „Lex Lüders“, ein Gesetz, das den Status deutscher Frauen, die mit einem Ausländer verheiratet sind, regelte. 1961 schied Lüders auf eigenen Wunsch aus dem Deutschen Bundestag aus.

Schriften (in Auswahl)

  • Die Fortbildung und Ausbildung der im Gewerbe tätigen weiblichen Personen und deren rechtliche Grundlagen: Ein Beitrag zur Untersuchung der Ausführung des neuen Innungs- und Handwerkskammergesetzes, in: Gustav Schmoller/Max Sering (Hg.), Staats- und Sozialwissenschaftliche Forschungen, Heft 165, München/Leipzig 1912 (Reprint Berlin 20179.
  • Die Entwicklung der gewerblichen Frauenarbeit im Kriege, in: Schmollers Jahrbuch 44 (1920), Reprint Berlin 2017.
  • Das unbekannte Heer. Frauen kämpfen für Deutschland. 1914-1918. Berlin 1936.
  • Die Frau im modernen demokratischen Staat, Bochum 1961.
  • Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren 1878–1962, Köln/Opladen 1963.

Literatur (in Auswahl)

  • Peters, Dietlinde: Marie-Elisabeth Lüders, in: Hülsbergen, Henrike (Hg.), Stadtbild und Frauenleben. Berlin im Spiegel von 16. Frauenporträts, Berlin 1997, S. 123-150.
  • Stoehr, Irene: Marie Elisabeth Lüders, in: Renate Genth u.a., Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945-1949, Berlin 1996, S. 289-301.
  • von Velsen, Dorothee: Marie-Elisabeth Lüders zum 25. Juni 1958. Eine Würdigung zum ihrem 80. Geburtstag, hg. von Bundesvorstand und Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei, Bonn 1958.
  • Luckemeyer, Ludwig: „Lüders, Marie-Elisabeth“, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 454-456 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118729551.html#ndbcontent

 


 

Marie Elisabeth Lüders

25th June 1878 (Berlin) – 23rd March 1966 (Berlin)

 

Politician with a focus on social welfare – Women’s rights activist – Liberal

 

Marie Elisabeth Lüders Foto: bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer
Marie Elisabeth Lüders, Foto: bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer
Marie Elisabeth Lüders’ biography is moulded by the bourgeois women’s movement, the political struggle for recognition of women’s rights, the political commitment to social reforms, and the development of a free and democratic welfare state. She is also one of the great liberal politicians in German history.

 

Marie-Elisabeth Lüders was born on 25th June 1878 in Berlin, the sixth child of a Geheimer Oberregierungsrat (a senior government official) in the Prussian Ministry of Education and Cultural Affairs. At the age of 16, she left school, (a höhere Töchterschule, a type of secondary school for girls that did not prepare them for university study but for management of a household), took art lessons (singing and drawing), and studied photography at the Lette-Verein. From 1887 onwards, she attended the newly opened “Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande” (Home Economics School for Women in the Countryside) in Nieder-Ofleiden near Homburg. In 1901, she went to Weimar to teach and look after teenage girls (Backfische) at a boarding school. It was in Weimar that Lüders first came into contact with the Federation of German Women’s Associations (Bund Deutscher Frauenvereine), which “determined [her] entire path in life thereafter”, as she writes in her autobiography. From 1902 onwards, after meeting  Alice Salomon, she volunteered as a social worker – as we would say today – for the Berlin “Girls’ and Women’s Groups for Social Aid Work” (Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit).

First female student at Berlin University

In 1909, she was able to realise her dream: one year after Prussia had opened its universities to women, Lüders and  Agnes von Harnack were enrolled as the first two women at the University of Berlin. She had to belatedly sit her Abitur (final school exams that grant eligibility to study at university) at the same time and, in the process, as at the university, also came to learn of men’s prejudices against women studying. At first, she was the only woman in the legal lecture courses. The circumstances are hardly imaginable today: “I owe it to the Berlin Senate that all semesters before my Abitur (1910) were credited, which meant that I was able to earn my doctorate just shy of four semesters after my Abitur, in February 1912.” Her doctoral thesis was entitled “Fortbildung und Ausbildung der im Gewerbe tätigen weiblichen Personen und deren rechtliche Grundlagen. Ein Beitrag zur Untersuchung der Ausführung des neuen Innungs- und Handwerkskammergesetzes” (Further education and training of women working in the trades and their legal bases. A paper investigating the implementation of the new law on guilds and chambers of crafts). She was supervised by Max Sering (1857–1939) and  Gustav Schmoller (1836–1917) and awarded a magna cum laude. Together with Agnes von Harnack, she later founded the German Association of Female Academics (Deutscher Akademikerinnenbund) in 1926. After completing her studies, she initially worked as the first female home inspector and care worker (Wohnungspflegerin) in Charlottenburg – for half the salary of the male employees. During this period, she began to become increasingly involved in the women’s movement. During the First World War, she first went to Brussels for a year and then to Berlin, to take over the management of the newly established Frauenarbeitszentrale (Central Office for Women’s Labour) in the Prussian War Ministry.

Membership in the DDP

Post 1918, Lüders, like many other representatives of the bourgeois women’s movement, was a member of the German Democratic Party (Deutsche Demokratische Partei [DDP]), and, in June 1920, she was elected to the Reichstag on the DDP ticket, together with Gertrud Bäumer. Of the 469 members of the Reichtag, 36 were women. One focus of her parliamentary work, in addition to policy pertaining to social, family and women’s issues and questions of employment law, extending all the way to worker protection, was her participation in the drafting of the “Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt” (Reich Youth Welfare Act), which entered into force on 1st April 1924. She was also involved in the debates concerning the various laws for the protection of children and young people. After the DDP, now calling itself the Deutsche Staatspartei (German State Party), cooperated with the radical right-wing Young German Order (Jungdeutscher Orden), she no longer ran for office in 1930. In 1937, after the National Socialists had taken power and after Lüders had lost all her offices and undergone interrogations and house searches, she was repeatedly arrested by the Gestapo. In October 1937, she was dismissed; she was banned from speaking and writing. Lüders initially fled to a university psychiatric hospital in Baden. In 1938, she returned to Berlin and tried to stay afloat by means of academic and social care work. Her relationship with key figures in the women’s movement became more difficult in view of their willingness to come to terms with the National Socialists.

After the 2nd World War

After the war, from 1948, she was a member of the executive committee of the newly founded Liberal Democratic Party of Germany/Free Democratic Party of Germany (LDP/FDP). On 5th December 1948, she was elected a member of the West Berlin parliament and, at the same time, appointed a city councillor, later senator, for the social affairs department. From 6th September 1953 to August 1961, she represented Berlin as a member of the German Bundestag, whose inaugural sessions she opened in 1953 and 1957 as its Alterspräsidentin (the oldest member of parliament, who presides until the new president takes office). The focus of her political work was on family law, equality, and internal and all-German affairs; in turn, she was involved in the legislation for the Youth Welfare Act. The so-called Lex Lüders, a law regulating the status of German women who are married to foreigners, has also become well known. In 1961, Lüders resigned from the German Bundestag of her own volition.

Written works (selection)

  • Die Fortbildung und Ausbildung der im Gewerbe tätigen weiblichen Personen und deren rechtliche Grundlagen: Ein Beitrag zur Untersuchung der Ausführung des neuen Innungs- und Handwerkskammergesetzes, in: Gustav Schmoller/Max Sering (Hg.), Staats- und Sozialwissenschaftliche Forschungen, Heft 165, München/Leipzig 1912 (Reprint Berlin 20179.
  • Die Entwicklung der gewerblichen Frauenarbeit im Kriege, in: Schmollers Jahrbuch 44 (1920), Reprint Berlin 2017.
  • Das unbekannte Heer. Frauen kämpfen für Deutschland. 1914-1918. Berlin 1936.
  • Die Frau im modernen demokratischen Staat, Bochum 1961.
  • Fürchte Dich nicht. Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren 1878–1962, Köln/Opladen 1963.

References (selection)

  • Peters, Dietlinde: Marie-Elisabeth Lüders, in: Hülsbergen, Henrike (Hg.), Stadtbild und Frauenleben. Berlin im Spiegel von 16. Frauenporträts, Berlin 1997, S. 123-150.
  • Stoehr, Irene: Marie Elisabeth Lüders, in: Renate Genth u.a., Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945-1949, Berlin 1996, S. 289-301.
  • von Velsen, Dorothee: Marie-Elisabeth Lüders zum 25. Juni 1958. Eine Würdigung zum ihrem 80. Geburtstag, hg. von Bundesvorstand und Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei, Bonn 1958.
  • Luckemeyer, Ludwig: „Lüders, Marie-Elisabeth“, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 454-456 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118729551.html#ndbcontent

 

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