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Keiner entkommt dem Lächeln der Ségolène Royal

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Quelle: AFP
Sechs Tage vor der Entscheidung kämpft die französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal um jede Stimme. Ihr Lächeln ist dabei ihre größte Waffe. Damit hat sie es geschafft, ihren wichtigsten Konkurrenten Nikolas Sarkozy einzuholen.

Es ist wie ein Markenzeichen, das jeder kennt – dieses strahlende Lächeln von Ségolène Royal. Man entkommt ihm einfach nicht. Es strahlt von den Titelseiten der Printmedien, von Plakaten, Banderolen, Flugblättern, Broschüren und Aufklebern. Die Präsidentschaftskandidatin der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS) pflegt selbst dann noch zu strahlen, wenn ihr schlechte Nachrichten zugetragen werden. An „unangenehme Überraschungen“ auch aus den eigenen Reihen habe sie sich schon gewöhnt, doch werde sie dank ihrer sozialistischen Überzeugungen durchhalten, beginnt sie etwas verlegen ihre Rede in der 8000-Seelen-Gemeinde Achicourt, einer Vorortgemeinde von Arras (Departement Pas-de-Calais), wohin sie vom sozialistischen Ortsverein zur „Fête de la rose“, dem Rosenfest, geladen ist.

Auch zu diesem Termin kommt Royal wieder einmal viel zu spät. Es ist eine schlechte Angewohnheit von ihr. Wäre sie als Präsidentin überhaupt in der Lage, ihren Reformkalender einzuhalten, fragt man sich unwillkürlich? Etwa 400 Genossen jeden Alters warten schon gut zwei Stunden in der prallen Sonne vor der Mehrzweckhalle, die nach dem früheren sozialistischen Präsidenten François Mitterrand benannt ist. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Ségolène présidente“, „Fier d’être socialiste“ (stolz darauf, Sozialist zu sein), „Tous Ségo“ (alle für Ségo). Als die Kandidatin endlich aus dem Wagen steigt und ihr schönstes Lächeln hervorzaubert, kennt der Jubel keine Grenzen. Royal zum Anfassen und zum Fotografieren. 15 Minuten dauert das Bad in der Menge, bei dem die Journalisten und die Fans darum wetteifern, der 53-Jährigen so nahe wie möglich zu kommen.

Etwas voreilig vielleicht lässt Jerge Janquin, einer der sozialistischen Abgeordneten aus dem Pas-de-Calais, „unsere künftige Präsidentin Frankreichs“ hochleben. Der frühere Kulturminister Jack Lang kündigt eine „friedliche Revolution“ an, mit der Ségolène Royal Frankreich grundlegend verändern werde. Lang rühmt die „Großzügigkeit ihres Wesens“, ihren „starken Charakter“ und folgert daraus, dass „etwas von Mitterrand in Ségolène“ sei. Das hören die Genossen gern. Sie sind begeistert und applaudieren. Bei der Urabstimmung der Partei im November hatten 89,9 Prozent des Bezirks für die Kandidatur von Madame Royal gestimmt. Es war eines der besten Ergebnisse für sie in Frankreich überhaupt.

Wir lieben dich, Ségolène

„On t’aime, Ségolène“ (Wir lieben dich, Ségolène), ruft eine Gruppe von Frauen der Kandidatin zu, als diese aufs Podium steigt, eine rote Rose ans Mikrofon steckt und der Menge zuruft: „Ich brauche euch!“ In der Tat scheint die Sozialistin am 22. April auf jede Stimme angewiesen zu sein, wie die Meinungsumfragen zeigen (siehe rechts). Wie unsicher der Ausgang der ersten Wahlrunde an diesem Sonntag selbst in der PS eingeschätzt wird, darüber legte François Hollande, der langjährige Lebensgefährte von Royal, Zeugnis ab. Auf die Frage, ob er sich sicher sei, dass seine Ségolène die Stichwahl am 6.¿Mai erreichen werde, antwortete er: „Nein, das bin ich nicht. Wäre ich es, würde ich es sagen.“

„Wollt ihr, dass es mit Frankreich vorangeht?“, ruft Ségolène Royal in die Menge. „Wollt ihr, dass die Ungerechtigkeiten ein Ende haben?“¿ „Wollt ihr, dass ich Frankreich voranbringe und ich ihm seinen Rang in Europa und in der Welt zurückgebe?“¿ „Wollt ihr eine neue, eine VI. Republik, die endlich effizient funktioniert?“ – „Jaaa“, schallt es aus Hunderten von Kehlen. Royal wendet sich an die Frauen, auf deren Unterstützung sie besonderen Wert lege. Diejenigen, die immer noch meinten, es sei „zu revolutionär“, die Republik von einer Frau verkörpert zu sehen, beschwört sie, dass nach Jahrhunderten der Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung endlich die Zeit gekommen sei, mit solch „unsinnigen Vorurteilen“ aufzuräumen. Gerade die Frauen hätten es „in diesem historischen Augenblick“ in der Hand, eine „neue Seite“ in der Geschichte der Republik aufzuschlagen.

In den 20 Minuten in Achicourt fallen Sachthemen wie Steuern, Arbeitslosigkeit und Renten völlig unter den Tisch. Stattdessen verspricht sie, den Bürgern das Wort zu erteilen, sollte sie zur Präsidentin gewählt werden. „Partizipative Demokratie“ nennt sie das System, mit dem sie Politik ganz anders gestalten möchte. Sie werde daran festhalten, die Arbeit aller Politiker durch „Bürgerjurys“ kontrollieren zu lassen und als Präsidentin selbst regelmäßig Rechenschaft vor ihren Landsleuten abzulegen.

Die Kandidatin macht ihrem Ärger Luft

Anschließend macht die Kandidatin in einem separaten Raum vor Journalisten ihrem Ärger Luft. „Mir bleibt aber nichts erspart und mag es noch so verrückt sein“, kommentierte sie den Vorschlag von Ex-Premierminister Michel Rocard und dem früheren Gesundheitsminister Bernard Kouchner, sie solle noch vor der ersten Wahlrunde mit dem Zentristen Bayrou ein Wahlbündnis schließen. „Nicht daran zu denken“, kontert sie, um gleichzeitig ein Türchen offen zu halten. Sie würde durchaus mit sich reden lassen, sollte Bayrou sich nach dem 22. April ihrem „Präsidentschaftspakt“ anschließen, um gemeinsam gegen Nicolas Sarkozy von der Regierungspartei UMP (Union pour un Mouvement Populaire) Front zu machen.

„Warum nur haben die Rechten um Sarkozy nicht auch so viel Fantasie wie meine Parteifreunde?“, stöhnt Royal, wieder ganz entspannt. Der Ärger scheint wie weggeblasen, als die Kandidatin in den Wagen steigt und sich aus Achicourt verabschiedet. Als letzten Eindruck nehmen die ihr zuwinkenden Genossen ihr strahlendes Lächeln wahr, denn für einen kurzen Moment hat sie das Autofenster schnell noch einmal heruntergekurbelt.

Im Schatten der Windmühle nebenan, die im Ersten Weltkrieg von den Deutschen zerstört worden war und vor einigen Jahren wieder aufgebaut wurde, weiß Christine keine rechte Antwort auf die Frage, was sie an Royals Auftritt am stärksten beeindruckt hat. „Dafür, dass ich zwei Stunden in der Sonne gewartet habe, hat sie ein bisschen kurz gesprochen.“ Sie sei „zu glatt, zu einförmig“, gibt Fréderic, ein Lehrer, zu bedenken. „Eine Ségolène mit mehr Charakter, mit etwas mehr Ecken und Kanten, wäre mir schon lieber“.

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Vor rund 10.000 offensichtlich zur Begeisterung entschlossenen Genossen – sie wurden von der Partei aus nah und fern in Bussen herangebracht – lässt Royal am Montagabend im Zénith von Nantes die Chance aus, „Ecken und Kanten“ zu zeigen. Über weite Strecken verliert sie sich in technischen Details, wenn sie ihre Reformpläne erläutert. Das Publikum, doch in der Absicht gekommen, der Hoffnungsträgerin mit Jubelstürmen über die Zielgerade zu helfen, jubelt und das auch immer wieder, aber meist an den falschen Stellen ihres Redetextes. Auch Royal fühlt und schmerzt das Stimmungsdefizit. Auf den großen Leinwänden ist dies für jedermann nachzuempfinden. Anders als auf den Wahlveranstaltungen von Sarkozy und Bayrou springt der Funke nur gelegentlich über. Dankbar lässt sich das Publikum nur einmal zu frenetischem Jubel hinreißen, als sich Royal in Anlehnung an ihren politischen Ziehvater Mitterrand als die „neue force tranquille“ (die neue ruhige Kraft) bezeichnet.

Als die Zehntausend am Ende ihrer Rede die Marseillaise und „On va gagner“ (Wir werden gewinnen) anstimmen, wirkt das Lächeln von Royal minutenlang wie eingefroren. Zierlich und allein verharrt sie hinter dem Mikrophon. Von den „Elefanten“, den Schwergewichten ihrer Partei, hat sich an diesem Abend in Nantes keiner blicken lassen. Weder Dominique Strauß-Kahn, der frühere Wirtschaftsminister, noch die beiden Ex-Premiers Laurent Fabius und Lionel Jospin.

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